Optimismus ist eine Tugend, Naivität nicht. Deshalb muss man schon jetzt mit sehr viel Sorge auf das kommende Jahr schauen

Terror in Berlin und Nizza, Amoklauf in München, Donald Trump gewinnt die Präsidentschaftswahlen in den USA, Brexit… Langsam dämmert einem, dass wir keine schlechte Phase durchleben, sondern in ein neues und düsteres Zeitalter aufbrechen.

Optimismus mag eine Tugend sein. Naivität ist es nicht. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das kommende Jahr besser wird als 2016 oder 2015. Schiefgehen kann viel: Präsidentschaftswahlen in Frankreich, Bundestagswahl in Deutschland. Trump wird außerdem sein Amt antreten. Dazu kommt die unverändert hohe Terrorwahrscheinlichkeit.

Seit Jahren befindet sich die westliche liberale Demokratie in einem Krieg gegen die internationale Bewegung der Autoritären. Und Schlacht um Schlacht geht in dieser Auseinandersetzung verloren. Ganz selten, so wie Anfang Dezember bei der Wiederholung der österreichischen Stichwahl ums Präsidentenamt, geht es auch mal anders aus. Doch den Trend, den globalen Ruck Richtung Autokratie und Demokratur kehrt das nicht um.

Das Recht ist tot

Spätestens der militärische Sieg der Troika aus syrischem Regime, Putin und den iranischen Milizen hat alle Hoffnungen auf ein besseres Jahr 2017 zerstört. Der Fall der einstigen Metropole Aleppo steht für den endgültigen Untergang einer Idee, die auf den Trümmern des zweiten Weltkriegs entstand und die Welt besser machen sollte. Die Idee eines internationalen Rechts, vor dem sich Despoten, Tyrannen und Diktatoren zu fürchten haben, wenn sie andere Länder überfallen oder sich an ihrer Bevölkerung vergehen – so wie Wladimir Putin und Bashar al-Assad es tun.

Ab sofort, und dafür wird das Jahr 2017 stehen, gilt wieder das Recht des Skrupelloseren auf der Welt. Das ist die eigentliche Botschaft hinter der Katastrophe im Norden Syriens. Die regionalpolitischen Effekte sind für den Kreml zwar wichtig, aber weit weniger entscheidend als die Außerkraftsetzung der Spielregeln. Wer sich mit dem Kreml verbündet, kann seine Bevölkerung abschlachten, ohne befürchten zu müssen, dass irgendwer eingreift. Darum geht es. Das Recht ist tot.

Es ist der zweite russische Stunt dieser Art in kurzer Folge. Sehr schnell sind Europa und die Weltgemeinschaft nach der Annexion der Krim zur Tagesordnung übergegangen. Dass es sich bei dem Manöver um einen militärischen Überfall und eine gewaltsame Grenzverschiebung handelte, ist wegen des russischen Kriegs in der Ostukraine, der fälschlicherweise fast überall als „Bürgerkrieg“ bezeichnet wird, in Vergessenheit geraten.

Der Westen wird ausgehöhlt

In den vergangenen Jahren haben sich die Vorzeichen verändert. In die westlichen Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks sickert die Postmoderne ein, die den russischen Alltag seit Jahrzehnten kennzeichnet. Wahrheit und Fakten werden dabei zu einer Frage des Gefühls. Der in der Sowjetunion geborene Schriftsteller Peter Pomerantsev hat in seinem wunderbaren Buch „Nichts ist wahr und alles ist möglich“ diese Welt eindrücklich beschrieben. Der Titel ist eine präzise Beschreibung dieses gerade anbrechenden Zeitalters. (Die Buchrezension finden Sie hier)

Auch wenn in Syrien und der Ukraine gemordet und gestorben wird, ist das Hauptschlachtfeld in diesem Krieg, den die Internationale der Autoritären gerade gegen westliche Gesellschaften führt, das Internet. Der Kreml befehligt nicht nur Kampfpiloten, Panzerfahrer und Söldner, sondern auch Trolle. Die digitale Rote Armee marschiert auf das Zentrum der westlichen Demokratien zu. Die Säulen, auf denen freie Gesellschaften ruhen, sollen zerstört werden.

Wahrheit soll es nicht mehr geben

So verlieren wir das Vertrauen in den Journalismus insgesamt. „Russia Today“, „Sputnik“ und die anderen Informationskrieger, die ihre Weisungen aus Moskau erhalten, arbeiten nicht daran, uns ihre Wahrheit zu präsentieren. Es geht ihnen darum, uns das Gefühl für Wahrheit generell zu nehmen und damit jeder Sicherheit zu berauben. Nichts ist wahr. Alles ist möglich.

Deshalb passt es dem Kreml wunderbar in den Kram, dass seine Einflussnahmen auf den US-Wahlkampf (viel zu spät) zu einer breiten Diskussion geführt haben. Die entscheidende Information ist nämlich die, dass Wahlen, das Hochamt einer jeden Demokratie also, manipulierbar sind. Sogar in der ehemaligen Führungsmacht des Westens. Erschütternder kann ein Schlag gegen offene Gesellschaften kaum sein. Wären die Manipulationsversuche nicht an die Öffentlichkeit gekommen, hätte „Russia Today“ sich darum auch noch kümmern müssen.

Als Vetospieler im Weltsicherheitsrat hat Russland die einzige internationale Institution außer Kraft gesetzt, die das Morden in Syrien hätte stoppen können. Wenn es dem Kreml mit seinem hybriden Krieg gelingt, die Institutionen demokratischer Staaten zu zerstören, ist es mit Minderheitenrechten, Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und einer fairen Justiz vorbei. Das wäre das Ende des Westens. Die Gefahr ist real.

Dabei, und das kann man nicht laut und oft genug sagen, ist es nicht die Stärke seiner Gegner, die dem Westen zu schaffen macht. Weder Putins Russland, noch Recep Tayyip Erdogans Türkei oder gar der sogenannte „Islamische Staat“ haben besondere Leistungen vollbracht. Was produziert Russland? Nichts. Wohin entwickelt sich die Türkei: zu einem Russland mit Islam. Vom IS muss hier gar nicht erst die Rede sein.

Stemmen wir uns endlich dagegen

Warum erschüttern uns die Angriffe der Autokraten also? Erstens: Sie sind skrupellos. Zweitens: Wir haben viel zu lange gebraucht, um ihre „aktiven Maßnahmen“ als Angriffe zu erkennen. Noch heute wird ernsthaft gestritten, ob Russland im Osten der Ukraine militärisch engagiert ist. Noch immer fragen wir uns, ob „Russia Today“ wirklich als Propaganda einzustufen ist. Während sich Sicherheitsexperten einig sind, dass der kommende Bundestagswahlkampf zu einem Hauptangriffsziel der russischen Hybridkrieger werden wird, laufen Debatten, in denen relativiert und verharmlost wird. So schwächen wir uns selbst. Solange wir hier keine klaren Haltungen finden, werden die Attacken weiter wirksam sein.

Das alles bedeutet nicht, dass an der schweren Krise in der freien Welt Putin schuld ist. Natürlich steckt er auch nicht hinter jeder Fehlentwicklung. Aber er weiß als gelernter Geheimdienstler genau, wie er die Schwächen seiner Gegner für sich nutzen kann.

Wenn wir uns das klarmachen und entsprechend verteidigen, könnte 2017 vielleicht doch ein gutes Jahr werden. Das Jahr des Anfangs vom Ende des autoritären Spuks. Dafür müssen allerdings in allen europäischen Staaten alle Parteien gegen die Putin hofierende und die freie Gesellschaft bekämpfende Querfront zusammenstehen. Hoffen wir es. Und arbeiten wir daran.