Die Niederlande haben sich für eine harte Haltung gegenüber der türkischen Regierung und Erdogan entschieden. Und der hat die Eskalation in diesem Land ganz bewusst gesucht.

Man sollte einen Rowdy nie reizen. Fast jeder kennt das aus seiner Schulzeit, wenn man lieber einen großen Bogen um jene Figuren machte, die, mit einer kurzen Lunte versehen, gerne Streit suchten, weil sie darin ein Lebenselixier gefunden hatten oder schlichtweg ein Instrument, mit dem sie ein temporäres Schreckensregime auf dem Pausenhof installieren konnten. Meist hilft das Aus- und Zurückweichen, doch manchmal kommt der Augenblick, an dem man sich dem Konflikt stellen muss – ganz einfach, weil etwas Höheres auf dem Spiel steht.

Deutschland konnte noch Gelassenheit zeigen gegenüber den Vorwürfen und Beleidigungen Erdogans und der türkischen Regierung. Bei der Kanzlerin wird sich möglicherweise schon ein Gewöhnungseffekt eingestellt haben, so oft ist sie in den letzten Jahren – beispielsweise in Griechenland – mit Hitlerbärtchen und Naziuniform gezeigt worden, da machen die paar Fotomontagen in regierungsfreundlichen türkischen Gazetten und die Invektiven Erdogans dann auch nicht mehr so viel aus. Dass natürlich auch noch andere Gründe wie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu einer gewissen diplomatischen Zurückhaltung zwingen, steht außer Frage. Deshalb ist diese Gelassenheit auch Schwäche, aber vielleicht eine vernünftige. Ein Recht auf Wahlkampf in Deutschland hat Erdogan jedenfalls nicht – das hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Woche klargemacht: Er ist wie auch die türkische Regierung sehr wohl auf das Wohlwollen der Bundesregierung angewiesen, um Wahlkampf für sein sogenanntes Verfassungsreferendum auf deutschem Boden zu machen, denn bei dieser Angelegenheit würden sich „die deutsche und die türkische Regierung auf der Grundlage des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten begegnen“.

Konflikt zwischen zwei Wahlen

Selbstverständlich haben auch die Niederlande als souveräner Staat alles Recht, die Auftritte der türkischen Minister oder Erdogans zu untersagen. Und eigentlich hat Erdogan die Pflicht, dieses Recht anzuerkennen. Aber dies interessiert ihn natürlich nicht, denn schon jetzt sind für ihn Recht und Herrschaft in seiner Person verschmolzen – und da gibt es keine Zurückhaltung, nur den Willen zur rücksichtslosen Durchsetzung. Auf dem Weg zur Alleinherrschaft in der Türkei will sich dieser Mann jedenfalls nicht von der Regierung eines europäischen Landes aufhalten lassen.

Doch nun ist er an eine geraten, die wie er in einem Wahlkampf steckt, und dann kann Langmut schnell in besondere Prinzipientreue umschlagen. Jedenfalls will sich Ministerpräsident Rutte wenige Tage vor den Parlamentswahlen nicht von Geert Wilders vorführen lassen, der in demonstrativer Radikalität gleich Sofortmaßnahmen gegen die Türkei forderte.

Wer den holländischen Ministerpräsidenten in den anderen europäischen Ländern kritisiert, sollte zunächst einmal darüber nachdenken, wie die eigene Regierung wenige Tage vor einem Urnengang wohl reagieren würde, nämlich dann, wenn die politischen Nerven blankliegen. Tatsächlich hat Rutte nicht die europäischen Werte hintergangen mit seiner Haltung, auf die Souveränität der Niederlande zu pochen und damit quasi indirekte Amtshilfe bei der Errichtung eines Sultanats zu verweigern. Nun, wir wissen nicht, welche Haltung richtig ist – die langmütige Gelassenheit oder die konsequente Prinzipientreue. Es wird sich aber vielleicht noch zeigen.

Ein Fehler im System

Es ist jedenfalls kein Zufall, dass es Erdogan in den Niederlanden ganz bewusst auf eine Eskalation hat ankommen lassen. Die Zahl der Türken mit Doppelpass dürfte nicht entscheidend sein beim Referendum am 16. April. Aber in den Niederlanden hat er mit der von zwei Hollandtürken gegründeten Partei DENK möglicherweise bald Anhänger im Parlament sitzen, da die Sperrklausel für ein Mandat in den Niederlanden bei verschwindend geringen knapp 0,7 Prozent liegt. Ein fataler Fehler im System. Schon heute leidet die Politik in den Niederlanden an der Zersplitterung im Parlament. Nun bietet es auch noch ausländischen Regierungen die Möglichkeit der indirekten parlamentarischen Einflussnahme. Das wird noch weitere Keile in die Gesellschaft treiben. Denn wer glaubt schon, dass der Ehrgeiz Erdogans auf sein Land begrenzt bleibt?