Trumps charakterliche Defizite treten am deutlichsten zutage bei seinen gescheiterten Versuchen, Widersacher zu beleidigen.

Graydon Carter ist seit 1992 Chefredakteur des amerikanischen Magazins Vanity Fair, dessen Alleinstellungsmerkmal eine Mischung aus Promiklatsch und investigativem Journalismus ist. (In Deutschland scheiterte eine Lizenzausgabe, meines Erachtens, weil wir einfach viel zu wenige Celebrities haben die obendrein nicht schillernd genug sind, um damit wöchentlich ein anspruchsvolles Magazin zu füllen. Selbst die US-Vanity Fair erscheint monatlich.) Außerdem ist Carter Teilhaber an einem Restaurant und einer Bar – und ein erklärter, langjähriger Feind Donald Trumps, den er seit 1983 journalistisch begleitet. Trumps kleine Hände tauchten erstmals in einem Artikel auf, den Carter damals für GQ über ihn schrieb. Diesen Oktober erschien in der Vanity Fair ein zusammenfassender Artikel über die jahrzehntelange Berichterstattung, aus dem ich auch Trumps „beleidigende“ Tweets entnehme (und dessen Lektüre ich jedem empfehle, der des Englischen einigermaßen mächtig ist).

Die Beziehung der beiden lässt sich schön mit dieser Anekdote aus dem Artikel beschreiben:

Wenig überraschend für die Achtziger gehörte Trump zum festen Inventar der Satirezeitschrift Spy. Wir haben uns nicht nur über seine Finger lustig gemacht, sondern auch über seine geschäftlichen Entscheidungen, seine atemberaubenden Ankündigungen, sein aufgeblasenes Vermögen, sein Haar und seine ehelichen Verhältnisse. Er drohte uns mit einem Prozess, was zu einem regen Austausch juristischer Korrespondenz zwischen ihm und mir führte. Die wir komplett veröffentlichten. Irgendwann sendeten wir Schecks über 1,11 $ an 58 „wohlbetuchte“ „Prominente“ um herauszufinden, wer sich die Zeit nehmen würde, diese Schecks gegenzuzeichnen und einzureichen, die wir von einer Firma namens „National Refund Clearinghouse“ haben ausstellen lassen. Denjenigen, die die 1,11-$-Schecks eingelöst hatten, schickten wir 64-Cent-Schecks und denen, die diese einreichten abermals welche über 13 Cent. Da es noch kein Onlinebanking gab, zog sich die Aktion über mehr als ein halbes Jahr hin. Zum Schluß wurden nur zwei 13-Cent-Schecks eingelöst – und wir konnten unser Glück kaum fassen. Einer war gegengezeichnet vom Waffenhändler Adnan Kashoggi. Der andere wurde eingereicht von Donald Trump.

Nun hat Carter wieder zugeschlagen, im Editorial zur neuen Vanity Fair persifliert er den Song „Only in America / Land of Opportunity“ und Trump kommt dabei natürlich angemessen schlecht weg. Darauf reagiert er erwartbar dünnhäutig und spontan auf Twitter:

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/809383989018497024

Tatsächlich geht die Print-Krise auch an der Vanity Fair nicht spurlos vorüber, was auch der talentierteste Chefredakteur nicht verhindern kann. Dass Trump schreiberisches Talent erkennen könnte, ist unwahrscheinlich, da er bekanntlich nie liest. Auch in der Vergangenheit arbeitete er sich an Carter ab:

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/410151073639182337

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/666039755038150656

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/440262092961357824

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/281493931538124801

https://twitter.com/realDonaldTrump/status/410072481815212032

Was an diesen Tweets so irritiert ist nicht die Dünnhäutigkeit des Absenders und die Tatsache, dass er offensichtlich Zeit und Muße hat, solche Fehden zu verfolgen. Was mich schockiert ist Donald Trumps vollkommene Unfähigkeit, Carter wirksam zu beleidigen.

Die Filmprojekte Carters wurden auf Festivals geehrt, „Public Speaking“ sogar für einen Emmy nominiert – was Carter natürlich bewusst ist. Dass Trump den Unterschied zwischen Fakten und Fiktion nicht kennt, ist keine Neuigkeit – aber wenn der Zweck einer Äußerung ist, jemanden zu beleidigen, der der Realität gewahr ist, verfehlt die Lüge vollkommen ihren Zweck.

Der letzte Tweet „Der bekloppte Graydon Carter, der die sterbende Vanity Fair leitet, leitet auch das sterbende Waverly Inn – schlechtestes Essen in der Stadt.“ wurde umgehend auf die dortigen Speisekarten gedruckt.

Natürlich beleidigt man den Chefredakteur eines linksliberalen Magazins nicht, indem man seine Männlichkeit bezweifelt („Sissy“). Man würde Carter auch nicht beleidigen, wenn man ihn direkt schwul nennen würde – da in Carters (und meiner) Welt „Männlichkeit“ keinen Wert und „homosexuell“ foglich kein Werturteil darstellt.

Dass die Vanity Fair nicht der Economist ist (das einzige englischsprachige, global relevante Blatt, das in den letzten 20 Jahren an Auflage zulegen konnte) ist ebenfalls jedem in der Branche bekannt und keine Schande.

Würde ich jemanden wie Carter beleidigen wollen, spräche ich ihm z.B. journalistische Integrität ab, unterstellte ihm Frauenfeinlichkeit oder Bigotterie angesichts seines CO2-Fußabdrucks. Trump „beleidigt“ Carter anhand der einzigen Maßstäbe, die Trump kennt: Finanzieller Erfolg und Männlichkeit. Trump hat von „Integrität“ dieselbe Vorstellung wie mein Hund von „Kommunismus“. Seine Empathielosigkeit ist nahezu absolut. Im persönlichen Gespräch kann er wie jeder Narziss noch halbwegs erspüren, was sein Gegenüber hören mag (wie das Transskript des NY-Times-Interviews zeigt), aber schon auf einer minimal abstrakteren Eben versagt er vollkommen. Und das dürfte die größte Gefahr seiner Präsidentschaft sein. Er wird den Atomkrieg nicht morgens um drei wegen eines ärgerlichen Tweets beginnen (weil sein Verteidigungsminister die Codes nicht freischalten wird). Aber er wird manipuliert werden, von Freunden wie von Feinden der USA und des Westens. Die Psychostruktur eines dreizehnjährigen Narzissten mit ADHS ist wirklich nicht sonderlich kompliziert zu verstehen. Ich traue mir zu, ihn im privaten Gespräch um den Finger zu wickeln (Friedman hat ihn im Times-Interview in der Sekunde faktisch im Sack, in der er Trumps Golfplätze mit Umweltschutz verbindet, Lesebefehl!). Und ich habe im Gegensatz zu Wladimir Putin nicht beim KGB von der Pike auf gelernt, Menschen zu manipulieren.  Es wird interessant.