Es lebe der Hummer – tot oder lebendig!

Fünf Jahre, bevor der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace seinen Depressionen ein Ende machte und den Freitod wählte, schrieb er eine berührende Reportage über das Leiden des Hummers. Wallace hatte sich auf dem „Maine Lobster Festival“ umgetan, auf dem jedes Jahr mehr als 9000 Kilo frischer Hummer verzehrt werden.

Der größte Topf der Welt

Wie überall üblich, werden die Hummer auch in Maine in Transportkisten aufeinander gestapelt, an den Scheren verklebt (damit sie sich im Stress nicht kannibalisieren) und lebend gelagert. Bis sie Bekanntschaft mit dem „größten Topf der Welt“ machen. Das kochend heiße Wasser bewirkt, dass ein Protein im Panzer freigesetzt wird, welches für die typisch hummerrote Färbung zuständig ist. Niemand wird bestreiten, dass ein solches Ende für ein Tier, das in Freiheit leicht hundert Jahre alt werden kann, sehr traurig ist.

„Ich denke, man muss seine Vernunft schon nach allen Regeln der Rabulistik verbiegen, um in dem letzten Kampf des Hummers samt Deckelstemmen und An-den-Topfwänden-Kratzen etwas anderes zu sehen als ein Martyrium“, schrieb Wallace über das Festival, das Jahr für Jahr über 100.000 Gäste anzieht und zu den großen Attraktionen eines ansonsten eher ruhigen Bundesstaates zählt.

Kein Stirnhirn und doch Schmerzen

Hummer gehören zu den wenigen Tierarten, die in Ländern mit hohen Tierschutzstandards als Lebensmittel lebend in den Handel gebracht werden dürfen. Lange ging man davon aus, dass die zu den Krebstieren zählenden Meeresbewohner keinerlei Schmerzen empfinden, weil sie kein zentrales Nervensystem und kein Stirnhirn besitzen. So einfach scheint es aber nicht zu sein.

In wissenschaftlichen Versuchen zeigten Hummer Schmerz-Vermeidungsverhalten, ebenso wie Krabben, die den heller beleuchteten Bereich eines Aquariums mieden, wenn sie dort kurz vorher Elektroschocks ausgesetzt waren. Von Steingarnelen wird berichtet, dass sie sich die Fühler reiben, wenn die mit Säure in Berührung kommen. Einsiedlerkrebse suchen sich eine neue Muschel, wenn es ihnen vor der eigenen Haustür zu trubelig wird, was auf eine gewisse kognitive Leistungsfähigkeit schließen lässt. Wer zieht schon ohne Not um?

Berliner Gericht stellt sich vor den Hummer

Es ist deshalb richtig, dem Hummer und anderen Krebstieren mehr Mitgefühl entgegenzubringen. Dazu hat jetzt auch das Verwaltungsgericht Berlin die Großhandelskette Metro aufgefordert, die gegen Auflagen des Veterinäramts geklagt hatte. Laut Richterspruch muss Metro jedem Tier ab sofort mindestens 290 Quadratzentimeter Platz bieten. Das entspricht nicht einmal einer DIN-A4-Seite. Ein generelles Verbot des Lebendverkaufs oder des Bei-lebendigem-Leib-in-den-Topf-Werfens wollte das Gericht nicht aussprechen. Eine so weitreichende Entscheidung müsse der Gesetzgeber treffen.

Bis zu sieben Minuten dauert der Todeskampf des Hummers im kochenden Wasser, beobachtete Wallace auf dem Lobster-Festival. Man sollte überlegen, die Lieferkette so zu gestalten, dass nur noch das tote Tier gehandelt wird. Das stellt den Handel vor eine Herausforderung, denn das Fleisch von Krebstieren ist noch schneller verderblich als das von Fischen. Auf die rote Färbung des Panzers beim Servieren müssten Gourmets dann verzichten. Sie werden es verschmerzen.

In sieben Minuten ins Jenseits

Andererseits: Wer einmal einen sterbenden Menschen gesehen und dessen oft tagelangen Kampf samt Atemnot und rasselnder Lunge am Sterbebett miterlebt hat, ist vom siebenminütigen Topf-Martyrium des Hummers weniger beeindruckt. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich in Unkenntnis des mir einmal bevorstehenden Todeskampfes bereit wäre, diesen gegen ein siebenminütiges Gemetzel einzutauschen. Natürlich würde ich vorher nicht wissen wollen, auf welche Weise ich gemetzelt werde. Aber das erfährt der Hummer in seinem Fall ja auch nicht.

Es gehört zu den großen Zumutungen des menschlichen Lebens, vom Tod zu wissen, lange bevor dieser tatsächlich eintritt. Ungereimtheiten werfen die Sinnfrage auf, an der Menschen zerbrechen können. Als Menschenschützerin würde ich den Tierschützern zurufen, dass das Menschenleben hart, sehr hart ist und dass nur die Liebe und ab und zu ein schönes Essen uns über unser Schicksal hinwegtrösten können. Wenn man einmal von Drogen absieht, die auf Dauer bekanntlich keine Lösung sind und die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der großartige David Foster Wallace im Alter von nur 46 Jahren von uns gegangen ist.

Leider ist die Liebe nicht immer greifbar, wenn man sie dringend braucht. Ein gutes Essen ist es in unseren Breitengraden schon. Genießen wir es.

Hummer mit Vanille

3 Schalotten klein würfeln und in einem Topf mit 2 Esslöffel Butter weich dünsten. Einen Esslöffel Mehl hinzufügen und kurz anschwitzen. 1 Vanilleschote auskratzen und den Inhalt und die ausgekratzte Schote hinzugeben. 130 ml Fischfond und 130 ml Crème fraiche dazu geben und weitere fünf Minuten bei schwacher Hitze köcheln lassen. Vanilleschote entfernen, salzen und pfeffern.

Die Soße auf einem Stövchen zu servierfertigen Hummerhälften reichen.

 

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In ihrer Kolumne „Essen mit Ellen“ setzt sich Ellen Daniel mit kulinarischen Spezialitäten auseinander – und den kulturellen Hintergründen. Sämtliche bisher erschienene „Essen mit Ellen“-Beiträge finden sich hier.