Was den Fehler vom Fake trennt – und warum das wichtig ist.

Wir müssen über Fake News reden, bevor Fake zu News wird. Eigentlich ist der Anglizismus des Jahres ein sehr passender Begriff in einer Zeit, in der es trotz des freien Zugangs zu Wissen und Wahrheit geradezu en vogue ist, Desinformation und Lügen zu verbreiten und damit die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Nun herrscht auf allen Seiten des politischen und gesellschaftlichen Spektrums eine natürliche Sehnsucht, Meinungen erfolgreich zu beeinflussen. Das Experiment Pluralismus lebt von dieser Sehnsucht. Allerdings sollten die Grundlage dieses legitimen Strebens neben Fakten, die nicht verhandelbar oder alternativ, sondern eindeutig sind, klar definierte und anerkannte Begriffe sein. Eigentlich eindeutige Begriffe falsch, missverständlich oder inflationär zu verwenden, ist mindestens gefährlich, im schlimmsten Fall sogar eine ganz eigene Strategie im Meinungskampf. Weil sie zu Verwirrung führt.

Wenn jemand ein antisemitisches Gedicht veröffentlicht und dieses Gedicht daraufhin als antisemitisch kritisiert wird, dann ist dies nicht der Versuch, einem Autor „den Mund zu verbieten“, wie es dann gerne heißt. Dem Autor wird lediglich widersprochen, und das ist eine völlig legitime Reaktion, wenn jemand in der Öffentlichkeit eine kontroverse Meinung äußert. Widerspruch absichtlich mit mundtot machen zu verwechseln, ist ein rhetorischer Kniff, der dazu dient, die Debatte vom – haltlosen oder komplizierten – inhaltlichen Kern einer Aussage auf eine formale oder emotionale Ebene abzulenken. Der Kniff funktioniert leider oft. Leider, weil es die öffentliche Debattenkultur umso nachhaltiger zerstört, je häufiger jemand damit durchkommt. Von Facebook-Postings bis Talkshows ist es inzwischen akzeptabel geworden, Menschen als mutige Tabubrecher abzufeiern, obwohl sie weder ein Tabu gebrochen haben noch einer Gefahr ausgesetzt sind. In diesem Sinne ist die hier als Beispiel genannte Israel-Kritik, die nur vorgeblich tabuisiert ist, geradezu pathologisch. Aber es gibt dasselbe Phänomen auf viel mehr Ebenen und bei vielen Themen.

Zensur und Hausrecht

Eine ähnliche Verwechslung liegt vor, wenn der Unterschied zwischen Zensur und Hausrecht eingeebnet wird. Zensur ist eine in aller Regel von staatlichen Organen ausgehende Überprüfung von Meinungen und Informationen mit dem Ziel, die guten Sitten, die innere Sicherheit und/oder die staatliche Macht aufrechtzuerhalten. Wenn der Staat meine Post liest oder verhindert, dass diese Kolumne öffentlich wird, dann übt er Zensur aus. Wenn jedoch eine Zeitung auf ihrer eigenen Internetpräsenz Leserkommentare kürzt oder löscht, weil deren Tonfall oder Inhalt den Redakteuren nicht passt, dann ist das keine Zensur. Die Zeitung setzt lediglich ihre selbst gesetzten Regeln im eigenen Online-Garten durch. Ja, es gibt ein Grundrecht auf unflätige Meinungsäußerung, aber nein, es gibt kein Grundrecht auf unflätige Meinungsäußerung im Leserforum. Sorry. Weil solche Selbstverständlichkeiten nicht mehr selbstverständlich sind, besteht das „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Kartenhaus längst nicht mehr aus Karten. Es hat inzwischen tragende Wände – und steht jener Form von Debattenkultur im Weg, ohne die eine offene Gesellschaft ihre Konflikte nicht mehr zielführend auszutragen vermag.

Womit wir bei Fake News wären. Das englische Wort „Fake“ bezeichnet eine vorsätzliche Täuschung. Passend zum bevorstehenden Super Bowl: Im American Football gibt es Spielzüge wie den „Fake Punt“, mit dem der Gegner hereingelegt werden soll – in diesem Fall, weil er erwartet, dass der so genannte Punter beim vierten Versuch der Offensive wie üblich das Ei zur gegnerischen Defensive schießen wird. Stattdessen rennt der Punter aber plötzlich selber los oder wirft den Football überraschend zu einem Mitspieler. Das Team, das einen Fake Punt ausprobiert, macht dies nicht aus Versehen, sondern aus Kalkül – und hat den Spielzug vorbereitet.

Fake News sind dementsprechend gefälschte Nachrichten, die jemand mit voller Absicht verbreitet. Wer zum Beispiel schnell mit Google-Anzeigen Geld verdienen möchte, könnte eine Internetseite starten und darauf lauter erfundene, aber sich garantiert rasant verbreitende Geschichten stellen. Vom Obdachlosen, dem ein Millionär, der früher selbst obdachlos war, einen millionenschweren Scheck in den Hut gelegt hat bis zu dem armen Kind mit der seltenen Krankheit, dem wir zum Geburtstag gratulieren können. Wer seine politischen Gegner diskreditieren oder Wahlen beeinflussen möchte, der füttert Medien mit falschen Geheimdienstinformationen. Oder er erfindet Zitate und Horrormeldungen, die er praktischerweise auch gleich selbst veröffentlichen kann – ohne dafür Medien täuschen zu müssen.

Fehlerpresse und Lügenpresse

Das alles sind Fake News. Keine Fake News dagegen sind Falschmeldungen, die auf Irrtümern oder Versehen von Journalisten basieren. Wenn also Nachrichtenseiten für ein paar Minuten wegen eines Fehlers des Korrespondenten verkünden, das Bundesverfassungsgericht habe die NPD verboten, obwohl das Gegenteil stimmt, dann ist das zwar ein ärgerlicher Fehler. Aber kein Fake. Ein Fake ist immer Absicht. Das unterscheidet Fake News von der guten alten Zeitungsente, die zwar Absicht sein kann – es aber selten ist. Wäre es anders, dann hätten wir den Anglizismus ja gar nicht gebraucht. Entsprechend unzutreffend und vergiftend ist der Begriff Lügenpresse. Eine Presse, die fehlbar ist und immer wieder an ihren Standards arbeiten muss, ist etwas völlig anderes als eine Presse, die lügt. Und zuletzt, weil ich selbst solchen Unsinn neuerdings häufig lese, an all die Dauerempörten da draußen: Wenn ein Kommentar eine Meinung vertritt, die nicht Ihre ist, dann ist dies ebensowenig eine Fake News, wie ein Kommentar, der Ihrer Meinung entspricht, das Attribut „neutral“ verdient hat.

Wer miteinander diskutieren will, muss die Begriffe sauber definieren, die dafür benötigt werden. Allen voran sind die Profis – Journalisten, Politiker, Kommentatoren – dafür zuständig, kein Schindluder mit der Sprache zu treiben. Genau deshalb werde ich zickig, wenn mit Wörtern geschlampt wird. Ein Amoklauf ist keine Schießerei. Extremist und Terrorist sind keine Synonyme. Und ein Irrtum ist kein Fake. Die pluralistische Gesellschaft mit ihrem offenen Wettkampf der Meinungen ist ein sensibles Experiment, immer noch. Das sollte jedem bewusst sein, der aktiv an ihr teilnimmt. Wenn ein Chemiker im Labor bei seinen Experimenten mit verunreinigten oder falschen Substanzen hantiert, wird er nicht das gewünschte Ergebnis erzielen. Und wenn er Pech hat, jagt er den ganzen Laden in die Luft.

Ich habe mich nach längerem Hin und Her und mit Rücksicht auf a) Herkunft und b) Popularität für die Schreibweise Fake News entschieden, obwohl nach Dr.-Deutsch-Logik Fake-News oder sogar Fakenews richtiger wäre.