Die Gen-Chirurgie mittels CRISPR/Cas9 hat das Potenzial, das 21. Jahrhundert zu prägen – von der Züchtung krankheitsresistenter Pflanzen über die Bekämpfung von Malaria-Mücken bis zur Heilung von AIDS oder Chorea Huntington. Kritiker fürchten Risiken für Mensch und Umwelt.

Mit der Entdeckung der DNA-Doppelhelix wurde das „Buch des Lebens“ für die Menschheit erstmals sichtbar. Zwar war schon lange zumindest teilweise bekannt, nach welchen Prinzipien Eigenschaften von der Elterngeneration von Lebewesen an ihre Nachkommen weitergegeben werden – was man sich in der Züchtung von Pflanzen und Tieren zunutze machte –, doch erst seit 1952 weiß man, welche Struktur das Erbgutmolekül hat. Mit Erfindung der DNA-Sequenzierung wurde das Buch des Lebens mit seinen Buchstaben dann nicht nur sicht-, sondern auch lesbar.

Doch wer lesen kann, will irgendwann auch schreiben. Dies gelang mit Hilfe der Gentechnik. Bei der „klassischen“ Gentechnik werden fremde Gene bzw. Genkonstrukte in eine Zelle eingebracht. Bei Pflanzen wird dafür beispielsweise das Bakterium Agrobacterium tumefaciens verwendet, das die Eigenschaft besitzt, seine DNA in pflanzliche Zellen zu übertragen. Das Bakterium kann also als Fähre für den Transport fremder Gene in eine Pflanze verwendet werden. Bei einer anderen Methode wird das fremde Erbgut auf winzige Goldpartikel aufgetragen, die anschließend mit einer Genkanone in die Zelle geschossen werden. Auf diese Weise wurden zum Beispiel Gene aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis, die ein Protein produzieren, das für Insekten tödlich ist, in Mais eingepflanzt. Der so erzeugte Bt-Mais ist schädlingsresistent, weil er für Insekten giftig ist.

Das Problem dieser Methoden ist ihre Zufälligkeit: An welcher Stelle des Erbguts der Zielzelle die neuen Gene eingebaut werden, lässt sich nicht vorher festlegen. Um im Bild zu bleiben: Neue Wörter werden blind ins Buch des Lebens eingestreut und beim anschließenden Kopieren zufällig eingefügt. Kritiker der Gentechnik begründen ihre Sorge um mögliche Risiken gentechnisch veränderter Organismen (GVO) nicht selten mit dieser Zufälligkeit. Sie könne zu unvorhersehbaren Nebenwirkungen führen. Aus diesem Grund müssen GVO-Pflanzen sehr aufwändige und kostspielige Zulassungsverfahren durchlaufen. Das können sich nur große Konzerne leisten.

Superstars der Wissenschaft

Das „Genome Editing“ ist der nächste Entwicklungsschritt. Statt fremde Gene zufällig irgendwo im Erbgut einzubauen, ermöglicht das „Genome Editing“ gezielte, minimale Eingriffe in die DNA – ein Tintenkiller für das Buch des Lebens. Geläufiger sind allerdings Begriffe wie Gen-Schere oder Gen-Chirurgie. Die wohl bekannteste Gen-Schere, CRISPR/Cas9, machte ihre Erfinderinnen bzw. Entdeckerinnen, die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna, innerhalb kürzester Zeit zu Superstars der Wissenschaft.

Die beiden Forscherinnen wurden in den vergangenen Jahren mit Preisen geradezu überhäuft. Aus den Händen von Hollywood-Star Cameron Diaz und Twitter-Chef Dick Costolo nahmen sie im November 2014 im kalifornischen Blitzlichtgewitter den „Breakthrough Prize in Life Sciences“ entgegen – verbunden mit einem Preisgeld von umgerechnet 2,4 Millionen Euro.

Charpentier, die seit 2013 in Deutschland forscht – zuerst am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, seit Oktober 2015 als Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin – erhielt eine Humboldt-Professur, mit fünf Millionen Euro (über fünf Jahre) der am höchsten dotierte Preis für Forschung in Deutschland. Das britische „Time Magazine“ nahm sie 2015 in seine Liste der 100 einflussreichsten Personen des Jahres auf. „MIT Technology Review“ nennt CRISPR/Cas9 bereits die bedeutendste Biotech-Entdeckung des Jahrhunderts. Charpentier und Doudna galten 2016 zum zweiten Mal als die heißesten Anwärter auf den Chemie-Nobelpreis – und das obwohl ihre entscheidende Publikation noch keine fünf Jahre alt ist.

Allerdings tobt um CRISPR/Cas9 ein Patentstreit, was die Zurückhaltung des Nobelpreiskomitees erklären könnte. Solange dieser nicht geklärt ist, könnte die Vergabe des Nobelpreises als Einmischung des Komitees in den Patentstreit aufgefasst werden.

Bakterielles Immunsystem als Gentech-Werkzeug

Doch wie funktioniert CRISPR/Cas9? Ende der 1980er Jahre hatten Forscher im Erbgut von Bakterien kurze, sich wiederholende DNA-Sequenzen entdeckt, die später „clustered regularly interspaced, short palindromic repeats“ (deutsch: nahe beieinanderliegende, mit regelmäßigen Zwischenräumen angeordnete, kurze palindromische Wiederholungen), kurz: CRISPR, getauft wurden. Später fanden Wissenschaftler zwischen diesen Sequenzen Erbgutabschnitte, die von Bakteriophagen stammten, von Viren, die Bakterien infizieren.

Es stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Abschnitten um einen Teil des bakteriellen Immunsystems handelt: Die Bakterien hatten den Angriff eines Virus überstanden und einen charakteristischen Teil des Erbguts des Angreifers zwischen den CRISPR-Sequenzen im eigenen Erbgut gespeichert – eine Art molekulare Erinnerung an die Infektion, die es dem Bakterium bei einem erneuten Kontakt mit dem Virus ermöglicht, den Erreger zu erkennen.

Bei ihrer Arbeit mit Streptokokken entdeckten Charpentier und Doudna, dass in den Bakterien ein Protein namens Cas9 eindringende Viren zerschneidet. Sie fanden heraus, dass an Cas9 ein Molekül gebunden ist, das genau zur eingelagerten Viren-DNA zwischen den CRISPR-Sequenzen passt. Dieses Leitmolekül (Guide RNA) gleitet über das Erbgut eines eindringenden Virus, und immer, wenn eine Sequenz zu der auf dem Molekül passt, schneidet Cas9.

Charpentier und Doudna erkannten schnell das riesige Potenzial, das in diesem CRISPR/Cas9-System steckt. Denn bei dem Leitmolekül handelt es sich nicht um ein komplexes Protein, sondern um eine einfache Abfolge der vier RNA-Basen, die das Gegenstück zu den Bausteinen der DNA bilden. Eine solche Basensequenz lässt sich in beliebiger Kombination leicht synthetisieren und die Cas9-Schere sich entsprechend zu beliebigen anderen Abschnitten im Erbgut leiten – ein Universalskalpell für die Gen-Chirurgie.

CRISPR/Cas9 demokratisiert die Gentechnik

Zwar gab es bereits zuvor Verfahren für gezielte Eingriffe ins Erbgut, wie etwa TALENs oder Zinkfingernukleasen. Doch diese erfordern für jeden anvisierten Abschnitt in der DNA die Herstellung eines maßgeschneiderten Enzyms – ein sehr zeitaufwendiger und teurer Prozess.

„Das Crispr/Cas9-System ist billiger, effizienter, schneller und präziser“, fasst Emmanuelle Charpentier die Vorzüge des von ihr entwickelten Werkzeugs zusammen. Das hat die Gentechnik in gewisser Weise demokratisiert: Forschergruppen in kleinen Instituten überall auf der Welt können das System nutzen. „Die Revolution ist bereits im Gange. Viele Forscher haben auf genau dieses Werkzeug gewartet“, sagte Charpentier im Sommer 2014. Das belegen Hunderte von Publikationen, die schon bald nach dem Science-Artikel von Charpentier und Doudna erschienen.

Selbst kleine Start-Up-Unternehmen können sich diese Forschung leisten. Das führt nicht nur dazu, dass Gentechnik nicht mehr auf große internationale Konzerne wie Monsanto beschränkt ist. Es ermöglicht auch regionale Interessen in den Blick zu nehmen und beispielsweise Pflanzen zu entwickeln, die nicht auf einen globalen Markt zielen, sondern für die Bedingungen vor Ort optimiert werden.

 

Lesen Sie im zweiten Teil: Resistentes Getreide, sterile Stechmücken, Schweine-Transplantate, Heilung von Erbkrankheiten. In das „Genome Editing“ werden große Hoffnungen gesetzt.