Sie könnte AIDS heilen und Erbkrankheiten wie Chorea Huntington. Die Gen-Chirurgie mittels CRISPR/Cas9 hat das Potenzial, das 21. Jahrhundert zu prägen. In der Pflanzenzucht soll die Technologie die Ernährung der steigenden Weltbevölkerung sichern.

Die Entwicklung von CRISPR/Cas9 als Werkzeug zur gezielten Veränderung des Erbguts machte Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna zu Superstars der Forschung. Der Nobelpreis dürfte ihnen sicher sein.

Gene abschalten, ausschneiden, umschreiben

„Das System ermöglicht es, Gene auszuschneiden, zu tauschen oder zu verändern“, erklärt Charpentier. Denn der natürliche Mechanismus zur Reparatur von beschädigtem Erbgut in einer Zelle kann manipuliert werden. Auf diese Weise können zum Beispiel Gene ausgeschaltet oder inaktive Gene wieder aktiviert werden. Letzteres kann sinnvoll sein, wenn im Laufe der Züchtung hilfreiche Merkmale verloren gegangen sind.

Bei Pflanzen können das beispielsweise Resistenzen gegen Krankheiten sein, die in wilden Sorten vorkommen, nicht aber in modernen Hochleistungssorten. Die dafür verantwortlichen Gene sind noch immer im Erbgut vorhanden, wurden aber durch zufällige Mutationen deaktiviert.

Das Ausschalten von Genen wiederum kann in der Grundlagenforschung genutzt werden, um zu prüfen, welche Funktion diese Gene haben. In Nahrungspflanzen können Gene deaktiviert werden, die für die Produktion unerwünschter Proteine verantwortlich sind. Ein Beispiel sind Allergene in Erdnüssen oder die Polyphenoloxidase in Champignons, ein Enzym, das die Pilze braun anlaufen lässt. Solche Punktmutationen treten auch ganz natürlich ständig auf. Nach Entfernen der CRISPR/Cas9-Werkzeuge aus den Pflanzenzellen lässt sich daher im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob die Mutation technisch ausgelöst wurde oder sich auf natürliche Weise ereignete. Entsprechend hat die US-Lebensmittelbehörde USDA den CRISPR-Champignon bei ihrer Zulassung im Frühjahr 2016 nicht als GVO eingestuft.

Resistentes Getreide, sterile Stechmücken, Schweine-Transplantate

Ein anderes Beispiel ist Mehltau-Resistenz bei Weizen. Mehltau ist eine Pilzkrankheit, die weit verbreitet ist und viele Getreidearten befällt. Um in eine Pflanze einzudringen, nutzt der Pilz die Hilfe eines sogenannten MLO-Proteins. Wird das Gen, das für dieses Protein codiert, ausgeschaltet, dann wird die Pflanze resistent gegen die Krankheit. Allerdings ist Weizen hexaploid, was bedeutet, dass der doppelte Chromosomensatz dreifach vorliegt. Um die Pflanze resistent zu machen, müssen die MLO-Gene in allen Chromosomensätzen ausgeschaltet werden. Über die herkömmliche Züchtung und auch auch mittels klassischer Gentechnik ist das nahezu unmöglich.

„Genome Editing“ hingegen nimmt alle passenden Gene ins Visier – mit Erfolg. Chinesischen Forschern ist es mit TALENs und CRISPR/Cas9 gelungen, alle MLO-Gene im Weizen auszuschalten und so Pflanzen zu züchten, denen der Pilz nichts anhaben kann. In den USA werden bereits Feldversuche mit diesen Sorten durchgeführt.

Und die Anwendung ist keinesfalls auf Pflanzen beschränkt. Auch das Erbgut anderer Lebewesen wird editiert. Bei Ratten und Mäusen werden Gene abgeschaltet und verändert, um Hinweise auf deren Funktion zu erhalten. In Südamerika und Afrika wollen Wissenschaftler die Ausbreitung von Infektionskrankheiten verhindern, indem sie durch „Genome Editing“ veränderte Stechmücken freisetzen, die keine lebensfähigen Nachkommen produzieren können. In China wurde das Erbgut von Schweinen so umfangreich umgeschrieben, dass ihre Organe für Transplantationen geeignet sind. Sie bilden keine Antigene mehr aus, die beim Menschen Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Vor allem aber werden Bakterien in den Blick genommen: Sie werden in Bio-Reaktoren zur Herstellung interessanter Substanzen verwandelt oder per Gen-Schnitt an der richtigen Stelle ihrer Resistenz gegen Antibiotika beraubt.

Charpentier und Doudna haben diese Möglichkeiten zur Nutzung ihres Systems schnell erkannt. Auf den ersten Blick wirkt die zierliche Charpentier etwas schüchtern. Doch der Eindruck täuscht. Sie ist sich der Bedeutung und Tragweite ihrer Entdeckung bewusst. Bereits im Juli 2014 antwortete sie in einem Interview auf meine Frage, ob sie davon ausgehe, den Nobelpreis zu erhalten, mit einem einfachen und überzeugten „Ja“.

Hoffnung auf Heilung von Erbkrankheiten

„Grundlagenforschung und Anwendung gehören zusammen, auch wenn die Anwendung nicht vorhersehbar ist“, sagt die Mikrobiologin. Sie blicke immer auch aus einer praktisch-medizinischen Perspektive auf ihre Arbeit. Beide Wissenschaftlerinnen gründeten daher schon kurz nach ihrer Veröffentlichung im August 2012 Firmen, die das Werkzeug für therapeutische Zwecke einsetzen wollen. Charpentiers Unternehmen „CRISPR Therapeutics“ etwa entwickelt unter anderem eine Gentherapie gegen die erbliche Blutkrankheit Beta-Thalassämie. Die geht auf Punktmutationen im β-Globin-Abschnitt auf dem elften Chromosom zurück. Solche Mutationen ließen sich mit CRISPR/Cas9 reparieren.

Eine andere mögliche Anwendung in der Humanmedizin ist die Heilung von Chorea Huntington. Diese sich im Erwachsenenalter zeigende neurodegenerative Erbkrankheit entsteht durch eine mutierte Version des Proteins Huntingtin, das falsch gefaltet wird und dadurch vom Körper nicht mehr abgebaut werden kann. Huntingtin-Ablagerungen zerstören fortschreitend Zellen im Gehirn, was zunächst zu psychischen Störungen und unkontrollierbaren Bewegungen (früher Veitstanz genannt) führt. Die Krankheit endet immer tödlich.

Ursache des todbringenden Huntingtins ist eine Mutation auf dem kurzen Arm des vierten Chromosoms. Bei gesunden Menschen wiederholt sich in dem Abschnitt, der für das Huntingtin codiert, das Basen-Triplett CAG bis zu 35 Mal. Ab 36 Wiederholungen tritt Chorea Huntington auf. Diese Mutation muss lediglich auf einem der beiden vierten Chromosomen vorliegen, um die Erkrankung auszulösen.

Der genetische Auslöser der Krankheit ist also genau bekannt, was sie ideal eignet für eine Behandlung mittels Gentherapie. Tatsächlich berichteten Forscher im Oktober 2015 in „Science“, dass es ihnen gelungen ist, das entsprechende Gen in Mäusen mit CRISPR/Cas9 auszuschalten – was allerdings dazu führte, dass die Mäuse überhaupt kein Huntingtin mehr produzierten, weil die Allele in beiden Chromosomensätzen deaktiviert wurden. Welche Funktion das unmutierte Protein hat, ist noch nicht vollständig aufgeklärt.

Das Beispiel zeigt, wie rasant die Fortschritte beim „Genome Editing“ sind. Denn bereits im September 2016 gelang es einer anderen Forschergruppe, ihre Gen-Schere ausschließlich krankhaft mutierte Huntingtin-Allele anvisieren zu lassen und gesunde zu verschonen. Die Heilung von Chorea Huntington bei Menschen, die von ihren Eltern ein gesundes und ein krankmachendes Huntingtin-Allel vererbt bekommen haben, würde in greifbare Nähe rücken, sollte es gelingen, den gentechnischen Eingriff (bei vertretbaren Risiken) im Gehirn von Betroffenen durchzuführen. Die Alternative wäre ein gentechnischer Eingriff in die Keimbahn.

 

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Lesen Sie morgen im dritten Teil: Forscher betonen die Chancen der neuen Technologie, Kritiker sehen Risiken und warnen vor „Designerbabys“. Die Regulierung des „Genome Editing“ provoziert eine ethische Debatte.