Die Umweltverbände lehnen CRISPR/Cas9 in der Pflanzenzucht als „Gentechnik durch die Hintertür“ ab. Indessen diskutieren Forscher über Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Ist dies der Anfang eines Zeitalters der Gentechnik, in dem der Mensch seine eigene Evolution bewusst steuert?

Das „Genome Editing“ eröffnet ungeahnte Möglichkeiten in der Pflanzen- und Tierzucht, der Grundlagenforschung und der Humanmedizin. Dürretoleranz und Krankheitsresistenz könnten die landwirtschaftlichen Erträge für eine steigende Weltbevölkerung sichern. Neue Gentherapien stellen die Heilung von Erbrkankheiten in Aussicht.

Umweltverbände bleiben kritisch

Schöne neue Gentech-Welt also? CRISPR/Cas9 und Co. müssten aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften und Vorzüge den Gegnern der Gentechnik eigentlich viele ihrer Sorgen nehmen können. Tatsächlich hat der Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Professor Urs Niggli, öffentlich seine langjährige Ablehnung der Grünen Gentechnik abgelegt. Die neuen Methoden eröffneten gerade dem Bio-Landbau Möglichkeiten zur Züchtung ökologisch nützlicher Sorten.

Denn anders als bei der klassischen Gentechnik werden mit CRISPR/Cas9 keine fremden Gene, die womöglich von ganz anderen Organismen stammen, in die Pflanzen eingebracht. Stattdessen werden lediglich kleine Abschnitte im Erbgut geändert – Punktmutationen, wie sie entweder natürlich auftreten oder in der Mutationszüchtung mittels Strahlung oder chemischer Mutagene künstlich erzeugt werden. Solche erzwungenen Mutationen entstehen vollkommen zufällig irgendwo im Erbgut. Dennoch wird diese Methode anders als die Gentechnik nicht speziell reguliert. Das „Genome Editing“ hingegen ermöglicht das gezielte Auslösen solcher Mutationen.

Alles in allem bleibt die Umweltbewegung allerdings bei ihrer ablehnenden Haltung. Grüne Politiker warnen regelmäßig vor „Gentechnik durch die Hintertür“. Bioland und Demeter sahen sich zu Stellungnahmen zu Nigglis Aussagen genötigt, in denen sie klarstellten, dass CRISPR/Cas9 selbstverständlich Gentechnik darstelle und damit abzulehnen sei.

Forscher fordern Grenzen für Genome Editing

Unabhängig von dieser pauschalen Ablehnung äußern aber auch Genforscher selbst Kritik. So wies eine Gruppe renommierter Biologen in „Science“ auf die Gefahren des Missbrauchs von CRISPR/Cas9 hin. Erstautorin des Artikels war keine Geringere als Jennifer Doudna, die das Werkzeug selbst mitentwickelt hat. Sie und ihre Kollegen fordern ein weltweites Moratorium: Wissenschaftler sollen sich verpflichten, auf Eingriffe in die menschliche Keimbahn, also in Spermien, Eizellen oder Embryos, zu verzichten.

Kurz nach Erscheinen des „Science“-Artikels schlugen Forscher, die an der Entwicklung der Zinkfinger-Nukleasen beteiligt waren, im Fachmagazin „Nature“ in die gleiche Kerbe. Sie befürchten, dass Experimente in menschlichen Keimzellen diese Werkzeuge allgemein in Verruf bringen könnten. Die Techniken böten großes Potenzial zur Heilung von Krankheiten, schreiben die Autoren. Das Problem bei Eingriffen in die Keimbahn sei aber, dass sie anders als die üblichen Gentherapien nicht auf den behandelten Patienten beschränkt seien, sondern vererbt würden. Deswegen fordern die Wissenschaftler einen Verzicht auf solche Versuche und eine öffentliche Diskussion über die Grenzen der Gentechnik.

Die Dringlichkeit der Debatte zeigte sich schon einen Monat später: Eine chinesische Forschergruppe berichtete, dass sie mit Hilfe von CRISPR/Cas9 in nicht lebensfähigen menschlichen Embryonen das Gen, das die tödliche Blutkrankheit Beta-Thalassämie hervorruft, ausgeschaltet hätten.

Ein Grund für die Skepsis auch mancher Forscher ist das Problem der Off-Target-Schnitte: In seltenen Fällen schneidet das Cas-Enzym nicht nur an den anvisierten DNA-Abschnitten, sondern auch an ähnlichen Sequenzen an anderen Stellen im Erbgut. Solche Fehlschnitte zu entdecken und zu korrigieren bzw. den Eingriff zu wiederholen, ist bei Pflanzen problemlos möglich. Kritiker fürchten allerdings, dass es bei der Anwendung im Menschen, speziell in der Keimbahn, zu unvorhersehbaren Folgen durch solche Off-Target-Effekte kommen könnte. An der Lösung dieses Problems wird daher intensiv und durchaus erfolgreich geforscht.

„Als Genetikerin wurde ich schon früh in meiner Karriere mit den ethischen Fragen der Genveränderung konfrontiert“, erklärt Emmanuel Charpentier. Sie befürworte die Debatte in „Science“ und „Nature“ über „die Risiken und Vorteile präziser Genveränderungs-Techniken“, sehe in Europa aber keinen Handlungsbedarf.

Chancen und Risiken

Tatsächlich haben die meisten Staaten der EU und weitere europäische Nationen das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin unterzeichnet, das Eingriffe in die menschliche Keimbahn strikt reguliert. „Ein ausgiebiger, transparenter Dialog könnte zu einer Resolution führen, an die sich weltweit Wissenschaftler, Mediziner und die Industrie halten“, ist Charpentier überzeugt.

Doch das Ringen um mögliche Grenzen der Gentechnik ist kein Konflikt zwischen aufgeklärten Forschern im Westen und skrupellosen Wissenschaftlern in China. Auch in den USA und Europa lehnen Forscher Beschränkungen ab, die sie als willkürlich empfinden. Einer der renommiertesten Molekularbiologen der Welt etwa, der in Harvard forschende George Church, sieht keinen fundamentalen Unterschied zwischen der Veränderung des Erbguts von Nachkommen durch „Genome Editing“ und der durch das Verhalten der Eltern (das sich sowohl auf die Persönlichkeit als auch auf das Erbgut auswirken kann). Ein weiterer Aspekt ist die vorgeburtliche Diagnostik. Viele Eltern entscheiden sich für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn eine schwerwiegende Erkrankung des Ungeborenen festgestellt wurde.

Während Kritiker vor „Designerbabys“ warnen und entsprechende Vorbote fordern, kritisiert Church moralische Grenzen, die nicht überzeugend zu begründen seien. Die Trennung zwischen zulässigen Eingriffen in somatischen Zellen und unzulässigen Eingriffen in Keimzellen sei willkürlich. Stattdessen sollte man zwischen tödlichen und nicht tödlichen Allelen bzw. sicheren und unsicheren Therapien unterscheiden. Church betont darüber hinaus die Vorzüge von gentechnischen Eingriffen in Spermien und Eizellen (gegenüber der Veränderung von Embryonen).

Das Zeitalter der Gentechnik?

Emmanuelle Charpentier äußert sich da zurückhaltender. Doch auch sie fordert, die Chancen und Vorteile der Technologie nicht aus dem Blick zu verlieren. „Crispr-Cas9 ist revolutionär“, betont sie. Es sei wichtig, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass das System das Potenzial habe, Grundlagenforschung, Medizin und Biotechnologie entschieden voranzubringen.

Auf Basis des Vorsorgeprinzips stehen in Europa traditionell allerdings eher die Risiken im Mittelpunkt. Die ablehnende Haltung großer Teile der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik und die strengen Auflagen EU lassen eine Deregulierung des „Genome Editing“ unwahrscheinlich erscheinen. Und zum Entsetzen vieler Forscher hat die US-Regierung zwei Tage vor dem Ausscheiden Barack Obamas aus dem Amt einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der für  Zulassung von mit CRISPR/Cas9 veränderten Tieren dieselben strikten Auflagen vorsieht wie für die Zulassung neuer Medikamente.

Sollte die neue Trump-Regierung diese Entwürfe umsetzen, dürfte das die wirtschaftliche Nutzung des „Genome Editing“ im Westen bremsen. Doch die begonnene Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. In Forschungslaboren überall auf der Welt wird CRISPR/Cas9 eingesetzt und weiter optimiert. Das zielgenaue Umschreiben des Erbguts ist eine transformative Technologie – wie der Verbrennungsmotor oder der Computer. Sie hat das Potenzial, ein neues Zeitalter einzuläuten.

Hier finden Sie Teil 1 und Teil 2 des Artikels.