Seit einiger Zeit sind bei Pegida- und AfD-Anhängern „Lügenpresse“-Beschimpfungen in Mode. Als Umfrageforscher kennt man diese Art von Angriffen schon lange. Man muss, kann aber auch damit leben.

Die „Lügenpresse“-Beschimpfungen, die seit zwei. drei Jahren unter AfD- und Pegida-Anhängern in Mode sind, sind vielen Journalisten anscheinend gehörig in die Knochen gefahren. Sie hatten sich daran gewöhnt, andere zu kritisieren und gegebenenfalls heftig anzugreifen. Doch dass sie selbst der Gegenstand derart heftiger Angriffe sein könnten, hatten sich die meisten wohl nicht vorstellen können.

Wir Umfrageforscher sind da vermutlich etwas härter im Nehmen, denn wir sind es gewöhnt, pauschal der Lüge, Fälschung oder Manipulation bezichtigt zu werden. Es gibt, glaube ich, keinen größeren Artikel von mir, der im Internet veröffentlicht wurde, und bei dem sich in den Kommentarspalten nicht wenigstens ein Leser mit dem umwerfend originellen Satz verewigt hat, er glaube keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe. „Lügenpresse-“ bzw. „Lügenstatistiken“-Anwürfe sind für mich seit einem Vierteljahrhundert Alltag. Nicht selten übrigens sind die Urheber Journalisten.

Statistische Informationen können lästig sein

Vor ein paar Wochen wies mich David Harnasch auf Untersuchungen hin, wonach 68 Prozent der Trump-Anhänger glauben, dass die amtlichen amerikanischen Wirtschaftsdaten gefälscht seien und 55 Prozent der Briten der Ansicht sind, die Regierung „verberge die Wahrheit“ über die Zahl der Einwanderer im Land. Diese Zahlen sind nicht überraschend, und das dahinter stehende Verhalten ist sogar verständlich: Statistische Informationen können sehr lästig sein, denn sie zwingen einen aus den eigenen Vorurteilen heraus. Das ist sogar wohl ihre wichtigste Aufgabe: Sie zeigen, ob das Bild von der Welt, das man sich für sich selbst so einleuchtend im Hinterkopf zurechtgelegt hat, auch wirklich stimmt. Tut es das nicht, versuchen viele Menschen, lieber ihr Vorurteil zu retten, als die Information, die es widerlegt, zur Kenntnis zu nehmen.

Folgerichtig versuchen sie sich selbst und anderen einzureden, die Quelle der Information sei unglaubwürdig. Da ist dann angeblich die Statistik gefälscht oder Umfrage falsch durchgeführt. Von niemand anderem habe ich so viele und so ausführliche Vorträge über die Methoden der Umfrageforschung anhören müssen, wie von Leuten, die zwar keine Ahnung von Umfrageforschung hatten, denen aber irgendein Ergebnis nicht in den Kram passte.

Man muss Ergebnisse zur Kenntnis nehmen

Die Entschlossenheit, eigentlich unwiderlegbare Forschungsergebnisse nicht zur Kenntnis zu nehmen, kann beängstigende Züge annehmen. Ein Beispiel ist eine Podiumsdiskussion zum Stand der Deutschen Einheit, an der ich vor etwa drei Jahren teilnahm, Ich zeigte, dass sich die weltanschaulichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen in den vorangegangenen Jahrzehnten stark verringert hatten, dass es in Ostdeutschland aber nach wie vor starke Vorurteile gegenüber Westdeutschen gab. Auf dem Podium befanden sich eine Landespolitikerin, eine prominente Intellektuelle und eine Studentin, alle drei aus Ostdeutschland.

Die Landespolitikerin verkündete, dass die Umfrageergebnisse nicht stimmen könnten, weil es in ihrem Bundesland so schön dynamisch voranginge und sie noch nie etwas von Vorurteilen gegenüber Westdeutschen gehört habe. Die Studentin gab zu Protokoll, dass ihre Freunde ja ganz anderer Meinung seien als die Befragten, und dass deswegen wohl die falschen Personen befragt worden seien. Die Intellektuelle erkannte, dass die Zahlen nicht ganz wegzudiskutieren waren. Sie brauchte immerhin drei elegante Sätze um zu erklären, dass wenn Ostdeutsche Vorurteile gegenüber Westdeutschen hätten, dies allein die Schuld der Westdeutschen sein müsse. An den Gedanken, dass es wichtig sein könnte, die Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, verschwendete keine von ihnen auch nur eine Minute.

Wissenschaftler sind oft nicht besser

Dieses Verhalten findet man selbst in Teilen der Wissenschaft. Vor ein paar Monaten führten wir im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes eine Umfrage unter Professoren zur Lage an den Universitäten durch. Dabei stellte sich heraus, dass die allermeisten Befragten der Ansicht waren, dass Frauen bei der Besetzung von Stellen an der Universität heute keinesfalls mehr benachteiligt seien, sondern eher bevorzugt würden. Selbst die Professorinnen meinten mit einer – allerdings knappen – Mehrheit, dass Frauen mindestens die gleichen Karrierechancen an der Hochschule hätten wie Männer. In der Veröffentlichung fasste ich den Befund mit dem Satz zusammen, dass aus Sicht der meisten Hochschullehrer aus der früheren Frauendiskriminierung heute eine Männerdiskriminierung geworden sei.

Ich wusste ja, dass ich mit diesem Satz anecken würde. Doch ich war überrascht, von welcher Seite die Angriffe kamen, nämlich nicht von empörten Lesern, sondern aus den Hochschulen selbst. Ich erhielt geharnischte Aufforderungen, ich solle doch mal erklären, wie diese völlig unglaubwürdigen Ergebnisse zustande gekommen seien. Die ganze Methode sei ja sehr zweifelhaft. Das sei schon daran zu erkennen, dass die Zahl der befragten Frauen und Männer zusammengenommen (1148) nicht identisch mit der ausgewiesenen Gesamtzahl der Befragten sei (1149). Das stimmte: Eine Person hatte die Frage nach dem Geschlecht nicht beantwortet. Kein Vorwand war zu lächerlich, um ihn nicht zum Versuch der Diskreditierung der Umfrage zu gebrauchen. Alles nur, um das unliebsame Ergebnis nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.

Auf Dauer siegt die Wahrheit

Nun kannte ich solche Reaktionen ja gut, doch dass sie ausgerechnet aus Kreisen kamen, in denen Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit die Grundlage des Selbstverständnisses sein sollten, hat mich dann doch enttäuscht.

Wenn aber schon Wissenschaftler so reagieren, wie leicht muss es dann erst anderen Menschen fallen, Belege kurzerhand beiseite zu wischen, die die eigenen Vorurteile in Gefahr bringen, und sie kurzerhand als gelogen, gefälscht oder untauglich zu erklären. Mit den „Lügenpresse“-Anwürfen ist bei Teilen der Bevölkerung offensichtlich eine Hemmschwelle gegenüber der Presse gefallen. Doch die dahinter stehende Motivation ist wohlbekannt. Die tröstliche Botschaft des Umfrageforschers an den Journalisten ist, dass man sich an solche Anwürfe gewöhnen und damit leben kann. Man braucht nur Geduld. Auf Dauer hat die Wahrheit meistens doch die größere Glaubwürdigkeit.

 

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Thomas Petersen, Projektleiter am Institut für Demoskopie Allensbach, berichtet in der Reihe „Aufzeichnungen eines Erbsenzählers“ in unregelmäßigen Abständen über das Leben als Umfrageforscher. Die gesamte Erbsenzähler-Reihe kann hier nachgelesen werden.