Über Jahrzehnte wurde vor allem in den westlichen Staaten ein Klima der Angst aufgebaut. Die Welle der autoritären Politik, die sich gerade vor uns aufbaut, wird erst gebrochen, wenn die Menschen wieder mit Zuversicht und Selbstbewusstsein in die Zukunft blicken

Es begann Anfang der 70er: Die erste Ölkrise ließ in fast allen Staaten der westlichen Welt die Arbeitslosigkeit ansteigen. Das seit dem Ende des zweiten Weltkriegs anhaltende Wirtschaftswachstum, das die Menschen zu vorher unvorstellbarem Wohlstand gebracht hatte, ging zu Ende. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit machte sich breit und sollte bis heute nie mehr ganz verschwinden. Zeitgleich stellte der Report „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome das Wirtschaftswachstum in Frage. Ein weiteres Wachstum, so der Tenor des Reports, würde die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen ruinieren, ja, das Leben auf der Erde gefährden. Die gerade gescheiterten 68er griffen das Thema dankbar auf. Mit marxistischer Kritik am Kapitalismus war man gerade gescheitert. Kapitalismuskritik über das Umweltthema bot die Möglichkeit, endlich erfolgreich zu sein und größere Teile der Bevölkerung zu erreichen. Und mit dem Aufstieg des Umweltthemas ging eine bis heute wachsende Technikfeindschaft einher.

Im Bewusstsein der Menschen setzte sich der Gedanke fest, dass der Wohlstand nicht mehr wächst. Der Kuchen konnte also nur noch geteilt werden. Größer würde er nicht mehr. Fortan war jeder Zuwanderer ein Konkurrent um den Arbeitsplatz und nicht mehr jemand, der mit seiner Leistung zum weiteren Aufstieg des Landes beitragen würde.

Jede neue Technik wurde zunächst als Problem gesehen, ihre Chancen verkannt und heruntergespielt. Das Aufkommen der Computer in den 80er Jahren war begleitet von Warnungen, dass nun das Zeitalter orwellscher Überwachung beginnen würde. Vor allem in Deutschland fielen solche Vorstellungen auf fruchtbaren Boden: Während in den USA die linke Szene begann, eine regelrechte Computersubkultur aufzubauen, aus der schließlich Unternehmen wie Apple hervorgehen sollten, setzte man in Deutschland auf Verbote. Die grüne Bundestagsfraktion untersagte es ihren Mitarbeitern, private Computer auf der Arbeit zu benutzen.

Ungebildete Naturwissenschaftler

Überhaupt galt es nicht viel, wenn man sich mit Naturwissenschaften überhaupt nur beschäftigte. In seinem Besteller „Alles was man wissen muss“ behauptete der Autor Dietrich Schwanitz, naturwissenschaftliches Wissen gehöre nicht zur Bildung.

Zu den Ängsten um die Umwelt und vor der Technik kam Anfang der 80er-Jahre eine weitere hinzu: AIDS versetzte eine ganze Generation in Panik, beendete die sexuelle Libertinage, die seit den 60er Jahren das Zusammenleben der Menschen revolutioniert hatte. Sex wurde zu etwas Gefährlichem, Tödlichem und trug dazu bei, das Gesundheitsbewusstsein wachsen zu lassen. Und die Gesundheit erschien, trotz steigender Lebenserwartung, stärker bedroht als je zuvor. Durch immer genauere Messverfahren konnten wirkliche und vermeintliche Gifte nun in kleinsten Mengen nachgewiesen werden. Der Mensch schien nun von nahezu allem, was ihn umgab, bedroht.

Dem folgte auch die Politik. Die Weltgesundheitsorganisation änderte ihre Definition von Gesundheit. Gesundheit ist für sie „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Kurzum ein Zustand, den die wenigsten Menschen jemals länger als wenige Minuten bewusst erleben werden, denn irgendwas stört immer das vollkommene Wohlergehen.

Und als ob alle bislang beschriebenen Ängste nicht schon ausgereicht hätten, die Menschen zur Verzweiflung zu treiben, wurden sie durch die Postmoderne zusätzlich verunsichert: Alle westlichen Werte, Demokratie, Aufklärung, Emanzipation wurden relativiert. Hielt man als Bewohner des Westens zuvor diese Werte für gesichert und auch für Menschen in anderen Regionen der Welt für erstrebenswert, weil fortschrittlich und befreiend, waren sie nun kaum mehr als der Ausdruck längst vergangener Kolonialherrlichkeit und der Ausbeutung der Menschen auf der Südhalbkugel. Der Kulturrelativismus ging einher mit einem bereits durch die Umweltbewegung aufgekommenen Kult um die Betroffenheit. Niemand musste mehr begründen, warum er sich von jemandem oder etwas bedroht oder herabgesetzt fühlte. Es reichte aus, das Gefühl auszusprechen. Debatten wurden fortan schwieriger, der Verstand wich dem Gefühl, die Verunsicherung nahm zu.

Der Giftcocktail

Die beschriebene Mischung, das Ergebnis aus der gesellschaftlichen Entwicklung der vergangenen 40 Jahre, erweist sich nun als Giftcocktail. Egal, welche Seite des politischen Spektrums wir uns betrachten: Fast allen gelten neue Verbote und Gebote als die Lösung aller Probleme. Und es werden die Politiker und Parteien gewählt, von denen man glaubt, dass sie die jeweils gewünschten Regeln am härtesten durchsetzen.

Abtreibungsverbote, der Eifer, mit dem Gentechnik und jede Form von Nukleartechnik bekämpft werden, Eingriffe in die Lebensführung wie Rauch-, Trink oder Essverbote, der Kampf gegen Handelsabkommen wie TTIP, TTP und CETA, die gesteigerte Bedeutung von Religionen, die kaum mehr kritisiert werden können, der Betroffenheitskult, Verschwörungstheorien, Hass auf  Minderheiten und ihre gleichzeitige Verklärung  – die unterschiedlichsten, zum Teil gegensätzlichen Strömungen kommen heute zusammen und bilden die Grundlage für eine immer autoritärere Politik. Die persönlichen Freiheiten sind ebenso bedroht, ja werden zum Teil verachtet, wie die Freiheit der Wissenschaft und die öffentliche Debatte.

Keine Angst

Die Welt ist dabei, in Hass und Armut zu versinken und auch Kriege in einem Umfang, wie man ihn seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr für möglich gehalten hat, scheinen nicht mehr undenkbar zu sein. Die Kultur der Aufklärung, eine ganze Zivilisation, die auf Freiheit, Vernunft und Selbstbestimmung aufgebaut war, ist bedroht. Und was tut man in einer Situation, in der alles, was einem wichtig ist, bedroht wird?

Man geht zum Angriff über.

Selten konnte man die Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen autoritären Lagern so deutlich aufzeigen: Gegen Freihandel sind sie alle, auch wenn sie betonen, dass ihre Gründe dagegen zu sein unterschiedlich sind. Sie haben alle eine sehr genaue Idee davon, wie Menschen zu leben haben, was sie tun dürfen und was nicht. Ihnen allen ist die Verachtung des Individuums gemeinsam. Es gibt in ihrer Welt nicht Frau Hassan mit ihren eigen Wünschen, Plänen und Ansichten, es gibt nur „die Muslime“ – wahlweise als Bedrohung oder als Objekt paternalistischer Phantasien. Es gibt keine freie Wissenschaft oder freie Kultur, die sich ihre Forschungsthemen, Objekte und Denkansätze selbst auswählt und offen diskutiert, sondern nur Institutionen, die einem vorgegeben Ziel zu folgen haben. Es gibt in dieser Welt keine Meinungsfreiheit, sondern nur feindlich gesteuerte „Organe“ und Claqueure.

Wie die Angstgesellschaft der vergangenen Jahrzehnte kennen auch die autoritären Gesellschaften auf lange Sicht nur Verlierer. Ja, nicht einmal die Angst der Menschen wird weniger, denn autoritäre Systeme leben davon, die Menschen in Angst zu halten. Und noch eines haben sie gemeinsam: Sie sind auf Dauer nicht stabil, in ihnen können die gesellschaftlichen Konflikte nicht gelöst, sondern nur unterdrückt werden.

In den nun kommenden Auseinandersetzungen haben die Freunde der offenen Gesellschaft nicht nur alle Argumente auf ihrer Seite, sie wissen auch um das Scheitern ihrer Gegner. Es ist also an der Zeit, nicht mehr nur defensiv zu sein. Es ist an der Zeit, davon zu erzählen, was nach dem Scheitern der autoritären Modelle kommen wird. Ein zurück zur Angstgesellschaft darf es nicht geben, sie ist die Ursache für die heutigen Probleme. Wir sollten die Phantasie der Menschen wecken, wie es sein könnte, in einer Gesellschaft zu leben, die mit Zuversicht und Mut ihre Probleme angeht, in der freie Menschen über sich selbst und gemeinsam mit anderen entscheiden und in der keine Angst mehr das Leben und Denken lähmt. Erzählt den Menschen von der Freiheit.