Das NetzDG oder “Netzdurchsetzungs-Gesetz”, das der Bundestag beschlossen hat, soll uns vor Hasskommentaren schützen. Die Politik reagiert damit auf die immer größer werden Welle an Hass und Diffamierung, Gewaltandrohung und Rassismus in sozialen Netzen. Allerdings wird es wohl nie in Kraft treten.

Braucht es neuen Paragraphen, die Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder Mobbing im Internet gesondert behandeln? Eigentlich nicht. Denn dafür gibt es bereits Gesetze und sie machen richtigerweise keinen Unterschied zwischen Hass im Netz und Hass per Telefon, Brief oder auf der Strasse.

Das Problem der Politik ist ein anderes: Die Anzahl an Straftaten, die als Hassverbrechen eingeordnet werden müssen, nehmen überhand. Die Polizei und Staatsanwaltschaft sind schlicht nicht mehr in der Lage, die tägliche Hassflut zu bearbeiten.

Noch nie wurde in der Menschheitsgeschichte so viel geschrieben wie heute. Netzwerke wie Facebook und Twitter haben einen großen Anteil an dieser Textexplosion und den Textfragmenten aus der Feder von jedermann. Leute, die früher nie einen Stift in die Hand genommen hätten, außer um kitschige Grußkarten an die Familie zu Weihnachten zu schreiben, kotzen sich jetzt nicht mehr nur verbal am Stammtisch aus, sie müllen mit ihren Gedanken täglich die sozialen Netze voll.

Diese wiederum haben schon immer mit “Gemeinschaftsstandards” versucht, ihre Plattformen einigermaßen sauber zu halten. Allerdings denken sie dabei wirtschaftlich und nicht moralisch. Gesperrt wurde bisher, was viele Beschwerden nach sich zieht oder was eben gesetzlich problematisch ist. Daher hat Facebook so ein gewaltiges Problem mit Nippeln weiblicher Brüste, reagiert panisch bei Islamophobie und hat so wenige Sorgen bei Hassaufrufen gegen Juden. Sie sind rechtlich selten problematisch und quantitativ nicht relevant.

Schützt das NetzDG Minderheiten?

Sollten Juden wie ich sich da nicht freuen, wenn der Staat endlich etwas unternimmt?

Nein. Das Gesetz führt schon wie bei den Paragraphen gegen Nippel zu Overblocking und trifft wieder hauptsächlich die Falschen. Das Verschwindenlassen von strafrechtlich relevanten Postings verschleiert Straftaten und behindert damit aktiv ihre Ahndung.

Die Politik hat das Internet noch immer nicht verstanden. Wer zensiert, der wird umgangen und wechselt zu Alternativen wie gab.ai, die damit werben, nichts zu löschen, was nicht zum Terror aufruft oder illegale Pornographie enthält. Und wenn auch die ins Visier der Zensurbehörden geraten, zieht die Karawane der User eben weiter zum nächsten Anbieter.

Overblocking in der Realität

So sieht das Overblocking in der Realität aus: Ich wurde auf Twitter geblockt, weil ich in einer theologischen Diskussion darauf hingewiesen habe, dass wir als Juden nach der Thora Amalek töten müssen. Amalek, das Volk, von dem kein Geschichtswissenschaftler überhaupt weiß, ob es jemals existierte und das nur in der Bibel vorkommt.

Man kann den Moderatoren bei Twitter nicht vorwerfen, nicht bibelfest zu sein. Man kann ihnen nicht mal vorwerfen, dass sie keine Zeit hatten, die ganze Diskussion zu lesen, was es erklärt hätte. Aber ich habe eine Woche auf eine Antwort gewartet, die nicht kam. Meine Beschwerde wurde stillschweigend verworfen. Eine Woche, in der ich mich weigerte, auf den Löschen-Knopf zu drücken, um Zugriff auf mein Twitter-Konto zurückzuerlangen.

Dieser Knopf ist eine reine Erziehungsmaßnahme. Der Tweet ist längst gelöscht. Durch meinen Klick nehme ich die Verantwortung für das Löschen auf mich, ob ich nun will oder nicht. Facebook betreibt Benutzererziehung anders und ermahnt mit Strafauszeiten. Als Nutzer hat man kein NetzDG auf seiner Seite, um falsche Löschungen anzufechten.

Privatwirtschaftlich betriebene Zensurbehörde

Dieses Hausrecht der Anbieter wird nun gesetzlich untermauert. Mit anderen Worten: Der Staat betreibt Outsourcing und macht den Bock zum Gärtner. Die Hoheitsaufgabe eines Staates, nämlich Recht und Unrecht zu sprechen und zu ahnden, wird den Unternehmen überantwortet, die das Problem erst haben aufkeimen lassen. Das NetzDG erlaubt ausdrücklich einen Zusammenschluss der Unternehmen für die Sperren. Es wird also eine privatwirtschaftlich betriebene Zensurbehörde gefördert. Wem das nicht absurd vorkommt, sollte sein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie neu justieren.

Wenn es nach dem NetzDG geht, haften nicht nur die Anbieter der Plattformen, sondern auch die Teamleiter der Zensoren mit ihrem Privatvermögen für unterlassene Löschungen. Ich werde keinem dieser Menschen jemals vorwerfen, Overblocking zu betreiben um ihre eigenen Ersparnisse zu retten.

Der Schaden ist angerichtet

Ich vertraue auf das Verfassungsgericht. Das Gesetz ist nach Meinung von Rechtsexperten verfassungswidrig und, was vielleicht sogar noch schlimmer ist, europarechtswidrig. Daher wird es wohl nie in Kraft treten. Dennoch hat es Schaden angerichtet. Die Plattformen blocken panisch, denn sie haben Angst, dass doch noch ein anwendbares Gesetz kommen wird. Der politische Wille ist erwiesenermaßen da.