Einer Schülerin wird wegen ihres“Refugees Welcome“-Pullovers der Einlass in das Parlament verwehrt. Skandalös ist das nicht.

Es war nicht der erste Vorfall. 2009 besuchte eine Schülergruppe aus Hessen den Grünen Bundestagsabgeordnetetn Omid Nouripour. Weil aber einer der Schüler ein T-Shirt mit dem Slogan „Make love, not war“ trug, bekam er Probleme mit dem Sicherheitsdienst. Der junge Mann musste sein Kleidungsstück falsch herum anziehen, sodass die Hippie-Parole nicht mehr zu sehen war. In einem Beschwerdeschreiben berichtete Nouripour auch von einem anderen Fall: Ein Schüler wurde aufgefordert, seine Jacke zu schließen, um einen roten Stern auf seinem T-Shirt zu verdecken. Einige Jahre zuvor musste ein Mitglied der Linkspartei-Jugendorganisation ein T-Shirt ausziehen, das ein Hakenkreuz zeigte, welches von einer Faust zerschlagen wird.

Nun traf es erneut eine Jugendliche. Auf ihrer Facebook-Seite postete die Pädagogin Lamya Kaddor das Foto eines Mädchens mit einem „Refugees Welcome“-Pullover. Diese habe wegen des Aufdrucks nicht mit ihrer Klasse den Bundestag besuchen dürfen. Kaddor fügte an: „Wo leben wir eigentlich?“ 

Wir leben in einem Rechtsstaat. Zwar heißt es in der Hausordnung des Bundestages lediglich: „Es ist nicht gestattet, Spruchbänder oder Transparente zu entfalten“, und: „Während der Sitzungen sind Beifalls- und Missfallenskundgebungen, Zwischenrufe, Verletzungen von Ordnung oder Anstand sowie Handlungen, die geeignet sind, den Ablauf der Sitzungen zu stören, untersagt.“

Dennoch hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2013 ausgearbeitet:

„Nach Auskunft des Polizei- und Sicherungsdienstes der Verwaltung des Deutschen Bundestages“ werde von den Besuchern erwartet, „dass ihr Auftreten und Verhalten keine Störungen hervorrufen könne. Dazu gehöre auch, dass von Besuchern innerhalb der Gebäude erwartet werde, sich politisch neutral zu verhalten und dementsprechend auch keine Kleidung mit politischen Willensbekundungen zu tragen. Damit solle erreicht werden, dass der Prozess der politischen Entscheidungsfindung in den dafür vorgesehenen parlamentarischen Gremien unabhängig vom ‚Druck der Straße‘ erfolge.“

In den allgemein zugänglichen Räumen der Bundestagsliegenschaften solle „eine sachliche Arbeitsatmosphäre“ gewährleistet werden. „Dies werde in der Praxis beim Zutritt grundsätzlich so gehandhabt, dass die Personen beim Betreten der Liegenschaften vom Einlasskontroll- oder Sicherheitspersonal gebeten würden, das entsprechende Kleidungsstück oder Button abzunehmen und am Eingang zu hinterlegen oder für die Dauer des Besuchs verdeckt zu tragen, so dass es von anderen nicht wahrgenommen werden könne.“ (Hier geht’s zum Dokument)

„Soviel zum Thema Willkommenskultur…“

Das ist nun gerade das Gegenteil einer skandalisierungsfähigen Verordnung, ganz gleich, wie viele Ausrufezeichen die Kommentatoren unter Kaddors Post in ihrer Rage abfeuern. „Die ‚Dame‘, die das verlangt hat, hat offensichtlich den falschen Arbeitsplatz“, ist sich eine Userin dort sicher. „Soviel zum Thema Willkommenskultur…“, sinniert eine andere, offenbar in völliger Unkenntnis des Merkelschen Pragmatismus in der Flüchtlingskrise. Doch nicht nur Laien platzt ob der Durchsetzung allgemein bekannter Regeln der Kragen. Auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf, die es eigentlich besser wissen müsste, findet: „Das ist ja absurd“.

Dieser Logik folgend dürften Kaddor, Giousouf und Co. die Restriktionen gegen Neonazis noch absurder erscheinen. Ihnen ist nämlich nicht nur das Tragen von Kleidungsstücken mit rechten Symbolen und Parolen untersagt: Mit „Thor Steinar“ unterliegt eine ganze Kleidungsmarke – unabhängig vom Aufdruck – dem Bann der Ordnungshüter.