Der Iran und Saudi-Arabien sind die beiden großen Kontrahenten im Nahen Osten. US-Präsident Trump hat sich wieder den Saudis zugewandt, während sein Vorgänger Obama mehr auf Gespräche mit dem Iran setzte. Thomas von der Osten-Sacken beschäftigt sich seit Jahren als Journalist mit dem Nahen Osten und ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation Wadi e.V. Er sieht im iranischen Regime die größte Gefahr. Das Interview führten wir mit ihm via Skype. Thomas von der Osten-Sacken ist zur Zeit im Irak.

Salonkolumnisten: Die Wiederwahl Hassan Rouhanis zum iranischen Präsidenten wurde zum Teil in der Öffentlichkeit als Zeichen des Fortschritts wahrgenommen, er gilt als Reformer. Saudi-Arabien derweil, ein Land, dessen Regime nicht weniger brutal agiert als das iranische, steht weiterhin im Fokus der Kritik.

Thomas von der Osten-Sacken: Ich kann nicht verstehen, wie man Rouhani als Reformer bezeichnen kann. Es gab keine nennenswerte Reform in seiner ersten Regierungszeit. Und auch wenn er Reformen durchsetzen wollte, würde ihm das kaum gelingen: Die Macht im Iran liegt nicht beim Präsidenten, sondern bei Ajatollah Sejjed Ali Chāmene’i, dem Obersten Religionsführer des Landes.

Der Iran ist ein hochaggressives Land, es ist ein auf Expansion ausgerichtetes revolutionäres Regime, das militärisch direkt oder indirekt in Syrien, dem Libanon und dem Jemen aktiv ist und die Vernichtung Israels nicht nur als politisches Ziel hat, sondern durch die Unterstützung von Terrorgruppen wie der libanesischen Hisbollah auch aktiv an der militärischen Umsetzung dieser Vision arbeitet.

Saudi-Arabien ist ein erzreaktionäres wahabitisches Königreich, das seit 1979 auch als Reaktion auf die Islamische Revolution 87 Milliarden Dollar in djihadistische Terrorgruppen gepumpt hat. Aber von seiner Struktur her ist Saudi-Arabien konservativ. Dem saudischen Königshaus geht es vor allem um sein eigenes Überleben. Unterm Strich sind beides widerliche Regime.

Gibt es denn in Saudi-Arabien wirkliche Reformen?

Die Saudis haben eine Reform-Agenda – die „Vision2030“ – entwickelt. Die Grundüberlegung ist, dass den Saudis irgendwann das Öl ausgeht. Sie müssen ihre Wirtschaft innerhalb von 20 Jahren umstellen. Unter den heutigen Bedingungen ist das nicht möglich. Und an den düsteren Bedingungen in Saudi-Arabien haben sich ein paar Dinge verändert. Was nach wenig aussieht, bedeutet in der saudischen Realität viel. Frauen dürfen jetzt zum Beispiel bei Kommunalwahlen kandidieren.

Die Saudis haben nach dem 11. September auch begriffen, dass die Djihadismus-Finanzierung zum Bumerang werden kann. Al-Qaida hatte ja wegen Osama bin Laden starke saudische Wurzeln und wurde vor zehn Jahren in Saudi-Arabien zerschlagen. Das alte Spiel – wir finanzieren Djihadisten weltweit und haben dafür zuhause unsere Ruhe – hat nicht funktioniert. Der Staat unterstützt Terrorgruppen nicht mehr. Religiöse Stiftungen machen trotzdem weiter, und die sind nicht so einfach zu kontrollieren.

Warum können die Saudis eine finanzielle Unterstützung von Terrorgruppen nicht unterbinden?

Das liegt an der Struktur des saudischen Staates. Saudi Arabien ist eine Melange aus dem Haus Saud und den Wahabiten, einer von dem Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhabs begründeten radikalen Schule des Islams. Zwischen dem Klerus der Wahabiten und dem Haus Saud gibt es eine Kooperation, aber auch immer wieder Spannungen.

Das Königshaus ist für Reformen offen, wenn sie dem eigenen Überleben dienen.Die wahabitischen Kleriker drohen mit Aufständen, wenn ihnen die Reformen zu weit gehen. Genau das geschieht zurzeit: Das Königshaus macht den USA Avancen – und auch Israel. Innerhalb des Klerus gibt es dagegen einen enormen Widerstand. Die Wahabiten sind ja von ihrer Ausrichtung her nahe am islamischen Staat.

Das Königshaus will überleben

Salonkolumnisten: Wie weitreichend sind die Reformen in Saudi-Arabien?

Saudi-Arabien ist ein intransparentes Land, man weiß wenig davon, wie es im Inneren zugeht. Aber es gibt auch Veränderung: Viele junge Saudis studieren im Ausland, vor allem in den USA und Großbritannien. Sie kehren mit anderen Vorstellungen zurück ins Land und die saudische Gesellschaft ist, wie die der anderen Golfstaaten, eine sehr junge Gesellschaft. Auf einen Teil üben die radikalislamischen Gruppen zwar einen Reiz aus. Andere wünschen sich hingegen ein freieres Leben ohne die ganzen Restriktionen.

Diese gesellschaftliche Entwicklung geschieht in einer Zeit, die für Saudi-Arabien geopolitisch schwierig ist. Die Bedrohung durch den Iran hat durch den Rückzug der USA aus der Region unter Barack Obama zugenommen, der das enge Verhältnis zwischen den beiden Staaten ja aufgekündigt hatte. Ein Teil des Königshauses versucht ganz langsam, verschiedene Veränderungen und Reformen voranzubringen, ohne einen Aufstand der Wahabiten zu riskieren. Die Besetzung der heiligen Stätten 1979 durch radikale Islamisten, die versuchten, einen Gottesstaat zu gründen, hat sich tief in das Gedächtnis der Regierenden eingebrannt.

Saudi-Arabien ist ein fürchterliches Land, aber das Königshaus will überleben und es ist dafür bereit, Zugeständnisse zu machen. Ajatollah Chāmene’i würde nie Zugeständnisse machen. Sowas ist absolut undenkbar.

Der Iran ist ja nicht so abgeschottet wie Saudi-Arabien. Viele Iraner, gerade bei den jüngeren, scheinen ja sehr westlich orientiert zu sein. Mit dem Regime können die doch nichts mehr anfangen. Wieso hält es sich trotzdem?

Die junge iranische Bevölkerung stimmt mit dem Regime nicht überein, aber es gibt keine funktionale Opposition mehr. Die Aufstände 2009 wurden niedergeschlagen und seitdem ziehen sich die Menschen ins Private zurück. Nach außen halten sie sich an die Regeln. Genaue Lagebeschreibungen aus Saudi-Arabien sind schwieriger, aus dem Iran heraus wird mehr kommuniziert.

Aber auch in Saudi-Arabien hat sich vieles geändert. Gerade die jüngere Generation ist gut ausgebildet. Und auch die Unis in den Golfstaaten haben mittlerweile einen hohen Standard. Der Widerspruch zwischen dem Wissen um die Außenwelt und dem Leben in Saudi-Arabien wird immer größer.

Könige sind „falsche Herrscher“

Wie werden sich diese Konflikte entwickeln?

Alle Länder am Golf sind autoritätshörig. Deshalb kommen Veränderungen oft von oben. In Saudi-Arabien läuft inzwischen immerhin eine der Prinzessinnen ohne Kopftuch herum und engagiert sich als Frauenrechtlerin. Das wäre im Iran undenkbar. Auch die wenigen Saudis, die ich persönlich kenne, sagen, es gebe eine Willen zur Veränderung, nur müsse sie langsam geschehen. Wenn es zu schnell geht, kann der Widerstand aus dem klerikalen Lager zu einem Bürgerkrieg führen.

Die offizielle Politik der „Vision2030“ ist eine Reaktion des Königshauses auf die unterschiedlichen Bedrohungen, denen es sich seit dem arabischen Frühling ausgesetzt sieht: Muslimbrüder wollen die Macht durch Wahlen erreichen und der „Islamische Staat“ will eine Gesellschaft ohne Königtum. Im Islam gibt es ja eigentlich nur das Kalifat, Könige sind streng genommen „falsche Herrscher“.

Dazu kommt die Bigotterie der Prinzen, die im Ausland saufen und huren, was ja auch im Land selbst bekannt ist. Hinzu kommen dann der Konflikt mit dem Iran, der fallende Ölpreis, die zu Ende gehenden Ölreserven – das alles zwingt die Saudis zu handeln. Das Modell der Rentiersgesellschaft kommt zu seinem Ende. Alle Staaten am Golf versuchen neue Wirtschaftsformen zu etablieren: Die Emirate setzen auf Banken, Qatar verstärkt auf Bildung seiner eigenen Bevölkerung.

Und wie schätzen Sie die Entwicklung im reformresistenten Iran ein?

Wenn Ajatollah Chāmenei stirbt, was angesichts seiner Krebserkrankung schon bald passieren könnte, bekommt der Iran ein großes Problem. Der Altersdurchschnitt derjenigen, die heute bei den Wahlen antreten, ist sehr hoch. Unter den Jungen gibt es kaum noch islamische Revolutionäre. Der Iran hat riesige wirtschaftliche, ökologische und soziale Probleme und es gibt viele Demonstrationen, von denen wir kaum etwas hören.

Die entscheidende Frage, sowohl was den Iran als auch was Saudi-Arabien betrifft, ist: Wie reformfähig sind diktatorische Regime? Taiwan und Südkorea haben es in der Vergangenheit geschafft, sich aus Diktaturen heraus zu halbwegs freien Gesellschaften zu entwickeln. Viele Experten gehen davon aus, dass Saudi-Arabien eine solche Transformation gelingen kann, ohne dass die alte Herrscherelite gestürzt wird.

Ob das auch im Iran gelingen kann, ist eine andere Frage. Der Iran wurde von Ajatollah Chomeini 1979 als revolutionärer Staat, als „Islamische Republik“ neu geschaffen. Und die halte ich nicht für reformfähig. Endet die Ära der Ajatollahs, müsste der iranische Staat wohl auf einer nicht-islamischen Basis neu erfunden werden.

Der Iran ist Israels Todfeind

Welche Bedeutung hatte der Trump-Besuch für die Saudis?

Für die Saudis ist die Welt jetzt erst einmal wieder in Ordnung. Ich bin kein Freund des alten Bündnisses der USA mit Saudi-Arabien, es hat in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet. Aber man konnte auch Töne hören, die einen deutlichen Willen zeigten, mit Israel nicht nur, wie seit Jahren, inoffiziell zusammen zu arbeiten. Selbst ein Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Israel auf dem Niveau, wie es zwischen Israel und Jordanien und Ägypten existiert, scheint möglich.

Die Forderungen der Saudis sind sehr moderat: Israel soll den Siedlungsbau einfrieren, Gaza für den Eisenbahnverkehr öffnen und wieder mit den Palästinensern verhandeln. Das sind klare Zeichen, dass die Saudis und die anderen Golfstaaten eine Art Frieden mit Israel anstreben. Unter US-Führung könnte nun sogar ein sunnitisch-israelischer Militärblock entstehen und der würde die Spielregeln in der ganzen Region verändern.

Obama hat versucht, den Iran zu appeasen und ist damit gescheitert. Trump setzt wieder auf die alten Bündnisse. Das liegt im Interesse der USA, Israels und der Araber. Aus israelischer Sicht ist Saudi-Arabien – obwohl es ein wahabitisches Land ist, in dem Judenhass gepredigt wird – viel eher ein Alliierter als der Iran. Der Iran ist Israels Todfeind.

Assad, die Hisbollah und der Iran, sie alle arbeiten eng zusammen und sind sich in dem Ziel, Israel zu vernichten, einig. Doch das stört viele nicht – egal, ob in der politischen Linken oder Rechten. Nur Saudi-Arabien zu kritisieren ohne zu reflektieren, dass das im Interesse des Irans und Russlands ist, bedeutet, auf Kriegspropaganda hereinzufallen. Sicher, vieles ist widerwärtig im Alltag Saudi-Arabiens, aber das kann kein Grund sein, sich auf eine Seite mit den Anhängern Assads und des Irans zu stellen und wer es dennoch tut, handelt bigott. Denn das saudische Regime ist auf Platz drei der Staaten mit den meisten Hinrichtungen, während Iran auf Platz zwei ist.

Der Iran ist zugleich für die allermeisten Probleme im Nahen Osten verantwortlich. Sein revolutionäres Islamverständnis hat die Region zutiefst destabilisiert. Ohne die islamische Revolution hätte Saudi-Arabien sich vermutlich auch nicht so fundamentalistisch entwickelt. Die islamische Revolution von 1979 und ihrer Folgen haben viele der zentralen Probleme des Nahen-Ostens verschärft. Und da ist natürlich der Mangel an Demokratie, die ökonomische Stagnation und all die Probleme, die 2011 zum sogenannten „Arabischen Frühling“ geführt haben.

Würde das Regime in Teheran gestürzt, würden sich die Perspektiven der Menschen im Iran und im gesamten Nahen Osten ganz bedeutend verbessern. Aber da wäre man bei der Frage von Demokratisierung und „regime change“ – und darüber will ja auch Donald Trump nicht sprechen, denn beides lehnt er ja als außenpolitische Strategien so vehement ab, wie sein Vorgänger Obamas es auch schon tat. Und deshalb wird sich leider an den grundlegenden Problemen auch so schnell nichts ändern.

Link:

Wadi e.V.