Nach den Putin-Verstehern treten in Deutschland die Trump-Relativierer auf. Selbst sonst vernünftige Menschen wollen plötzlich „erst mal abwarten, was er macht“. So ein Bullshit!

Die Szenen aus den USA rund um Donald Trumps Amtseinführung sind irritierend genug. Bemerkenswert aber ist, wie zugleich in Deutschland die Stunde der Trump-Relativierer schlägt. Dem guten alten Ausspruch “Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird”, folgend mahnen sie zu Zurückhaltung mit Urteilen über Trump. Kernthese: Man müsse doch erst mal abwarten, was der neue US-Präsident nun überhaupt macht. Selbst gestandene Journalisten posten solche Appelle bei Facebook und wollen einem ihre zaghafte Nachsicht der neuen US-Regierung gegenüber mitunter auch noch als “amerikafreundlich” verkaufen.

Daraus spricht das zur Schau gestellte Verständnis für das “Land der unbegrenzten Möglichkeiten”, in dem eben auch ein politischer Außenseiter das höchste Staatsamt erlangen kann – und doch bitte die Zeit bekommen soll, sich erst mal einzufinden. Auch die “Junge Union”, die sich bei Facebook übrigens witzigerweise “unbequem seit 1947” nennt, postete auf ihrer Seite ein Foto von Präsident Trump mit einer Gratulation und dem Text: “Es wird viel geredet, kritisiert, demonstriert. Lasst uns mal abwarten. Wir sind gespannt.”

Zu dieser Spannung besteht freilich keinerlei Anlass, schließlich passierte in den ersten Tagen der Trump-Präsidentschaft verlässlich das, was zu erwarten war. Der Appell des “erst mal Abwartens” gibt sich als besonnen und vernünftig aus, ist aber gerade das nicht. Man fragt sich, wo diese Trump-Relativierer die vergangenen Monate gewesen sind. Es macht geradezu sprachlos, wie selbst ansonsten kritische Beobachter plötzlich bereit sind, die glasklar vor ihnen liegende Realität zu ignorieren. Die Hoffnung, Trump sei im Wahlkampf kontrovers aufgetreten, werde sich im Amt aber mäßigen, ist bereits nach wenigen Stunden seiner Amtszeit widerlegt. (Nicht, dass dafür jemals etwas gesprochen hätte.) Sie ging zudem von dem günstigen Fall aus, Trump habe gezielt provoziert und gezündelt, seine Ausfälle seien also Wahlkampf-Kalkül gewesen.

Dem ist nicht so. Der Mann interessiert sich eben tatsächlich mehr für Einschaltquoten seiner Amtseinführung als für ein politisches Programm. Genau so sprach und spricht er auch nicht “vereinfachend” die “Sprache des Volkes”, wie man seinem ewigen “very, very great”, “something really, really wonderful” zugute halten könnte, er verfügt gar nicht über den Zugang zu Komplexerem. Sein “Make America great again” ist keine allgemeinverständliche Ableitung aus “großartigen” Policy-Gebilden, die es nun umzusetzen gälte, es ist eine Phrase ohne Inhalt.

Ja, auch Trumps „Worte“ sind „Taten“

Der zweite Fehler der Trump-Relativierer: Sie unterscheiden kategorisch zwischen “Worten” und “Taten”, die ja nun erst bevorstünden. Das ist Unsinn. Zwar ist richtig, dass Trump mit der Umsetzung seiner Vorhaben erst jetzt beginnen kann, aber Aussagen zu treffen wie jene, bei Mexikanern handele es sich reihenweise um Drogenhändler und Vergewaltiger, ist eben nicht einfach nur ein “Wort”, solche Hetze zu betreiben ist vielmehr bereits eine Tat. Und diese Taten haben veritable Folgen im echten Leben, das zeigt der Anstieg der “hate crime”-Verbrechen bereits in den Tagen nach Trumps Wahlsieg.

Es ist unverständlich, warum die Trump-Relativerer die Schwelle für den angehenden US-Präsidenten derart niedrig legen und sogar ganz im Ernst als Argument anführen, auch mit Trump als Führer der westlichen Welt werde selbige “nicht untergehen”. Was genau meinen sie damit? Dass er – Stichwort Atomkoffer – nicht die Apokalypse auslöst? Verzeihung, da sollte man von jemandem, der ein öffentliches Amt bekleidet, doch mehr erwarten dürfen. Man fragt sich, ob dieselben Leute auch einen Babysitter für ihren Nachwuchs engagieren würden mit dem beruhigenden Hinweis an die bessere Hälfte, der irgendwie seltsame Kandidat werde die Kinder “schon nicht umbringen”.

Trump ist kein Neuzugang im Bowlingclub

Donald Trump die Eignung als US-Präsident abzusprechen (bzw. zur Kenntnis zu nehmen, dass er sie nicht hat), ist keine unfaire Abwertung seiner Person, keine persönliche Boshaftigkeit. Er ist schließlich nicht irgendein argwöhnisch betrachteter Neuzugang in einem Bowlingclub, dem vorurteilsfrei “eine Chance zu geben” ehrenhaft wäre.

Der Hinweis, dass jemand, den man nicht mal in seiner Wohnung die Blumen gießen lassen würde, während man im Urlaub weilt, schlichtweg untauglich ist, Verantwortung für das Gemeinwohl zu tragen, muss schon möglich sein, ohne dass man deshalb gar in den Verdacht des “Anti-Amerikanismus” gerät. Vielmehr ist es die Katastrophe Trump, die schon jetzt eine Wirkung entfaltet, die anti-amerikanischer gar nicht sein könnte.

Warum man Donald Trump tatsächlich auch Unrecht tut

In einer Hinsicht tut man ihm allerdings tatsächlich Unrecht. Er hat sich nämlich nie verstellt, nie behauptet, etwas zu sein, was er nicht ist. Den Versuch, sich als ernsthaften Politiker auszugeben oder auch nur den Anschein von Seriosität zu erwecken, hat er gar nicht erst gemacht. Dass er weder fachlich noch menschlich – genauer gesagt: charakterlich und psychisch – geeignet ist, als US-Präsident zu wirken, war vielmehr von Anbeginn völlig offensichtlich. Das zu vertuschen, hat er nie probiert, es stattdessen geradezu laut herausgestellt. Wohl auch, weil er über die dafür nötige Selbstreflexion gar nicht verfügt.

Insofern verwundert es, wenn die Weltöffentlichkeit “geschockt” auf die ersten Aktionen der neuen US-Regierung reagiert. Trump tut schließlich nur das, was er selber – durch Worte und Taten – über Monate lautstark in Aussicht gestellt hatte. Natürlich entsetzt es, die lange imaginierte Vorstellung eines US-Präsidenten Donald Trump nun sozusagen in vivo zu erleben. Aber es läuft letztlich nur genau jener Film ab, den Trump marktschreierisch immer angekündigt hatte.

Das Weiße Haus wirkt wie eine Pappkulisse

Die kognitiven Probleme der Trump-Relativierer beim Betrachten der Realität rühren sicher auch daher, dass diese die Fiktion sozusagen übertrumpft. Sie ist einfach zu bizarr und macht letztere – um direkt mit Donald Trump zu sprechen – obsolet. Die Bühnenbildner der Netflix-Erfolgsserie “House of Cards” werden radikal umdenken müssen, jetzt da deren “Oval Office”-Kulissen plötzlich wirklichkeitsgetreuer scheinen als der nunmehr goldverzierte Originalschauplatz. Auch die Drehbücher scheinen zwar glaubhafter als der Real-Life-Plot aus Washington, lassen im direkten Abgleich aber ihre Zuspitzung kaum noch erkennen.

Die Live-Schalte zur bizarren Medienschelte von Sprecher Sean „Period“ Spicer wirkt wie der ersten Viertelstunde eines dystopischen B-Movies entsprungen, in dem eine finstere Macht die US-Administration gekapert hat. Auch wenn man diesen Film lieber ausschalten würde.

Nicht etwa, weil er ein Albträum wäre (was er ist). Sondern allein schon, weil Protagonist Spicer genau wie Präsident Trump als Figuren absurd überzeichnet wirken, und weil die neue blaue Presspappen-Optik des umdesignten “Press Room” samt neuem “White House”-Logo einfach allzu sehr herausstreichen, dass es sich hier nur um einen trashigen Film handeln kann. Einen Low-Budget-Film, der die bis vor Kurzem noch geltende Wirklichkeit nur allzu lieblos nachzuempfinden scheint. An der Kinokasse würde man für diese Darbietung kein Geld bezahlen. Und doch ist genau das jetzt die Realität, deren Gestalt den heftigen Bruch mit dem Amerika, wie wir es kannten, brutal deutlich macht. Die neue Wirklichkeit endlich zur Kenntnis zu nehmen, dazu kann man die Trump-Relativierer nur herzlich einladen.