Jeder hat’s schon mal gehört: Der Einsatz von Herbiziden und der Anbau von insektenresistenten Pflanzen ist sinnlos, denn beides führt nur zur Ausbreitung von Resistenzen. Die Natur schlägt zurück, man muss immer mehr Chemie einsetzen, alles wird immer schlimmer – besser, man lässt die Finger davon.

Klingt logisch, ist aber falsch. Wer jetzt zu viel Biologie befürchtet und wegklicken will, sollte einen Moment warten. Die Biologie der Resistenzen ist nämlich wichtig für das eigene Überleben: Bakterien mit Resistenzen gegen Antibiotika kosten pro Jahr etwa 700.000 Menschen das Leben – Tendenz stark steigend. Sollte man deswegen auf Antibiotika verzichten?

Die Kartoffel hat versagt!

Resistenzbildung ist ein Mechanismus, der sich unmittelbar aus den Prinzipien der Evolution ergibt. Pflanzen bilden Abfallstoffe, die sie speichern müssen, weil sie sie nicht ausscheiden können. Der angenehme Nebeneffekt: Für manche Insekten sind diese Stoffe schwer verdaulich oder giftig – die Schädlinge bleiben weg oder sterben. Pflanzen, die mehr von diesen Stoffen bilden oder Varianten herstellen, die noch unbekömmlicher sind, haben einen Überlebensvorteil. Es entstehen schädlingsresistente Pflanzen. Doch irgendwann taucht ein Insekt auf, das nicht tot vom Blatt fällt, wenn es von der Pflanze genascht hat, und das sich danach fortpflanzen kann. Wenn es diese Eigenschaft an Nachkommen vererbt, werden auch die mit dem Schadstoff fertig und unter ihnen werden wiederum diejenigen sich überproportional vermehren, die das Gift noch besser vertragen. Irgendwann haben die Nachkommen die Pflanze als Exklusiv-Nahrung: Das Insekt ist resistent geworden.

Bestes Beispiel aus der Natur: die Kartoffel, die das Insektengift Solanin bildet, und ihr wichtigster Schädling, der Kartoffelkäfer. Hier haben wir eine Nutzpflanze, die ein Insektizid produziert und den ersten Schädling, der das Gift ohne weiteres verträgt. Um es in den Worten von Gegnern moderner Agrartechnologie auszudrücken: Die Kartoffel ist mit ihrer Strategie, Insekten mit Chemie bekämpfen zu wollen, krachend gescheitert.

Das gleiche gilt für viele andere Pflanzen, die Bitter- oder Giftstoffe gegen Fressfeinde bilden. Leguminosen, Tomaten, Auberginen – selbst die Brennhaare der Brennnesseln haben versagt und nichts als resistente Insekten hervorgebracht.

Doch was wir beobachten, ist nur eine Momentaufnahme. Irgendwann wird eine Wildkartoffelpflanze auftauchen, die auch der Kartoffelkäfer nicht verträgt und irgendwann ein weiteres Insekt, dem das Solanin nichts ausmacht.

Resistenz gegen Unkrautjäten

Resistenzen gibt es keineswegs nur gegen chemische Mittel: Wer Unkraut mit der Hand aus seiner Pflanzung entfernt, wird immer mal ein Pflänzchen übersehen, das dem Salat, der Möhre usw. ähnlich sieht (gutes Beispiel: Rucola und giftiges Kreuzkraut). Mit der Zeit verschafft der jätende Gärtner damit Varianten einen Wachstumsvorteil, die der gewünschten Kulturpflanze zum Zeitpunkt des Jätens ähnlich sehen. Irgendwann wird es dann schwierig, Original und Fälschung zu unterscheiden. Auch wer regelmäßig seinen Rasen mäht, betreibt Resistenzbildung. Er selektiert Gänseblümchen, die kurze Stängel bilden. Nach ein paar Jahren ist auch der kurzgeschorene Rasen ein Blütenmeer. Landwirte, die regelmäßig pflügen, fördern die Entwicklung von Pflanzen, die sich aus zerschnittenen Wurzeln schnell regenerieren können.

Auch die im Biolandbau so beliebten Kupfersalze provozieren Resistenzen. Kupfer vergiftet nämlich Bodenbakterien, und die entwickeln dagegen Strategien: Sie bilden vermehrt Transportenzyme, um den Giftstoff, der sich in ihrer Umwelt anreichert, aus den Zellen zu befördern. Die Gene für diese Transportsysteme tauschen sie miteinander aus – gern auch mit anderen Arten. Der Nebeneffekt: Die Entgiftungsmaschinerie ist so effizient, dass sie ihnen auch gegen Antibiotika hilft. So geraten antibiotikaresistente Bakterien in die vegetarische Bioküche.

Resistenzen – ein alter Hut

Resistenzen sind nichts Neues und keineswegs erst durch Medizin und Landwirtschaft entstanden. Antibiotikaresistente Bakterien findet man in Bakterien aus Böden fernab der Zivilisation (Antarktis, australisches Outback usw.) und sogar bei solchen, die vor der Entstehung des Menschen in Salzkristallen oder Felsgestein eingeschlossen wurden. Botaniker haben Gene für Herbizidresistenzen im Erbgut von Pflanzen gefunden, die 1888 gesammelt und in ein Herbarium eingeklebt wurden – mehr als ein halbes Jahrhundert vor der Entwicklung der ersten Herbizide.

Das ist leicht zu erklären: Lebewesen – vor allem Bakterien und Pflanzen, die nicht weglaufen können – müssen sich in der Natur immer wieder mit Stoffen auseinandersetzen, mit denen ihre Nachbarn die Umwelt verseuchen, um sich Konkurrenz um Licht und Nahrung vom Leibe zu halten. Die Betroffenen wiederum entwickeln Mittel und Wege, die diese Gifte mehr oder weniger effizient unschädlich machen. Dabei sind Lebewesen äußerst flexibel.

Manchmal kommt es zu Mutationen, die etwas Neues bewirken. So sind in den 70 Jahren seit der Einführung von PET-Flaschen Bakterien entstanden, die den Kunststoff zersetzen und von ihm leben können. Hier handelt es sich um eine echte Mutation. Das Enzym PETase, das die Flaschen zersetzt, wurde bislang bei keinem anderen Lebewesen gefunden.

Antibiotikaresistenzen hingegen gibt es in der Natur schon seit Äonen. So wurden in 30.000 Jahre alten Bohrkernen aus Permafrostböden bakterielle Plasmide mit Resistenzen gegen β-Lactam-, Tetracyclin- und Glykopeptid-Antibiotika gefunden. Hier hat der sorglose Einsatz von Antibiotika dafür gesorgt, dass sich diejenigen Bakterien, die diese Resistenzen schon tragen oder von anderen erwerben konnten, überproportional vermehren. Sie haben einen Überlebensvorteil.

Ähnlich ist es bei den Pflanzen mit Herbizidresistenz. Hier ist oft zu lesen, die Resistenzgene seien an Unkräuter durch „Gendrift“, d.h. Pollenübertragung weitergegeben worden. Das stimmt jedoch nicht. Die Unkräuter besitzen das gentechnisch veränderte Enzym gar nicht, das Nutzpflanzen herbizidresistent macht. Sie haben noch immer die Variante des Enzyms, das die Herbizide unwirksam machen. Allerdings produzieren sie so viele Kopien dieses Enzyms, dass selbst erhöhte Wirkstoffkonzentrationen es nicht mehr schaffen, alle Kopien zu blockieren. Der Mechanismus dahinter ist eine Stressreaktion der Pflanzen, bei der überlebenswichtige Gene vervielfältigt und auf extrachromosomale, ringförmige Strukturen ausgelagert werden.

Ist der Stressfaktor weg, verschwinden diese Strukturen normalerweise innerhalb weniger Generationen wieder, so dass damit zu rechnen ist, dass ein vorübergehender Wechsel zu anderen Bekämpfungsstrategien die alte Empfindlichkeit wiederherstellt – solange, bis der Stress wieder zu groß wird.

Ein Kampf ist aussichtslos

Alle Beispiel zeigen, dass ein „Kampf“ gegen Resistenzen tatsächlich nicht zu „gewinnen“ ist. Soll man einen Kampf, den man nur verlieren kann, nicht besser von vornherein vermeiden, also auf Antibiotika verzichten und Gärten und Äcker von Quecken und Disteln überwuchern lassen?

Wohl kaum. Es ist auch nicht nötig. Es geht nämlich nicht um einen Kampf oder Krieg, den man gewinnen muss oder kann. In der Natur herrscht nicht Imperialismus, sondern Wettbewerb – wie in der Marktwirtschaft: Das bessere Produkt, die bessere Strategie setzt sich durch. 

Das Geheimnis lautet daher „Resistenzmanagement“. Man muss die Bekämpfungsstrategien wechseln. In der Landwirtschaft heißt das z. B. Fruchtwechsel und Wechsel der Bekämpfungsmittel. Man kann Schadinsekten auch Refugien anbieten, so, wie das etwa die Landwirte tun, die insektenresistente Gentechnikpflanzen anbauen. Sie säen an den Randstreifen normale Pflanzen, die von den Insekten befallen und gefressen werden können. So entsteht kein Selektionsdruck, und die Parasiten, die von den Schädlingen leben, haben ebenfalls noch etwas zu fressen. Dass diese Strategie aufgeht, belegen zahlreiche Studien. Hinzu kommt: Die einzelnen Maßnahmen müssen konsequent angewandt werden. Wer Schädlinge nur zaghaft bekämpft, züchtet resistente Erreger.

Gleiches gilt in der Humanmedizin: Hier ist das Resistenzproblem entstanden, weil Antibiotika über Jahrzehnte falsch eingesetzt wurden. Sie sollten niemals verordnet werden, ohne dass der Erreger und dessen Schwachstelle, d.h. seine Empfindlichkeit bzw. Resistenz gegen Antibiotika vorher diagnostiziert wurde. Die Methoden und Technologien dafür sind längst vorhanden; sie werden nur nicht flächendeckend eingesetzt. Statt mit modernen Technologien wird in den allermeisten Krankenhäusern noch immer nach der Methode gearbeitet, die vor mehr als 130 Jahren von Fanny Angelina Hesse und Julius Richard Petri im Labor von Robert Koch ersonnen wurde. Man lässt die Bakterien in Petrischalen wachsen, bis man sie mit bloßem Auge bestimmen und ihre Antibiotikaresistenz testen kann. Da dauert die Identifizierung von Erregern und Resistenzen mehrere Tage statt ein paar Stunden, wie sie mit moderner Molekularbiologie möglich wären. So lange kann bei schwer erkrankten Patienten jedoch nicht gewartet werden. Ärzte verordnen Antibiotika daher „empirisch“, d.h., auf der Grundlage ihrer Erfahrung. Wenn sie sich unsicher sind, werden Breitbandantibiotika eingesetzt. Hinzu kommt: Noch immer sind Antibiotika in vielen Ländern rezeptfrei zur Selbstmedikation erhältlich und werden nach Belieben eingesetzt und oft genug vorzeitig wieder abgesetzt.

Das alles trägt dazu bei, dass Erreger resistent werden. Tatsächlich gibt es in den USA, wo auf breiter Front praktisch nur noch herbizidresistente Pflanzen und die passenden Herbizide eingesetzt werden, Unkräuter, die gegen mehrere Herbizide resistent geworden sind. Auch gibt es Krankheitserreger, die inzwischen Resistenzen auch gegen so genannte Reserveantibiotika besitzen. Schlimmer noch: Mittlerweile wurden die ersten Krankenhauskeime gefunden, die gegen übliche Desinfektionsmittel resistent geworden sind.

Zurück ins 19. Jahrhundert?

Spätestens an diesem Beispiel wird klar: Ein Ausstieg aus der Verwendung solcher Mittel ist wohl kaum eine Lösung für diese Probleme – es sei denn, man nimmt die Dezimierung der Menschheit durch schwere Infektionskrankheiten, Epidemien und Hungersnöte in Kauf. Wir hätten eine Situation wie im frühen 19. Jahrhundert. Damals gab es mangels „Chemie“ regelmäßig Insektenplagen, die die Ernten vernichteten und ganz allgemein war die Produktivität der Landwirtschaft so niedrig, dass 60 Prozent der Bevölkerung Ackerbau und Viehzucht betreiben musste. Antibiotika und Desinfektionsmittel waren unbekannt, so dass die Menschen an Kindbettfieber, Diphtherie, infizierten Wunden und vereiterten Zähnen starben.

Wie immer in der Geschichte der Menschheit (und wie in der Natur allgemein) ist Innovation vonnöten, nicht Rückbesinnung auf alte Methoden und Strategien. Ziel muss es sein, die Entwicklung und Verbreitung von Resistenzen durch klugen Einsatz von Mitteln zu verzögern. Zu diesen Maßnahmen zählen z. B. ein Wechsel der Bekämpfungsstrategien (chemisch-mechanisch-Fruchtwechsel etc.) sowie besseres Monitoring und vertiefte Diagnostik von Keimen ebenso wie von Unkräutern, um die jeweils beste Strategie einsetzen zu können. Mittel müssen sparsam und gezielt, nicht breit und präventiv eingesetzt werden. Und natürlich müssen weiterhin neue Methoden und Strategien entwickelt werden: neue Herbizide, neue Antibiotika und Desinfektionsmittel, aber auch andere Techniken zur Bekämpfung unerwünschter Mikroorganismen, Insekten und Unkräuter.

Das alles geht übrigens nicht mehr ohne Gentechnik. Sie hilft zum einen, Resistenzmechanismen zu verstehen und neue Ansatzpunkte für effiziente Mittel zu finden. Zum anderen ermöglicht sie – im Krankenhaus ebenso wie auf dem Acker – mit besserer und schneller Diagnostik, die beste Strategie zur Bekämpfung unerwünschter Bakterien und Pflanzen zu finden.