Dass mit Donald Trump ein entgrenzter Mobber das Weiße Haus verlassen muss, ist eine gute Sache. Wer aber glaubt, dass nun auch Gehässigkeit, Niedertracht und Bosheit in der Politik spürbar nachlassen, dürfte sich irren. Die politische Auseinandersetzung wird immer unversöhnlicher. Wegen des Internets und der Dynamik, die es antreibt. Trump hat sie genutzt, aber nicht erfunden.

Der twitternde Präsident ist inzwischen jedem ein Begriff. Aber wie sich politische Auseinandersetzungen im Zeitalter der Internetkampagnen entwickeln, beweist nicht nur Donald Trump. Der Twitter-Kanal des größten Stars der linken US-Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez (10 Millionen Follower), hat einen ähnlichen Tonfall. Ihre Tweets sind eine unendliche Folge von Freund-Feind-Markierungen, die Sprache ist kompromisslos und erinnert an eine Lobbyorganisation. Abgeordnete im Repräsentantenhaus sollten so nicht klingen. Aber offenbar ist das der Sound und die Richtung jener Generation, die aktuell nach politischer Macht strebt und für die das Internet der wichtigste Ort ist, um ihre Unterstützer zu erreichen.

Man kann es in der Demokratischen Partei beobachten, in der große Unzufriedenheit über das unerwartet schlechte Abschneiden bei den Wahlen zu Senat und Repräsentantenhaus herrscht. Vertreter des moderaten Parteiflügels sehen sich durch Joe Bidens Erfolge bei Mittelschicht-Wählern bestätigt und vermuten, dass die Niederlagen einiger demokratischer Kandidaten mit einer zu sozialistischen Rhetorik des linken Parteiflügels zusammenhängen könnte, der viele Wähler verschreckt habe. Ocasio-Cortez bedachte ihrerseits die Kampagnen gescheiterter Parteifreunde mit Begriffen wie „kriminell“ und „nachlässig“. Dem als moderat geltenden Abgeordneten Conor Lamb warf sie vor, er habe lediglich 2000 Dollar für Werbung bei Facebook ausgegeben. „Ich finde nicht, dass irgendjemand, der im Jahr des Herrn 2020 nicht vollständig im Internet präsent ist und dann eine Wahl verliert, dafür jemand anderen verantwortlich machen kann.“ Wer nicht 200.000 Dollar für Facebook-Werbung ausgebe, feuere nicht aus allen Rohren. Mal abgesehen davon, dass Conor Lamb seine Kampagne gewonnen hat, zeigt sich hier, welche Relevanz die Netz-Kommunikation für viele Politiker dieser Generation erreicht hat. Der Tonfall dieser Kommunikation neigt zu Vereinfachung, Ausgrenzung und Häme.

Der Trend geht vom Politiker hin zum Influencer mit politischer Agenda

In dieser Welt ideologischer Reinheit sind Freundschaften wie die zwischen dem Demokraten Joe Biden und dem Republikaner John McCain undenkbar, weil sie die Sterilität des eigenen Denkens bedrohen. Für die jüngere Polit-Generation sind die sozialen Medien längst wichtiger als die klassische Presse. Das sorgt für eine Radikalisierung der eigenen Ansichten, da man sich kaum noch mit Gegenpositionen auseinandersetzen muss. Es gibt ja niemanden, der einen auf diese anspricht. Es reicht, auf Gegner, selbst aus der eigenen Partei, mit sarkastischen Kontern oder gehässigen Postings zu reagieren, um die Follower zufriedenzustellen. Wenn Politiker aber mehr und mehr zu Influencern mit politischer Agenda werden, erschüttert das die politische Kultur pluralistischer Gesellschaften in ihren Grundfesten.

Ohne die destruktive Dynamik des Internets wäre das nicht möglich. Dort strebt jede Meinung zu ihrer extremsten Auslegung hin, denn Extreme lassen sich leichter in Slogans verpacken und unters Volk bringen. Ausgewogene Einschätzungen hingegen sind selten griffig und ohnehin immer zu lang für die Lesegewohnheiten der Netzgemeinde.

Wenn aber in einer immer komplexeren Welt der Trend zur immer massiveren Vereinfachung geht, können viele Themen nicht mehr angemessen diskutiert werden. Und das ist ein Problem.

Niemand ist im echten Leben so unsympathisch wie auf Twitter

Hinzu kommt, dass diese aggressive Einseitigkeit auch die Internet-Nutzer verändert. Wie soll es auch anders sein, wenn man sich in einem Medium des permanenten Ausnahmezustands bewegt? Ich erlebe es immer wieder als Beobachter und manchmal als Betroffener, wie selbst harmlose Beiträge zum erbitterten Streit und Abbruch des Kontakts führen können. Wobei der Abschied erstaunlich oft mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen zusammenfällt, selbst wenn bis dahin ein durchaus freundschaftliches Verhältnis gepflegt wurde.

Für solche Überreaktionen braucht es das Internet, seine Anonymität und sein Gift des ständigen Alarmismus. Friedrich Nietzsche hatte schon recht, als er in einem seiner berühmtesten erfundenen Zitate warnte: „Wenn du zu lange in den Twitter-Account von  Donald Trump blickst, blickt der Twitter-Account von Donald Trump auch in dich hinein.“

Ich habe jedenfalls noch nie jemanden getroffen, der im richtigen Leben so unsympathisch war wie auf Twitter oder Facebook.

Trojanisches Pferd in falscher Festung

Da im Netz alles dem Extrem zueilt und die Realität oft zur Karikatur verkommt, sind auch die Antworten auf wichtige Fragen zumeist von verblüffender Schlichtheit. Und eine Gruppe von Politikern profitiert von dieser Welt der einfachen Lösungen besonders: Die Populisten. Das Internet wird darum den Populismus in den westlichen Demokratien zu einem immer größeren Problem werden lassen. Schon jetzt sind viel zu oft Lösungen für komplexe Probleme im Trend, gegen die der berühmte Bierdeckel des Friedrich Merz ein Werk epischer Tiefe war.

Das Internet als Ort politischer Auseinandersetzungen ist für liberale Demokratien mehr Gefahr als Chance. Denn solche Gesellschaftssysteme leben geradezu von Komplexität, Austausch und Ausgleich, während im Netz die radikal einfache Lösung besonders gut ankommt. Dass Diktaturen gleichzeitig gelernt haben, das Internet für sich zu nutzen und es zur Überwachung der eigenen Bevölkerung einzusetzen, macht die Sache noch dramatischer. Das Netz schadet den freien Gesellschaften und nutzt den Autokratien. Auf gewisse Weise ist das Internet ein Trojanisches Pferd, das der Westen einst selbst baute – und dann aus Versehen in die eigene Festung geschoben hat.