Der anthroposophische Bio-Verband Demeter offenbart in seiner Hauszeitschrift seine Philosophie. Sie ist eine kaum verbrämte Ablehnung der Moderne mit erschreckenden Anklängen an das nationalsozialistische Zerrbild einer „verjudeten materialistischen Wissenschaft.“

Demeter träumt. Der älteste Bio-Verband Deutschlands, dessen biologisch-dynamische Wirtschaftsweise auf „Impulse“ des angeblich hellsichtigen Rudolf Steiners zurückgeht, eines 1861 geborener Esoterikers, Redners und Publizisten, veröffentlicht in seinem vierteljährlich erscheinenden „Demeter Journal“ regelmäßig Tagträume von einer besseren Welt. Unter der Rubrik „Stell dir vor“ „träumen wir von einem Alltag in einer Welt, die sich besser anfühlt“.

Träumen ist erlaubt. Und es sind vor allem Tagträume wie die der Demeter-Bewegung, die nach Ernst Bloch zusammenhangloses Wünschen und Schwärmereien ebenso enthalten wie vernunftbezogenes Planen. Tagträume enthalten Wünsche und konkrete Ziele, die vielleicht utopisch, aber dennoch für den Träumer erstrebenswert sind. Sie haben einen wichtigen Boden: Unzufriedenheit. „Unzufriedenheit“, sagt Bloch, „kann rebellisch sein, mit einer Richtung auf etwas und gegen etwas, in dem man sich jetzt durch eigene Schuld, eigene Unmündigkeit, oder durch Unterdrückung befindet.“

Schwärmereien und magische Kräfte

Schauen wir uns die Tagträume der Demeter-Bewegung an. Es ist eine seltsame Welt, die sich da auftut. Die Menschen tragen Namen wie „Myriel und Jasminde, Wotan und Zelal, Marja und Friedlinde“ oder schlicht „Eva-Marina von Prömse“, sie kochen nach den Mondphasen und schneiden ihr Gemüse mit einem „handgeschmiedeten Gemüsemesser aus Dreilagenstahl“. Gekocht wird im „Gärtopf aus salzlasiertem Steinzeug“ und geschmort über offenem Buchenholzfeuer im „Dreifußschwenker“. Auf dem Speiseplan stehen Gerichte wie der über fünf Tage zuzubereitende „klosterfeurige Mönchslinsentopf mit Salbei-Gurken-Spießchen an Lettich, Ampfer und Melisse“. Gewürzt wird mit „grobkörnigem Lichtwurzelsalz“, von dem man sagt, es habe „magische Kräfte“, mit dem sich „ayurvedische Zyklen und Kraftschöpfungsringe schließen“. 

Es ist eine Welt voller Fahrräder, Rikschas und Lastenräder; Autos scheint es nicht mehr zu geben. Man lebt in dörflichen Gemeinschaften, das Geld ist abgeschafft. Stattdessen zahlt man mit Tauschgutscheinen (kein Witz!). Krankheit und Siechtum kommen ebensowenig vor wie die Hersteller der Gärtöpfe, Rikschas oder des dreilagigen Messerstahls. Die Dinge sind einfach da. Sorgen gibt es keine.

Man könnte das als die Tagträume von Menschen abtun, die wohlbehütet zwischen Bioläden, Christiania-Bikes, Manufactum-Katalog und Bullerbü-Büchern aufgewachsen sind, in einer Wohlstandswelt also, in der man sich über so profane Dinge wie Geld, Lebensmittel, Miete, Schulden und Arbeitswege nie Gedanken machen musste.

Soweit sind es die Träume der grünen Bohème, die sich mit Demeter-Kost von denen abhebt, die anders leben, weil sie Geld verdienen müssen, unter Zeitdruck stehen und mit dem Auto zum Einkaufen oder zur Arbeit fahren, die „Tiefkühl-Gemüsemix“ verwenden, online shoppen und mit dem Billigflieger in den Urlaub reisen: Menschen, die den Planeten kaputtmachen und denen man das alles deswegen verbieten muss. Aber was ist der Boden, auf dem diese Träume wachsen?

Unzufriedenheit mit der Moderne

Ein befremdlicher. Er besteht in der Ablehnung jeglicher moderner Technologie. Kurznachrichten sind ein „scheußlicher Weg der Kommunikation“, „Teufelszeug“. Das Internet, zumal G5 und das damit mögliche „Internet der Dinge“ gilt als Alptraumvision und erledigt sich zum Glück durch „Peak Everything“. Auch die Bekämpfungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie werden abgelehnt. „Da sich die Menschen eines Virus wegen nicht mehr hatten berühren dürfen und sich unter Masken hatten verstecken müssen, war die Welt erkaltet. Die Menschen waren in der Krise nicht näher zusammengerückt, sondern weiter auseinandergetrieben worden. Die Menschen waren ihrer Sinne beraubt worden: ‚anfassen, riechen, schmecken, spüren – das war für die Rettung der Welt elementar.‘“ Nachzulesen in der Herbst-Ausgabe des Journals.

Die Kritik an der Zivilisation und ihrer Errungenschaften gipfelt im neuesten Demeter Journal in der Diagnose, dass wir im „Zeitalter zerstörerischer Geisteseliten“ leben, die die Welt zu einer Kontrollwelt gemacht habe, mit Maßen und Gewichten, Definitionen und Patenten, vor allem aber mit Forschung. Nötig sei eine Welt „ohne Forschung“. Bei Demeter freut man sich auf das Ende der „Zeit, in der klug genannte Köpfe ihren Geist blitzen ließen, gefolgt von Taten, die angeblich Bahnen brachen.“ 

… die Zeit, in der klug genannte Köpfe ihren Geist blitzen ließen, gefolgt von Taten, die angeblich Bahnen brachen, war zum Glück vorbei. Das Zeitalter zerstörerischer Geisteseliten war überwunden.
Es folgte das Zeitalter des Vertrauens. Ganz ohne Maße und ohne Gewichte, ohne Definitionen und Patente, ohne Forschung und ohne Meilensteine und, ganz wichtig: ohne Kontrolle. Die Menschen lebten fortan in gegenseitigem Schwarmvertrauen. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, hatte es jahrhundertelang geheißen, mit allen bekannten, desaströsen Folgen: vom Abschmelzen der Gletscher bis zum Sterben der Bienen.

Demeter Journal

Eliten, Materialismus und Geisteswissenschaften

Die zerstörerischen Geisteseliten, die die Welt unter Kontrolle gebracht haben – das ist nah dran an dem Geraune über die Neue Wirtschaftsordnung, in der Eliten und Geheimgesellschaften oder „jüdische Plutokraten“ wie George Soros die Geschicke der Welt lenken. Es ist auch nah dran am Widerstand gegen die „verjudeten Wissenschaft“ eines Albert Einstein und anderer, der die „deutsche Physik“ eine animistische Naturphilosophie gegenüberstellte. Diese orientierte sich, angeblich von Goethe und Schelling inspiriert, an einem Geist, der die ganze Natur belebe. Diese allgegenwärtige Seele der Natur sei die Quelle der Wissenschaft selbst, sagte der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Philipp Lenard, und nur die „Arier“, so Lenard, hätten dies verstanden: „Es war genau die Sehnsucht des nordischen Menschen, eine hypothetische Vernetzung in der Natur zu untersuchen, die den Ursprung der Naturwissenschaft darstellt.“ Lenard und die „deutsche Physik“ lehnten dementsprechend die jüdisch-materialistische Naturwissenschaft ab, denn sie hätten die „Geisteswissenschaften“ in den Schatten gestellt und die „arrogante Täuschung“ ausgelöst, dass die Menschheit die „Beherrschung der Natur“ erreichen könne.

Was Demeter alles ablehnt, ist den Heften zu entnehmen: Hybridsorten, Gentechnik, „moderne Spritzmittel“, „Kunstdünger“, das Internet, Smartphones, das Impfen von Tieren. Stattdessen setzt der Verband wie Lenard auf goetheanische Wissenschaft, auf animistische Naturvorstellungen, die Vernetzung der Natur und ihre ganzheitliche Betrachtung. Auf das Arbeiten mit kosmischen Kräften, die Einbeziehung planetarer Konstellationen, homöopathisch-energetische Präparate und die angeblich transformierende Kraft eurythmischer Bewegungen, die für das Brotbacken ebenso eingesetzt werden wie für die Zucht von Pflanzen.

Harte Wissenschaft, die Maße und Definitionen der kalten, von „zerstörerischen Eliten“ geschaffenen materialistischen Wissenschaftswelt soll Demeter zufolge abgelöst werden durch „Vertrauen“ in die Gefühle, das Erspüren ganzheitlicher Zusammenhänge und die esoterische „Geisteswissenschaft“ nach Rudolf Steiner, der nach eigenen Angaben den Zugang zu höheren Welten erlangte, in denen ihm geheimes, den normalen Menschen verborgenes Wissen offenbart wurde.

Anthroposophisches Imperium

Die von Steiner inspirierte Anthroposophie, die zum Wirtschaftsimperium von Demeter, Alnatura, DM, Dennree, tegut, Rapunzel, Wala-Arzneimittel, Voith und Mahle, zur GLS-Bank, der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, der Software AG Stiftung, den Waldorfschulen, der Universität Witten-Herdecke, zahllosen Lehrstühlen, Vereinen und Initiativen führte, hat in Deutschland mächtigen Einfluss – auf die Querdenker-Bewegung ebenso wie auf die Umweltbewegung, die Anti-Gentechnik-Bewegung (die ohne anthroposophische Unterstützung in Deutschland längst kollabiert wäre), auf Diskussionen über Landwirtschaft, die Alternativmedizin und die Anti-Impfbewegung. Näheres ist hier beständig nachzulesen

Dass in diesen Unternehmen Betriebsräte nicht gern gesehen werden, dass einige von Steiners Schriften als rassistisch eingestuft und nur noch kommentiert veröffentlicht werden dürfen, dass landauf, landab Waldorfschullehrer, anthroposophische Mediziner und Magazine sich bei den Querdenkern engagieren, sich der Maskenpflicht widersetzen, die Existenz des Coronavirus bezweifeln und Impfungen auch gegen Polio, Masern und Tetanus ablehnen, weil sie angeblich die „Spiritualität“ abtöten und verhindern, dass das Ringen mit einer potenziell tödlichen Krankheit es den Menschen ermögliche, bestimmte Bereiche des Körpers physiologisch ‚durchzuarbeiten‘ und eingehender zu ‚individualisieren‘ – das interessiert aber weder die anti-rassistische Bewegung noch die Linke noch die Grünen, die sich doch Wissenschaft auf die Fahnen geschrieben haben. 

Alles halb so wild?

Stattdessen wird beschwiegen und beschwichtigt. Das Corona-Rebellentum anthroposophischer Mediziner und Lehrer – alles isolierte Einzelfälle, die nichts mit der Anthroposophie zu tun haben. Das menschenfeindliche, rassistische und tendenziell antisemitische Geraune: ohne wirkliche Bedeutung – die Anthroposophie distanziere sich ja davon. Tatsächlich sah Demeter sich genötigt, klarzustellen: „Wir distanzieren uns deutlich von der Querdenken-Bewegung und Verschwörungstheorien zu COVID-19. Selbstverständlich ist eine Gesellschaft ohne Forschung und Wissenschaft nicht denkbar und wird von uns nicht angestrebt.“ Doch wie ehrlich ist die Distanzierung von einer Bewegung, die moderner Medizin, Impfstoffen und 5G nicht über den Weg traut, wenn man doch gleichzeitig selbst weiter Skepsis gegenüber moderner Medizin, Impfungen und Errungenschaften der Moderne wie Internet oder Gentechnik sät?

Demeter-Betriebe sind verpflichtet, die Methoden des biodynamischen Wirtschaftens anzuwenden. Das reicht von der Behandlung kranker Tiere mit Homöopathie statt mit wirksamen Arzneimitteln bis zum Vergraben von Mist-gefüllten Kuhhörnern in Herbstnächten, der Zubereitung von Schafgarbenblüten in den Harnblasen von Hirschen oder von Kamillenblüten im Rinderdarm.

Nur diese biodynamischen Präparate ermöglichten es den Pflanzen, mehr als nur Photosynthese zu betreiben. Erst die biodynamischen Präparate machten als „Mittler zwischen Kosmos und Erde“ das Essen zu mehr als Nahrungsaufnahme: „Sie sind zentral wichtig für eine Wandlung – wie etwa die Öffnung der Pflanzen zum Kosmos hin. Dadurch kann das aufstrebende Grün in Kontakt zur Sonne treten. Pflanzen, die diese Lichtqualität genießen konnten, bringen dem Menschen geistige Entwicklungsmöglichkeiten.“

Während die chemische Stickstoffdüngung ungeordnetes, wucherndes Blattwachstum hervorruft, streben die biodynamisch geförderten Bohnen die Schwerkraft quasi überwindend geordnet der Sonne entgegen. Ihre Aufrichtetendenz und Harmonie in Vertikal- und Horizontalausbreitung vermitteln beim Betrachten Vitalität und fast so etwas wie Lebensfreude. (…) „Die Leichtigkeit des Organismus, die er erhält durch die Pflanzennahrung, die hebt über die Erdenschwere hinweg, die macht eine gewisse … sich ausbildende Erlebnisfähigkeit im menschlichen Organismus möglich … wie wenn er mit den Pflanzen in einer gewissen Weise das Sonnenlicht, das in den Pflanzen ja so viel Arbeit leistet, wirklich mitgenießen würde.“

Demeter Journal

Wer diesen mystischen Unfug kritisiert, gilt jedoch augenblicklich als Verfechter von „Chemie und Genen“ in der Nahrung, als Fan von „Massentierhaltung“, „Tierausbeutung“ und „industrieller Landwirtschaft“. Außerdem schade es ja niemandem. Demeters Produkte würden durch Verschwörungstheorien in keiner Weise schlechter, lautet ein weiteres Argument. Bis auf die etwas seltsame, aber doch harmlose Esoterik diene der Ansatz mehr einer „lebenserhaltenden“ Wirtschaft als dies in der konventionellen Landwirtschaft mit ihrer „Zerstörung der Ökosphäre“ der Fall sei.

„Sagt jetzt aber alles nix über die Qualität der Produkte aus, oder?“, twittert etwa die grüne Berliner Bezirksbürgermeisterin Monika Herrman als Replik auf eine Kritik an Demeters gefährlicher Esoterik. Ein anderer User fand „andere Artikel“ in den Magazinen „ganz gut“, wieder andere wollen Nachweise, dass das esoterische Getue die Qualität der Nahrung verschlechtere – nur darauf käme es an.

Denselben Grad an differenzierter Betrachtung könnte man Attila Hildmanns Produkten oder den T-Shirts von Thor Steinar zubilligen. Macht aber niemand – zu Recht. Aber warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Weil viele sich als progressiv verstehende Menschen ihre Kinder lieber auf private und teure Waldorfschulen schicken als auf die Stadtteilschulen mit ihren sozialen Problemen? Weil es toll ist, sich mit den extrem teuren Demeter-Produkten zu schmücken und weil man gern das Markenversprechen glaubt, dass diese Produkte besonders nachhaltig und umweltschonend seien? Das sind sie nicht, weil die Produktion dieser Luxusprodukte verschwenderisch mit knappen Ressourcen umgeht und die Umweltprobleme nur ins Ausland verlagert.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die deutsche Umweltbewegung nie in der Wissenschaft angekommen ist und gefühlte Probleme mit gefühlten Wahrheiten lösen will statt echte Probleme mit brauchbaren, wissenschaftlich überprüften Methoden.