Ein neues Dokument nährt den Verdacht, Wolfgang Kubicki könnte Lobbyarbeit für Nord Stream 2 betrieben haben. Das Papier lüftet damit allerdings ein offenes Geheimnis. Warum lässt die FDP Kubicki gewähren?

Die Wissenschaft bringt Dinge ans Licht, die der normale Mensch sich kaum je vorzustellen gewagt hätte. So etwa dies: Auf nasser Fahrbahn geraten Autos öfter ins Schleudern als auf trockener. Oder das: Mit jeder Minute, die man unter Wasser die Luft anhält, sinken die Überlebenschancen. Feuerwerkskörper sollte man nicht in der hohlen Hand explodieren lassen, und sich Grafittifarbe ins Gesicht zu sprühen, ist schlecht für die Haut. Gut, das mögen vielleicht nicht die ganz großen Kracher der jüngeren Wissenschaftsgeschichte sein, und ja, wenn Sie das schon eher lahm fanden, wird Sie auch die folgende „Nachricht“ nicht mehr vom Hocker reißen: Wolfgang Kubicki soll nach Recherchen des „Guardian“ in die Lobbyarbeit für das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 verwickelt sein.

Steigbügelhalter des Kreml

Dies legt eine am Freitag aufgetauchte E-Mail nahe, aus der der Guardian zitiert. Das Papier belegt laut der britischen Zeitung zweierlei: Zum einen natürlich das unmissverständliche Werben der von Kubicki mitgegründeten Kieler Anwaltskanzlei Kubicki & Schöler für die zweite Ostseepipeline. Für Kenner der Causa Kubicki ist das freilich keine große Überraschung mehr, denn Kubickis Freiheit von jeglichen Berührungsängsten bezüglich Russland ist seit Langem bekannt. Vielmehr ist er einer der verlässlichsten Steigbügelhalter des Kreml innerhalb der deutschen Politik, und das trotz des Handicaps, weder der Linkspartei noch der AfD anzugehören. Wann immer in den letzten Jahren irgendwie die öffentliche Erregung über Russland hochkochte, war Kubicki zur Stelle, um zu relativieren, zu kontextualisieren und, mit ihm genehmem Drall, zu emotionalisieren. Schon kurz nach der Annexion der Krim durch Moskau erklärte er beispielsweise, Deutschland dürfe gerade jetzt nichts übers Knie brechen und keinesfalls blind nach einem Leitmotiv handeln, das Kubicki wörtlich als „Wir sind alle Teil der westlichen Gemeinschaft und machen jeden Unsinn der Amerikaner mit“ umschrieb. Später erklärte er die Sanktionen gegen Russland in einem Positionspapier für schlechterdings rechtswidrig und in halluzinatorischer Verblendung die USA zum Aggressor, die es auf einen Regime Change in Russland anlegen würden, was damals natürlich nicht minder bizarr war als heute.

Derlei Spinnereien hörte man von Kubicki seitdem immer wieder, und auch wenn er damit innerhalb der FDP durchaus für Kontroversen sorgte, ließ man ihm seine Späße durchgehen. Seine Stellung in Schleswig-Holstein war zu unumstritten, seine Person für den Erfolg bei der Landtagswahl 2017 zu maßgeblich. Und nicht zuletzt war die Partei in ihrer Mehrheit auch viel zu eindeutig anderer Meinung, was sich wieder auf dem Programmparteitag zur Bundestagswahl zeigte. Das entsprechende Kapitel, das die Delegierten verabschiedeten, trug den Titel „Klare Haltung gegenüber Russland“.

Zugegeben, die „klare Haltung“ kann man auch den prorussischen Kräften in der Partei nicht absprechen. Leider führt diese Haltung die Partei jedoch in finstere Gefilde, und bis heute weiß man noch nicht einmal, wieso. Der Schwenk, der mit Christian Lindners Interview Anfang August begann, wird auf absehbare Zeit eines der großen Mysterien der deutschen Politik bleiben. Wo Lindner die Partei mit dieser Volte hinführen wollte, was genau dahintersteckt und wer den entscheidenden Einfluss geltend machte, ob Lindner gar selbst auf die Idee kam, ins brackige politische Fahrwasser der antiwestlichen „Friedens“-Flottillen abzubiegen – man weiß es nicht. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass Wolfgang Kubicki einerseits und wohl auch der ehemalige Botschafter und vormalige Genscher-Bürochef Frank Elbe andererseits ihre Finger mit im Spiel hatten. Gemeinsam verfügen beide über ein weitverzweigtes Netzwerk, das all diejenigen in der Partei zuverlässig zu aktivieren vermag, die sich mit diesem ganzen lästigen Menschenrechtsgedöns ohnehin nicht unbedingt aufhalten wollen.

Kubicki ist der neue Strenz

Wer sich dagegen in der Gesellschaft all jener FDP-Mitglieder wiederfindet, die einen derart blauäugigen Kuschelkurs gegenüber Russland nicht mitzutragen gedenken, der kann sich mit der zweiten Erkenntnis aus der „Guardian“-Veröffentlichung trösten: Die Abstimmung zwischen Kubickis Kanzlei und seinem Sozius Elbe scheint überraschend stümperhaft verlaufen zu sein. In den verschiedenen Anfragen der Zeitung widersprachen Kubicki, dessen Mitteilhaber und Elbe einander mehrfach überdeutlich zu Fragen der gemeinsamen Arbeit und zum Grad der offiziellen Einbindung Elbes. Nicht erst der „Guardian“ stellte außerdem fest, dass Kubicki der einzige MdL an der Waterkant ist, der seine Nebeneinkünfte nicht offenlegt, was angesichts der vielfältigen Indizien für Verbindungen zwischen ihm und Russland zu mannigfachen Vermutungen einlädt.

Kubicki entwickelt sich so zu einem Paradoxon für die FDP: Es geht schon lange nicht mehr ohne ihn, aber lässt man ihm seinen Willen, dann droht der Partei der endgültige Verlust des moralischen Kompasses und das Absinken in die halbseidensten Sphären der Außenpolitik. Wer all das wissen wollte, der konnte das freilich schon lange vor der jetzigen „Enthüllung“. Die Frage muss daher erlaubt sein, wie lange Kubicki in der Partei noch so anscheinend ungehindert schalten und walten darf – manches Ziel eines berechtigten Shitstorms, wie die hauptamtliche Aserbaidschanversteherin Karin Strenz, hatte wesentlich weniger auf dem Kerbholz als der liberale Haudegen.