Jan Böhmermann, Niko Paech und der Papst sind sich einig: Die Corona-Krise ist eine gute Gelegenheit, um sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Aus ihnen spricht die Ignoranz eines satten Milieus.

Kommt mal runter von eurem hohen Ross! Das möchte man in diesen Tagen einigen zurufen. Etwa dem Moderator Jan Böhmermann, der vergangene Woche in seinem Podcast „Fest & Flauschig“ maulte, dass ihm die ganze Debatte über die ökonomischen Folgen der Corona-Krise auf die Nerven gehe.

Das ganze „Wirtschaftsgequatsche“ mache ihn wütend, stöhnte er in der Show. Denn wenn man nur so ein bisschen was auf der hohen Kante habe, so für „ein oder zwei Monate“, dann sei doch alles in Butter, befand er. Und schickte hinterher: „Ich bin total erstaunt, wie wenig Leute improvisieren können.“

Doch Böhmermanns Argumentation ist ranzig: denn er schließt von sich auf andere. 

Nur die wenigsten Deutschen bekommen monatlich eine üppige Überweisung aus der milliardenschweren Kasse des öffentlichen Rundfunks. Und nur wenige Deutschen haben am Ende des Monats genug Bares übrig, um sich damit ein Notreserve aufbauen zu können.

„Ich bin total erstaunt, wie wenig Leute improvisieren können.“

Jan Böhmermann

Wie wenige es sind, hat vor drei Jahren das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vorgerechnet. Ein Drittel aller Haushalte verfüge über kein nennenswertes Vermögen oder sei sogar verschuldet, heißt es in der Studie. 

Spätestens nach ein paar Wochen herrscht in den Portemonnaies vieler Menschen deshalb dauerhaft das, was man sonst nur halbtags aus der Nordsee kennt: Ebbe.

Wohlfeil ist Böhmermann auch deshalb, weil er sie aus dem kuschelig-warmen Home-Office aussprach. Den Verzicht zu predigen fällt eben deutlich einfacher, wenn man gleichzeitig einen gut dotierten Vertrag mit dem Streaminganbieter Spotify erfüllen kann.

Den meisten Deutschen ist das hingegen nicht vergönnt, wie eine neue Umfrage zeigt. Rund 68 Prozent der Fachkräfte mit Berufsausbildung in Deutschland, die überwältigende Mehrheit also, kann nicht vom Home-Office aus arbeiten, da es ihr Beruf schlicht nicht zulässt.

Doch so wie in Böhmermann denkt es gerade in vielen Krisenbeobachtern. Vom Segen der „Entschleunigung“ ist zu lesen oder von den vermeintlichen „Chancen“, die die Krise biete. Der Soziologe Ortwin Renn wiederum jubelte im Interview mit dem „Deutschlandfunk“: „Etwas mehr Ruhe, Muße, Zurückhaltung tut uns allen gut“.

„Etwas mehr Ruhe, Muße, Zurückhaltung tut uns allen gut.“

Ortwin Renn

Der Volkswirtschaftsprofessor Niko Paech von der Universität Siegen wiederum sieht durch die Pandemie seine These bestätigt, dass unser Wohlstandsmodell nicht stabilisierungsfähig sei und man besser damit beginne, es zurückzubauen. In Zukunft müsse man “wesentlich genügsamer” sein, ansonsten drohe der Untergang. 

Es ist eine unappetitliche Mixtur aus bürgerlichem Hochmut und protestantischer Verzichtsethik, die sich in den vergangenen Tagen breitgemacht hat. Und die selbst vor Katholiken nicht halt macht: Der Virus-Ausbruch biete die Chance, sagte Papst Franziskus im Interview, „Produktion und Konsum zu verlangsamen“, die natürliche Welt besser zu verstehen und zu bedenken und „die Verbindung zu unserer realen Umwelt wiederherzustellen“.

Aber machen wir uns nichts vor: Was da aus Böhmermann, aus Renn oder Paech spricht, sind bloß die Sehnsüchte eines satten Millieus. Und es ist die völlige Ignoranz all jenen gegenüber, die nicht das Glück haben, nach Besoldungsgruppe W entlohnt zu werden. 

Die Corona-Krise ist für die Mehrheit der Menschen weder der lang herbeigesehnte Systemwechsel. Noch ist sie ein meditatives Erweckungserlebnis. Für die Mehrzahl der Menschen ist sie, gestatten Sie mir die Deutlichkeit, eine verfickte Katastrophe.