Die beiden deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan haben Recep Tayyip Erdoğan ihre Aufwartung gemacht. Das war keine gute Idee. Der Kommentar eines Enttäuschten.

Irgendwann in den vielen Jahren, nachdem ein junger Bursche eine alte Dose in den Himmel kickte und diese schließlich als Hightech-Ball in einem riesigen Stadion auf einem 105 mal 68 Meter großen Rasenfeld landete, ist die Unschuld des Fußballs verloren gegangen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn alle Dinge und Wesen verlieren im Laufe ihres Lebens die Unschuld. Trotzdem wundern wie uns immer noch, wenn ein Fußballstar nach einem Treffer mit der flachen Hand auf das Vereinsemblem schlägt, um seine Treue zum Verein zu beweisen. Der selbe Spieler hat in der Regel kein Problem damit, zwei Wochen später einen Kontrakt bei einem Verein zu unterzeichnen, zu dem er – wie er in Interviews und Tweets gelobte – nie, niemals im Leben wechseln wollte. Fußball ist ein Geschäft. Fußball ist Unterhaltung.

Und doch nicht nur. Nämlich das Spiel für die Nationalmannschaft ist für einen kleinen Trupp von Auserwählten die Möglichkeit, ob ihrer besonderen Begabungen und Fähigkeiten zu besonderem Ruhm zu gelangen: man kann Kontinent- oder sogar Weltmeister werden. Und wer Weltmeister wird in diesem über den ganzen Globus bekannten und geliebten Spiel, der ist auch weltbekannt. Sehr viel mehr internationalen Ruhm kann man wirklich nicht erlangen.

Wer den Fußball kennt, der weiß, dass man nur mit den ganz großen Fußballnationen die Chance hat, Weltmeister zu werden: Ländern wie Spanien, Brasilien, Frankreich oder Deutschland. Zwar ist der Profifußball in Vereinen durch seine aggressive Vermarktung mittlerweile auch ein globales Phänomen, aber an das ganz große Fest, an die ganz große Bühne der Weltmeisterschaften reicht auch der Fußballzirkus der spanischen, englischen, italienischen und deutschen Ligen in seiner Bedeutung nicht heran. Mit der Bedeutung wächst natürlich auch die Verantwortung für die Stars des Fußballs. Besonders eben in den Nationalmannschaften. Dort sind die Spieler Repräsentanten ganzer Nationen; man darf immer noch erwarten, dass sie hier für Ruhm und Ehre kämpfen; und sie dürften wissen, dass sie Leidenschaften entfachen und dass viele, viele Millionen mit ihnen fiebern, leiden, verlieren oder aber auch siegen. Wer den Autokorso nach dem WM-Triumph 2014 in Berlin erlebte, der weiß, wovon ich spreche.

Ein Desaster

Nun haben zwei sehr berühmte und wichtige Nationalspieler, Mesut Özil und Ilkay Gündogan, sich für eine PR-Aktion für den türkischen Präsidenten Erdogan hergegeben, zeigen sich in scheinbar bester Stimmung mit ihm auf offiziellen Fotos, haben ihm als Geschenke Trikots ihrer Vereine mitgebracht. Gündogan hat sein Trikot sogar mit einer persönlichen Widmung für „meinen Präsidenten“ versehen.

Man kann ohne weiteres behaupten, dass der Deutsche Fußballbund von dieser Aktion auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Nur mühsam ließ sich die Verärgerung durch die Funktionäre verbergen. Und tatsächlich ist die ganze Angelegenheit ein paar Wochen vor den Wahlen in der Türkei und vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Russland ein Desaster. Denn die beiden Spieler haben – um im passenden Jargon zu bleiben – gleich dreimal Foul gespielt.

Erstens, da die Türkei ein direkter Konkurrent bei der Bewerbung für die Fußballeuropameisterschaft 2024 ist, kann man diese PR-Aktion als grobe Illoyalität der beiden Spieler gegen das Land, in dem sie geboren wurden und für das sie spielen, verstehen. Erdogan, dem keine Chuzpe fremd ist, wird ohne Hemmungen diese Aktion ausnutzen. Er tut es jetzt schon.

Zweitens unterstützen die beiden Spieler einen Autokraten, der die Türkei in eine Diktatur umwandeln will. Oppositionelle und kritische oder vermeintlich kritische Journalisten schmeißt er ins Gefängnis. Haben die beiden Spieler Anschluss ans Netz oder einen Fernseher zuhause? Özil leistet sich eine PR-Agentur, die ihn zu einem der erfolgreichsten Social-Media-Player mit beispielsweise über 23 Mio. Followern auf Twitter gemacht hat. Jetzt will uns Gündogan weismachen, das Ganze sei nicht geplant gewesen und eher unpolitisch zu verstehen und nur ein Akt der völkerverbindenden Höflichkeit gegenüber Erdogan. Aber diese Aussage hat genau soviel glaubwürdige Unschuld und Anstand wie eine Grätsche von hinten in die Beine.

Drittens haben die beiden Spieler der Integration und somit dem sozialen Klima in Deutschland einen Bärendienst erwiesen. Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist seit 2006 quasi die letzte große verbindende Institution in einer fragmentierten Gesellschaft. Der DFB war sich dieser Sache immer bewusst und hat stets viel darauf gehalten, auch diesen sozialen Vorbildcharakter bewusst zu betonen und herauszustellen. Spieler wie Boateng, Khedira, Özil oder Gündogan waren Repräsentanten eines modernen, weltoffenen, unverkrampft patriotischen Deutschlands. Es waren bislang die rechten Ideologen von der AfD oder der NPD, die das infrage stellten. Nun ist Gündogans Ehrerbietung an „meinen Präsidenten“ Erdogan quasi eine wurstige Abkehr vom Prinzip des „ius soli“, nach dem die Staatsangehörigkeit vom Geburtsort abhängt (es gilt neben dem alten Abstammungsprinzip seit dem Jahr 2000 in Deutschland). Gündogan wie Özil sind in Gelsenkirchen geboren und Deutsche und haben sich vor Jahren für die deutsche Nationalmannschaft entschieden, obwohl ihnen auch das Spiel für die türkische noch möglich gewesen wäre. Nun werden sie sich nicht mehr gegen den Vorwurf verteidigen können, sie hätten diese Wahl nur aus Ehrgeiz getroffen und ohne einen echten inneren Bezug zu Deutschland. Vielen wird das vielleicht egal sein, aber es gibt auch Menschen, die den Vorbildcharakter von Fußballstars und auch die Integrationskraft dieses Sports für wichtige gesellschaftspolitische Elemente halten, auf die dieses Land nicht verzichten sollte.

Wir dürfen gespannt sein, ob die beiden Spieler sich doch noch des Fehlers bewusst werden, den sie begangen haben. Man kann es als Fußballfan und Bürger dieses Landes nur hoffen.

 

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Geht es beim Fußball wirklich nur um Sport? Oder hat eine WM auch immer eine politische, gesellschaftliche und kulturelle Dimension? Sämtliche Beiträge der Salonkolumnisten zur Fußball-WM in Russland finden sich hier.