Auch an diesem wohl historischen 12. Februar 2025 muss jede Analyse mit der Anerkennung der Realität beginnen.

Sofern zumindest alles so kommen sollte wie Donald Trump und Putins Sprecher es uns heute haben wissen lassen, dann gibt es keinen Zweifel daran, dass der Kampf der Ukrainer verloren ist. Fast genau drei Jahre nach Beginn der Vollinvasion in der Ukraine bekommt Putin dem Anschein nach alles, was er sich gewünscht hat: Die eroberten Gebiete in der Ukraine; eine Absage an deren NATO-Mitgliedschaft; Verhandlungen auf Augenhöhe mit den USA, zumindest über die wenigen Dinge, die der Verhandlungspartner nicht bereits selbst abgeräumt hat; damit auch Washingtons implizite Anerkennung, dass die Ukraine eigentlich kein souveräner Staat ist, weshalb auch Selenskiy lediglich ex post über die Beschlüsse informiert wird; mutmaßlich einen Staatsbesuch von Trump in Moskau; und als Sahnehäubchen die unabweisbare Erkenntnis, dass die Europäer sich gegen ein zweites Münchner Abkommen nicht wehren werden, weil sie es jenseits warmer Worte schlicht nicht können. Man muss es Putin lassen: Er hatte uns offenbar durchschaut. Er hat es darauf angelegt, dass er länger durchhalten kann als wir, und wir haben ihm recht gegeben. Der Westen ist zu dauerhaftem und geschlossenem Widerstand ganz offenbar nicht in der Lage. Wer jetzt andere Narrative verbreitet, der lügt sich in die Tasche.

Es mag jetzt diejenigen in Deutschland geben, die dieser Entwicklung Positives abgewinnen zu können glauben. Wollen wir nicht alle, dass das Töten endlich aufhört, fragen sie, während schon wieder ballistische Raketen Richtung Kyiw fliegen, und gefallen sich dabei in einer Rolle irgendwo zwischen Martin Niemöller und Petra Kelly: Besser ein Diktatfrieden als ein freiwilliger Krieg!

So kann man denken, wenn man nicht betroffen ist, was aus unerfindlichen Gründen die Wahrnehmung sehr vieler Menschen in Deutschland ist. „Wir wollen keinen Krieg“, hat kürzlich eine Passantin Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt an dessen Wahlkampfstand in Eimsbüttel zugerufen, was die FAZ dankenswerterweise dokumentierte. In dieser Meldung steckt alles drin: Deutschland muss jetzt sehr umsichtig agieren – manche würden sagen: besonnen – sonst könnte jederzeit ein Krieg ausbrechen. Zum Glück wurde das bislang vermieden.

Kognitive Dissonanz

Man braucht angesichts dieser Situation nicht erneut anzufangen von unseren NATO-Verpflichtungen gegenüber den jetzt noch stärker bedrohten Verbündeten Polen und Litauen oder von dem nicht unwahrscheinlichen Szenario, dass deutsche Soldaten einen Waffenstillstand in der Ukraine absichern helfen müssen. Aber Polen, Litauen, Ukraine, das sind für viele Deutsche nur graue Flecken irgendwo zwischen Leipzig und Asien, und von dort kommen nur Trucker, Putzfrauen und Schwarzweißfotos von Opa in Uniform. Wir wollen keinen Krieg – erst recht nicht, wenn er schon da ist.

So kann man denken, wenn man es sich bequem eingerichtet hat in seiner Nische der kognitiven Dissonanz. Nur möge bitte niemand glauben, dass dieser „Frieden“ irgendetwas zur politischen Beruhigung in Deutschland beiträgt. Wenn alles so kommt wie heute umrissen und Trump bald ein Blatt Papier für „Peace in our time“ hochhalten darf, dann ist innenpolitisch bei uns als nächstes der Ofen aus. In einer Lage, in der Frieden und Sicherheit in Europa allerhöchstens durch dauerhaft hohe Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit zu erhalten wären, werden die Union und mit ihr jede Bundesregierung von Anfang an unter immensem Druck stehen, doch endlich den nun möglichen „Reset“ mit Russland anzugehen; Stichwort Nordstream 2. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie Michael Kretschmer, ein wahlkämpfender Sven Schulze oder natürlich Markus Söder ihre Empörung darüber formulieren, dass jetzt, „da dieser schreckliche Krieg endlich vorbei ist“, wir nicht alles tun, was unserer Wirtschaft hilft; „das ist den Menschen nicht zu vermitteln.“ (AfD, BSW und SPD, die auf dieser Klaviatur schon heute unterschiedlich filigran spielen, werden ihrerseits Lautstärke und Tempo entsprechend erhöhen; Manuela Schwesig geiert fraglos bereits auf ihren nächsten Russlandtag.) Solange ein Großteil des Landes sich zurück in den friedespolitisch seligen Neunzigerjahren wähnt, wird kein Bundeskanzler, auch nicht Friedrich Merz, im Bundestag eine Mehrheit für einen Anstieg des Wehretats um 40 Milliarden Euro* bekommen, und wenn doch, dann um den Preis einer abermals anschwellenden AfD. Auch wer vielleicht auf den mobilisierenden Effekt eines beliebten und glaubwürdigen Verteidigungsministers Pistorius hofft – das eine freundliche Gesicht der Groko – dürfte Pech haben. Die CSU macht bereits Ansprüche auf den Bendlerblock geltend, wie Generalsekretär Martin Huber gegenüber Table Briefings unterstrich: „In Bayern gebe es viele Bundeswehr-Standorte und eine starke Rüstungsindustrie. ‚Insofern ist das Thema Bundeswehr und Verteidigung für Bayern von besonderer Bedeutung.’“ So klingt er, der Blick ganz weit unter dem Tellerrand. 

Wo solche „Friedenspolitik“ waltet, da steht der nächste Krieg schon an. Im Hauptausschuss hat ARD-Auslandskorrespondent Vassili Golod dieser Tage im Gespräch mit Jan-Philipp Hein und Thore Barfuss noch einmal darauf hingewiesen, dass Putin und Russland diesen Krieg wollen – auch wenn das im Westen bis heute nicht verstanden sei. Daran scheint sich auch weiterhin nichts zu ändern. So gilt in Abwandlung des alten Sprichworts auch unverändert: Si vis bellum, para pacem. 

* Nach NATO-Standards lag der Verteidigungsetat in Deutschland 2024 bei 90,59 Milliarden Euro; hierin enthalten sind u.a. auch diverse Waffenlieferungen an die Ukraine. Der eigentliche Etat betrug inklusive Sondervermögen 71,75 Milliarden Euro. Eine Summe von 3 Prozent des BIP entsprächen ca. 129 Milliarden Euro, die zu schließende Lücke umfasst somit mindestens 39 Milliarden.