Katzen und Haitianer
Der Trumpismus beginnt, sich selbst zu zerfleischen. Zwar hat J.D. Vance seine Ehre verspielt, aber es ist bekanntlich nie zu spät
Wäre ich J. D. Vance, der Senator aus Ohio, der an der Seite von Donald Trump amerikanischer Vizepräsident werden will, würde ich spätestens jetzt darüber nachdenken, meinen Hut zu nehmen und mich ins Privatleben zu verabschieden.
Rekapitulieren wir, was in den vergangenen Tagen in Amerika geschehen ist. Bei seiner Fernsehdebatte mit Kamala Harris verwandelte Trump sich erwartungsgemäß in einen Luftballon, der quer durch den Raum flitzte, während unter lautem Pfeifen die Luft aus ihm entwich. Der Höhepunkt der Debatte war Trumps Behauptung in Springfield, Ohio, äßen haitianische Einwanderer Katzen, Hunde und andere Haustiere. Das Internet reagierte mit dem üblichen “Höhö”, als habe Donald Trump einen köstlichen Witz gemacht. In Wahrheit gehört die Behauptung, dass ungeliebte Einwanderergruppen Haustiere fräßen, zum rassistischen Grundrepertoire, und sie dient in der Regel dazu, einen Pogrom vorzubereiten. In Springfield gab es mittlerweile mehrere Bombendrohungen gegen Schulen, die von den Kindern der haitianischen Einwanderer besucht werden. Selbstverständlich weigert sich Trump, diese Drohungen zu verurteilen. Die Gewalt gegen Haitianer ist in seiner Rhetorik, um es neudeutsch zu sagen, eingepreist. Altmodisch formuliert: Er und seine Gesinnungsgenossen wollen, dass es zum Pogrom kommt, um dann die Opfer dafür verantwortlich zu machen. Auch dieser Trick ist uralt. Die Haitianer repräsentieren alles, was die Trump-Anhänger hassen: Sie sind schwarz, sie sind vollkommen legal in den Vereinigten Staaten, und sie arbeiten hart.
Was hat dies nun mit J. D. Vance zu tun? Alles. Er hat das Lügenmärchen von den katzenfressenden Haitianern nicht nur aufgegriffen, sondern noch um die Behauptung verschärft, die Haitianer seien durchweg kriminell und schleppten Krankheiten ein. Vance hat einen sehr leicht durchschaubaren Plan: Er möchte sich an den Rockschößen von Donald Trump bis ganz nach oben tragen lassen und dann gelassen abwarten. Trump wird wahrscheinlich nicht mehr lange leben: Wenn er in einem oder zwei Jahren stirbt, hat Vance es ins Weiße Haus geschafft.
Dieser Plan ist nicht schlecht, er hat nur einen Fehler. Es sieht immer mehr so aus, als würde Trump auch diese Wahl verlieren, so wie er schon die Wahl vor vier Jahren verloren hat. Die Wahlveranstaltungen von Kamala Harris füllen Stadien, die Rallys von Donald Trump finden an immer bescheideneren Orten statt. Jede Woche lassen sich Rekordmengen von jungen schwarzen Frauen in die Wählerlisten eintragen; wahrscheinlich werden sie eher Harris als Trump wählen. Was geschieht, wenn die Wahl im November ungünstig für Trump ausgeht? Wem werden die aufgehetzten Trump-Wähler die Schuld an dem Debakel geben?
J. D. Vance ist mit einer indischstämmigen Frau verheiratet. Er hat mit dieser Frau zwei Kinder. Glaubt er allen Ernstes, dass die Wut der Leute, die jetzt den haitianischen Kindern in den Städtchen Springfield gilt, sich dann nicht gegen ihn und seine Familie richten wird? Glaubt er, dass Leute, die jede noch so abstruse Verschwörungstheorie für wahr halten, keinen Weg finden werden, ihn für Trumps Niederlage im November verantwortlich zu machen?
Den Tiger Rassismus reiten
Trumps letzten Vizepräsidenten wollten die tobenden Massen am 6. Januar 2021 buchstäblich aufhängen. Trump reagierte darauf, indem er Mike Pence öffentlich als Verräter bezeichnete. Würde Pence heute auf einer Veranstaltung der republikanischen Partei sein Gesicht zeigen, wäre er seines Lebens nicht sicher. Warum glaubt in Anbetracht dieser Tatsachen J. D. Vance, dass er den Tiger des Rassismus reiten kann?
Die Gewalt gegen dunkelhäutige Kinder hat in Amerika eine lange und entsetzliche Tradition: Tausende Jungen und Mädchen wurden nach 1876 in den Südstaaten gelyncht. Noch im Jahre 1964 explodierte eine Bombe in einer Kirche in Birmingham, Alabama, und riss vier schwarze Mädchen mit in den Tod. Die Täter damals: eine amerikanische Terrororganisation namens Ku Klux Klan. Die brutalsten Anhänger von Donald Trump – die faschistischen “Proud Boys”, die “Three Percenters” – sind die würdigen Nachfolger der Mörder von damals. Trump hat sich nie die geringste Mühe gegeben, sich von solchen Terroristen zu distanzierren. Unvergessen, wie er die “Proud Boys” in einer Fernsehdebatte mit Joe Biden 2020 dazu aufforderte, sich für ihn bereitzuhalten: “Stand back and stand by”. Trump entspricht bis aufs i-Tüpfelchen der Definition eines “stochastischen Terroristen”. Er unterscheidet sich in Nichts von einem islamischen Hassprediger, der seinen Schäfchen nahelegt, Anschläge auf Synagogen zu verüben und Israelis umzulegen.
Woher nimmt J. D. Vance den Optimismus, dass er und seine Familie, wenn Trump verliert, in der langen Zeitspanne zwischen dem Wahltag im November und der Amtseinführung von Kamala Harris sicher sein werden?
Vor ein paar Wochen und einer Ewigkeit gab es einen Anschlag auf Donald Trump, verübt von einem geistig verwirrten Angehörigen der Republikanischen Partei. Nun wurde ein ebenfalls geistig verwirrter Mann auf dem Golfplatz in Florida aufgegriffen, wo Donald Trump spielte; er trug ein Gewehr bei sich und war ebenfalls ein ehemaliger Trump-Wähler. Trump und Vance nutzen dies als Gelegenheit, um die Lüge zu verbreiten, die Anhänger von Kamala Harris hätten es auf ihr Leben abgesehen. In Wahrheit sind solche Attentatsversuche Zerfallserscheinungen: Der Trumpismus fängt an, sich selbst zu zerfleischen. Und natürlich wird dieser Prozess noch einen Zahn zulegen, wenn die Republikaner im November verlieren: Irgendwann fangen alle radikalen politischen und religiösen Bewegungen an, ihre Gewalt nach innen zu kehren. (Eine lustige Pointe ist, dass es sich bei dem Richter, der mit dem zweiten Attentatsversuch gegen Trump betraut ist, um einen Einwanderer aus Haiti handelt.)
J. D. Vance hatte einmal eine Ehre. Die hat er vor langer Zeit verspielt, aber er hat immer noch sein Geld, er ist ein reicher Mann. Wenn er sich jetzt von der Politik verabschiedet, könnte er noch lange Jahre im Ruhestand abseits der Öffentlichkeit genießen. Er könnte ein Buch schreiben, in dem er darlegt, wie er mit Hilfe seiner hinduistischen Frau den Weg in die katholische Kirche gefunden hat und was die christliche Gnadenlehre für ihn persönlich bedeutet, der doch so große Schuld auf sich geladen hat. Er könnte seinen Kindern beim unbeschwerten Heranwachsen zusehen. Wäre ich J. D. Vance – ich würde jetzt nach dem “Exit”-Zeichen suchen.