Zum x-ten Mal macht die Idee einer Strafsteuer für Kinderlose die Runde. Zum x-ten Mal muss man erklären, dass sie politisch unsinnig und moralisch fragwürdig ist.

Es gibt Themen, zu denen möchte man kein Experte sein, weil sich dazu ohnehin schon jeder für einen Experten hält. Schulpolitik ist so ein Thema, ebenso der Nahostkonflikt und natürlich der Fußball mit seinen berühmten 80 Millionen Bundestrainern. Hier soll nun aber von einem der wichtigsten Pseudoexpertenthemen die Rede sein, nämlich von Kindern.

Zu Kindern hat jeder etwas zu sagen, schließlich war jeder von uns einmal ein Kind. Dementsprechend weiß auch jeder, wie mit Kindern umzugehen ist, und wo es hakt, wenn der Nachwuchs ausbleibt. In Zeiten, in denen wir uns beim Versuch, Sinn in die explosiven syrischen Verrenkungen des US-Präsidenten hineinzulesen, über unseren Glaskugeln einen Hexenschuss holen, können „weiche“ und unspektakuläre Themen wie Demografie schnell unter den Tisch fallen. Das ist fahrlässig, denn sollte – sehr zum Verdruss vieler „Friedensfreunde“ und Assad-Unterstützer – trotz amerikanischer Intervention aktuell kein Weltkrieg ausbrechen, wird uns dieses Problem mittel- und langfristig mindestens so sehr beschäftigen wie alles, was derzeit in Syrien passiert.

Einig sind sich alle, dass Deutschland schrumpft. Nicht ganz so drastisch vielleicht wie noch vor ein paar Jahren geweissagt, aber dass „die Deutschen“ zu wenig Kinder bekommen, steht außer Frage. Unklar bleibt, ob und inwiefern aus dieser Makro-Erkenntnis politische Forderungen an oder gar Konsequenzen für das Individuum folgen dürfen.

Großes emotionales Schlachtfeld

Oberflächlich betrachtet scheint die Sache sehr einfach zu sein: Denn wer Kinder bekommt, der tut etwas fürs Gemeinwesen. Theoretisch. In der Praxis ist die öffentliche Debatte zu Fragen von Kindern und Demographie dagegen vor allem ein großes emotionales Schlachtfeld: Wo über etwas so Persönliches wie die eigene Fortpflanzung gesprochen wird, da kochen die Gefühle natürlich über. Obwohl es eigentlich massenhaft Grautöne gibt, zerfällt die Diskussion meist in zwei polarisierte Lager, nämlich die euphorisierten Eltern und die militanten Kinderlosen. Erstere halten Letztere wahlweise für bedauernswerte Gestalten oder verantwortungslose Patrone; Letztere bestehen auf ihrer freien Entscheidung und fühlen sich von Staat und Gesellschaft in die Ecke gedrängt, falls sie sich bewusst und dauerhaft gegen Kinder entscheiden.

Die „Stern“-Autorin Kerstin Herrnkind hat dazu jüngst ein Buch veröffentlicht, das schon mit seinem Titel „Vögeln fürs Vaterland? Nein danke!“ griffig aufzeigt, wie schnell die Debatte ins Hässliche kippen kann. Keine Diskussion bleibt lange in sicherem Fahrwasser, ehe man zu „Gebärmaschinen“ und Mutterkreuzen abdriftet. In einem begleitenden Huffpost-Artikel regt Frau Herrnkind dafür eine überraschende Lösung für das Problem an: Der Staat solle sich aus der Finanzierung der Kirchen zurückziehen. Wenn nur die Steuerzahler aufhören würden, für die Kirchen zu „blechen“, die auf ihre „Kohle“ nicht verzichten wollen, dann würden jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge frei. Die Grundlage für die Zahlungen sei zudem fragwürdig, da den Kirchen nach der Enteignung zu Beginn des 19. Jahrhunderts „angeblich“ Schadensersatz zugesichert wurde. Von den vertraglichen Rahmenbedingungen der staatlichen Kirchenfinanzierung, an der unzweifelhaft vieles kritikwürdig wäre, ohne dass man sie jedoch mit pubertär-populistischen Forderungen einfach beiseitewischen könnte, muss allerdings in einem Artikel zur Demographie nicht die Rede sein, und anders als in Frau Herrnkinds Rant wird dies hier auch nicht passieren.

Umgekehrte Abwrackprämie

Trotz ihrer schwer verständlichen Wut auf religiöse Körperschaften hat die Autorin jedoch nicht völlig Unrecht mit ihrer Kernaussage, dass Kinderlose in Deutschland eine ungerechtfertigte gesellschaftliche Ächtung erfahren. Sie gelten als legitime Ziele, stehen sie angesichts des demographischen Wandels doch automatisch im Ruch, sich auf Kosten der Gesellschaft einen Lenz zu machen. Der Vorwurf des Parasitismus schwingt dabei unausgesprochen immer mit: Während andere jahrelang Windeln wechseln und Vormittage über Vormittage in Kinderarztwartezimmern vertändeln, gehen die Kinderlosen ohne jede Scham Erwachsenentätigkeiten nach und verprassen ihr reichlich verfügbares Einkommen für Designerküchen, Luxusurlaube und zu Tode verwöhnte Haustiere. Damit gehen wir als Gesellschaft jedoch einer entscheidenden Frage aus dem Weg: Dürfen wir eine so persönliche Entscheidung wie die für oder gegen Kinder im postulierten Interesse einer Allgemeinheit forcieren? Für den deutschen Staat ist die Antwort klar: Mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, aus Vergünstigungen und sozialem und fiskalischem Druck zieht man seit Jahrzehnten gegen den unfruchtbaren Schoß in die Schlacht, und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Geburtenrate ist niedrig geblieben und die Debatte inzwischen gründlich vergiftet.

Statt über individuelle Entscheidungen und die Freiheit, die Zahl der eigenen Kinder selbstverantwortlich zu bestimmen, wird fast nur noch in Kategorien von Belohnung und Bestrafung diskutiert, so als seien erwachsene Menschen im gebärfähigen Alter nichts Anderes als ein Maultier, dem man nur die richtige Karotte vor die Nase halten muss, um es in die gewünschte Richtung zu lenken. Jüngst hat hierzu die Junge Union eine neue Karotte in die Debatte geworfen und eine Einmalzahlung von 1000 Euro für jedes Neugeborene gefordert. Finanzieren sollen diese umgekehrte Abwrackprämie für die eigenen Keimdrüsen die Kinderlosen – wer sonst? Jens Spahn, eine der großen Zukunftshoffnungen der Union und früher mutmaßlich selbst einmal ein Kind, lobte den Vorschlag bereits. Eine stärkere Beteiligung von Kinderlosen an den Kosten der Sozialversicherungen sei „fair und gerecht“ – das höchste Lob, das deutsche Politiker zu vergeben haben.

Waten im moralischen Brackwasser

Dabei zeigt Spahn selbst bereits auf, wo die Grenzen einer solchen Politik verlaufen müssten; der Staat watet mit derartigen Zwangsmaßnahmen in moralisches Brackwasser. Wie stehen die Junge Union und die Gebärmutterfraktion beispielsweise zu Menschen, die keine Kinder bekommen können, etwa weil sie dazu aus körperlichen Gründen nicht in der Lage sind oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben? Sollen Homosexuelle – wie Jens Spahn – dann künftig noch eine Strafsteuer dafür zahlen, dass der Staat ihnen das Adoptionsrecht verweigert und Leihmutterschaften in Deutschland weiterhin verboten sind? Und was ist mit Heterosexuellen, die von Geburt an oder als Resultat einer Krankheit unfruchtbar sind – nehmen wir sie von erhöhten Abgaben großzügigerweise aus? Wollen wir betroffene Frauen künftig zu der öffentlichen Demütigung verpflichten, die eigene Unfruchtbarkeit durch ärztliches Attest irgendeinem Amt anzeigen zu müssen? Und was ist mit Asexuellen, die wir für ihre angeborene sexuelle Präferenz hoffentlich ebenfalls nicht bestrafen wollen? Sollten wir nicht vielmehr dem einzelnen Bürger das Recht zugestehen, in einem Staat zu leben, der sich nicht ungefragt in seinen Genitalbereich einmischt, anstatt ihn in ein dichtes Gespinst von unausgesprochenen Moralurteilen über seine Lebensentscheidungen einzuwickeln?

Natürlich müssen wir bei all dem den kommenden finanziellen Problemen ins Auge sehen. Der Lösung kommen wir aber nicht näher, indem wir Kinderlose zum Feind erklären, auf den sich dann alle Welt straflos einschießen darf. Wer keine Kinder bekommt, den sollten höhere Sozialversicherungsbeiträge nicht bestrafen, denn dies steht dem Staat nicht zu. Wenn der Staat überschüssigen Tatendrang zu kanalisieren hat, dann möge er lieber dafür Sorge tragen, dass Eltern eine vernünftige Infrastruktur für ihre Kinder vorfinden: ausreichend Kitaplätze, ein sicheres Lebensumfeld, zumutbare Schulen und ausreichend bezahlbaren Wohnraum durch Entbürokratisierung.

Der sichere Weg in die Altersarmut

Wohl nur die wenigsten Menschen machen die grundsätzliche Entscheidung, ob sie ein Kind bekommen, von staatlicher Unterstützung abhängig, denn wer ein Kind will, der kriegt es auch. Wohlgemerkt: Ein Kind. Die Entscheidung für weitere Kinder dagegen hängt entscheidend von den finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen ab. Wer über ein zweites Kind nachdenkt, muss sich fragen, ob seine Wohnung groß genug ist, ob er sich den zweiten Kita-Platz leisten kann, ob er womöglich ein größeres Auto benötigt und ob die Auszeit(en) vom Beruf finanziell zu verkraften sind. Kind Nummer zwei (erst recht Nummer drei, vier usw.) wird da schnell zum finanziellen Kraftakt. Hier müsste der Staat ansetzen, denn gerade in den Ballungsräumen sind viele Kinder für die Eltern vor allem ein sicherer Weg in die Altersarmut, sofern sie nicht zufällig Erben eines Vermögens oder wenigstens einer Immobilie sind.

Was also tun? Natürlich werden die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt steigen müssen, sobald die Bevölkerung schrumpft und altert, was mit der beginnenden Verrentung der Babyboomer sehr bald der Fall sein wird. Bei insgesamt höheren Kosten führt daran kein Weg vorbei. Das System sollte jedoch idealerweise darauf ausgelegt sein, alle finanzieren zu können, egal ob kinderlos oder nicht. Anstatt Kinderlose durch ansteigende Abgaben zu bestrafen, sollte die finanzielle Belastung vielmehr mit jedem Kind weiter sinken. Nur mit dieser Herangehensweise, die bewusst oder unfreiwillig kinderlose Menschen nicht als Problem und als unsoziale Verschiebemasse begreift, die man nur gründlich genug erziehen muss, können wir die Sozialsysteme und den sozialen Frieden langfristig sichern.