Was sich in meinem Notizbuch angesammelt hat.

Es sei wie bei König Midas, klagte der Freund, Jurist und Aufsichtsratsmitglied in mehreren mittelständischen Unternehmen: „Alles, was die deutsche Politik anfasst, verwandelt sich in Bürokratie.“

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Viele Jahre habe ich tapfer den Deutschlandfunk ertragen. Nun aber kann ich digital den Schweizer Nachrichtensender SRF 4 News empfangen. Ein fast schockhaftes Erlebnis: Moderatoren, die ihren Gesprächspartnern relevante, informierte Fragen stellen, nicht nur Fangfragen. Moderatoren, die diesen Gesprächspartnern tatsächlich zuhören, ihnen nicht bei der ersten Gelegenheit ins Wort fallen und damit ihr Desinteresse sowohl an den Antworten als auch am Informationsbedürfnis des Hörers dokumentieren. Wissenschaftssendungen, die sich mit Wissenschaft, Kultursendungen, die sich mit Kultur, Wirtschaftssendungen, die sich mit Wirtschaft befassen. Streitgespräche, bei denen tatsächlich Argumente ausgetauscht werden und alle relevanten Meinungslager zu Wort kommen. Erst wenn man die Oase erreicht hat, wird einem so richtig klar, wie durstig man war.

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„Sie verstehen mich doch?“ „Aber natürlich verstehe ich Sie. Eben darum werde ich mich künftig von Ihnen fernhalten.“

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Der Kabarettist steht auf einer Bühne, die von der örtlichen Sparkasse gesponsert wird. Weitere in der Region ansässige Unternehmen finanzieren, wie auf den Plakaten deutlich zu erkennen ist, das Stadtfest, bei dem er auftritt. Ohne ihren Beitrag würde die Stadt die Künstlergagen nicht bezahlen können. Eine regionale Mineralwasserquelle, eine überregional bekannte Brauerei und örtliche Gasthäuser sorgen für die Gastronomie und machen das Publikum auf sich aufmerksam. Auf der Bühne lästert der Kabarettist über die angebliche Unanständigkeit von Werbung. Zu den unerträglichsten Eigenschaften deutscher Intellektueller gehört jene Kombination von Arroganz und Ignoranz, die sie dazu verleitet, fortwährend in die Hände zu beißen, mit denen sie gefüttert werden.

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Der Theaterverein hatte zu einer Diskussionsveranstaltung geladen. Ich sollte einen Vortrag halten über das neue Theaterstück, bei dem es um die Machtübernahme einer rechtsradikalen Regierung in Deutschland ging. Das Stück war ziemlicher Mist. Es offenbarte eine grotesk oberflächliche, fast schon unfreiwillig komische Sicht auf Diktaturen. Als skandalösester Ausdruck der Gewaltherrschaft wurde beschrieben, dass die neue Regierung die Rundfunkgebühren abgeschafft und die Finanzierung der „Gender Studies“ an den Universitäten eingestellt hatte. Was tut man, wenn man über so etwas einen Vortrag halten soll, aber das Theater nicht unnötig in die Pfanne hauen will? Man flüchtet ins Grundsätzliche. Also hielt ich einen Vortrag darüber, was Diktaturen tatsächlich ausmacht und welches Denken ihnen zugrunde liegt: Die Einteilung der Menschen in edle und unedle Menschen, der Überlegenheitswahn, der Glaube, die eigene Weltsicht stünde über dem Recht, die Anmaßung, man selbst sei berufen, wahlweise das Land, die Moral oder gleich die ganze Welt zu retten usw., Dinge, die man gleichermaßen in allen radikalen Ideologien findet, bei rechten, linken, religiösen oder sonstigen Fanatikern und nicht zuletzt auch in dem Theaterstück, was ich aber nicht direkt sagte. Das Publikum hörte freundlich und interessiert zu, aber die Vertreter des Theaters fühlten sich offenbar ertappt und kochten vor Wut.

Dann folge die Fragerunde. Viele Hände hoben sich, es gab offensichtlich regen Diskussionsbedarf. Als erstes aber drängte sich eine Vertreterin des Theaters vor und verlangte mit schneidender Stimme eine Diskussion darüber, wie es passieren konnte, dass ein solcher Vortrag gehalten wurde. Mit allen Mitteln der Kunst versuchte sie, mich zu diskreditieren und damit mundtot zu machen: Was ich gesagt hätte, sei unwissenschaftlich, überholt und überhaupt ganz inakzeptabel. Fiel das Wort „rechts“? Vermutlich, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.

Soweit, so erwartbar. Schockiert hat mich aber, was danach geschah: Nachdem ich mich der Dame einigermaßen erwehrt hatte, sollte die Diskussion weitergehen. Aber nun hob sich keine Hand mehr. Stille. Der Diskussionsbedarf war verflogen. Nach der Veranstaltung aber, wir saßen noch in kleiner Runde in einem Café, kamen mehrere Teilnehmer auf mich zu, zaghaft, sich vorsichtig umblickend, dass auch ja niemand mithört, und gestanden mir, fast flüsternd, dass sie meinen Vortrag gut gefunden hätten, und dass sie meinen Mut bewunderten.

Seitdem bin ich der Ansicht, dass Bonn doch Weimar ist. Ich war überhaupt nicht mutig. Ich hatte nur Selbstverständlichkeiten von mir gegeben. Und es ging um nichts. Es war nur die Premiere eines schlechten Stückes in einem Provinztheater. Wenn sich die deutschen Bildungsbürger schon in dieser Situation von der aggressiven Wortmeldung einer linksradikalen Intellektuellen derart einschüchtern lassen, wie wollen sie denn dann die Freiheit verteidigen, wenn es wirklich darauf ankommt?

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Vor der Veranstaltung wurde mir, damit ich mich vorbereiten konnte, das Originalmanuskript des Theaterstücks zugschickt. Ich dokumentiere die dem Text vorangestellte Beschreibung der Hauptpersonen im Folgenden ungekürzt und unverändert: „Personen: Silvio ist ein weißer deutscher Mann aus Frankfurt. Roya ist eine deutsche Frau of Color aus der Nähe Frankfurts und war eine ziemlich erfolgreiche Journalistin. Marin ist ein weißer Mann aus Deutschland, vielleicht aus Köln, und ein Disponent. Lou ist eine Gender-non-conforming Wissenschaftler*in und Aktivisti aus Tschechien, und hat eigentlich Doktor in Gender Studies gemacht. Vera ist Cis-Tschechin und arbeitet vor dem Studium an der Shell. Der Grenzer oder Bundespolizist ist ein Mann, sehr weiß und sehr aus Deutschland kommend (also Herne oder Mainz oder so).“ Mal abgesehen von der bizarren Sprache und dem Rassismus, der den Text durchzieht: Offensichtlich hat der Autor auch von Mainz keine Ahnung.

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Die sind aber auch schon Schlingel, diese Juden: Erst bringen sie ungefragt die Wüste zum Blühen, und dann kann man sie noch nicht einmal ermorden, ohne dass sie sich zur Wehr setzen. Kein Wunder, dass deutsche Moralbürger angesichts solcher Dreistigkeit vor gerechter Empörung zittern.

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„Haben Sie eine Minute?“ „Ja. Und die werde ich mir nicht von Ihnen stehlen lassen.“