So lief der schicksalshafte Wahltag in der US-Hauptstadt.

In Washington D.C. gewann Kamala Harris mehr als 92 Prozent der Stimmen. Aber in den entscheidenden Swing-States zog Donald Trump mit ein bis zwei Prozentpunkten an ihr vorbei und wird 47. US-Präsident. 

5. November 2024, 7.30 Uhr, Washington D.C. Ortszeit: An einer Kirche nahe Dupont Circle stehen etwa 50 Wähler, um ihre Stimmen abzugeben. Ein Wahlhelfer spielt von einer Box Soul-Musik ab, um die Atmosphäre aufzulockern.

Kevin (28) sagt: „Ich bin ganz vorsichtig optimistisch, dass Kamala es schaffen wird. Aber jeder der sagt, er sei sicher, lügt sich was in die Tasche. Es wird so knapp, wie noch nie.“

8.30 Uhr: Das Weiße Haus ist für die Wahlperiode weiträumig abgesperrt, dahinter ziehen Arbeiter schon eine Bühne für den Amtsantritt am 20. Januar hoch. Agenten des Secret Service patrouillieren den Park davor. „Das ist wegen dem 6. Januar, da können schöne Dinge passieren“, sagt eine Washingtonerin. Am 6. Januar 2021 hatten Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt, um die Machtübergabe an die Demokraten zu verhindern.

10.40 Uhr: Ein Mechaniker, Eric (62), macht Pause im Park vor dem Kapitol. Er sagt: „Wenn Trump verliert, dann noch gegen eine schwarze Frau, werden er und seine Leute komplett durchdrehen. Das wird schlimmer, als der 6. Januar 2021.“

11 Uhr: Der deutsche Soldat Paul (26) ist auf Amerikareise. Zum Abschluss ist er in die US-Hauptstadt gekommen, um den Ausgang der Wahlen zu verfolgen. „Wer hier Präsident wird, ist wichtig für uns“, sagt er. „Trump hat gesagt, dass die USA vielleicht aus der Nato gehen. Wer wäre dann da noch als größere Militärmacht? Da hätten wir ein Problem.

Auch das Kapitol, vor dem Paul steht, ist jetzt schwerer gesichert. Eine Kapitol-Polizistin fährt davor mit einem Fahrrad Streife. „Am 6. Januar 2021 hatte ich gerade frei, viele meiner Kollegen wurden an dem Tag verletzt. Es war surreal. Wir wollen sicher stellen, dass so etwas nie wieder passiert.“

12 Uhr: Eine Südkoreanerin betreibt einen T-Shirt-und-Cappy-Shop an der prächtigen Constitution Avenue. Hier gibt es ein bisschen Trump. Mützen mit Slogans wie „Trump 2024“, „Make America Great Again“ und „Fight, Fight, Fight“. Sie, die auf Kamala Harris hofft; sagt: „Viele Leute kaufen das. Es ist 50/50!“ 

13 Uhr: Vor der Lincoln-Gedenkhalle ist ein Kriegerdenkmal. Dort steht eingraviert, die USA seien in Kriege gezogen, um die Tyrannei zu beenden.

Manche fürchten, Donald Trump könnte als nächster US-Präsident genauso ein Tyrann werden. Steve (75) und Nancy (73) aus Wisconsin gehören nicht dazu. Sie haben Trump schon vor Wochen gewählt und besuchen jetzt die Lincoln-Statue in Washington D.C.

„Ich glaube, Trump wird gewinnen, seine Unterstützer sind loyaler“, sagt Steve. 

Wisconsin ist einer der US-Bundesstaaten, in dem der Wahlausgang extrem knapp vorausgesagt wird, einer der Staaten, dessen Wahlmänner den Ausgang entscheiden können.

„Die Trump-Wähler leben wie wir in kleineren Gemeinden, die Harris-Wähler in großen Städten wie Milwaukee. Da muss man manchmal stundenlang warten, die Schlangen zu den Wahllokalen gehen um mehrere Blocks, da werden viele umdrehen und nach Hause gehen“, sagt Steve. Er würde Trump nicht als Person mögen, aber der Ex-Präsident sei besser darin, das Land zu führen.

„Wir sind aus Illinois nach Wisconsin gezogen, weil es dort zu viele Migranten gibt. Trump wird etwas dagegen tun“, sagt Nancy, deren Großeltern aus Deutschland und Frankreich in die USA kamen.

13.50 Uhr: Pastor Hank (36) und sein Vize-Pastor Brock (19) aus Iowa fahren durch die USA, um zu predigen. Gerade sind sie in Washington D.C. Hank trägt wie die Propheten aus dem Alten Testament ein Hemd aus Sacktuch. Beide sind Nichtwähler, wie 33,2 Prozent der Wahlberechtigten 2020.

„Beide Kandidaten sind nicht gottgefällig. Sie sind nicht gerecht. Wir sind hier, um Samen zu säen, die Gute Nachricht zu verbreiten“, sagt Brock.

Und Hank sagt: „2020 habe ich für Trump gewählt, das hat nichts gebracht. Ich habe dann nachgeforscht und im 2. Buch Daniel, Vers 21 gelesen: ,ER setzt Könige ab und Könige ein.‘ Es ist also egal, ob ich wähle oder nicht, alles kommt von Gott.“

15.15 Uhr: An prestigeträchtigen Orten Washingtons, vor dem Weißen Haus, beim riesigen Obelisk des Washington-Monuments, prangen Pro-Gaza-Graffiti. Israels Antwort auf die Hamas-Terrorattacke vom 7. Oktober könnte die Präsidentschaft mitentscheiden. Besonders in Michigan, wo etwa 270.000 muslimische Amerikaner leben, soll Kamala Harris sicher geglaubte Stimmen verlieren, da ihre Israel-Politik dieser Wählerschaft nicht gefällt (Trump hat den Bundesstaat gewonnen).

Dazu kommen deshalb verlorenen Stimme aus der Linken. 

Lehrer Adam (35) aus Minnesota ist so abgefallener Ex-Demokrat. Er hält am Weißen Haus ein „Stopp den Völkermord“-Schild und sagt: „Ich und viele meiner Freunde haben dieses Mal aus Protest gar nicht gewählt.“

Was sagt er dazu, dass er und die anderen dadurch Trump zur Macht verhelfen könnte, der in seiner Amtszeit einen „Muslim-Bann“ erließ, der es Menschen aus sieben muslimischen Ländern pauschal verbot, nach Israel einzuwandern?

„Ja, das ist ein Dilemma“, sagt Adam.

15.40 Uhr: Der schwarze Ex-Maler Kenneth (68) sitzt in Washingtons McPearson-Park auf einer Bank, um ihn herum mehrere Obdachlose. Er hat schon im August für Harris gewählt und erzählt, weshalb.

„Er ist ein schrecklicher Mensch, ein Frauenhasser, ein hundertprozentiger Rassist. Er will uns in die Jim-Crow-Ära zurückführen, damals hängte man uns Schwarze auf.“

Was sagt er dazu, dass einige Schwarze wie Rapper Kanye West öffentlich zu Trump stehen? „West ist verrückt und voller Sche**e. Alles wird besser werden, wenn Trump nicht wieder Präsident wird.“

17 Uhr: Bis 2 Uhr nachts deutscher Zeit, 20 Uhr Washingtoner Ortszeit, sind die Wahllokale in Washington D.C. noch geöffnet. Krankenschwester Amanda (34) will ihre Stimme noch abgeben – für Harris. 

„Mir geht es darum, die Gesundheit von Frauen zu schützen, gerade was Trumps Abtreibungsgesetze betrifft“, sagt sie. Sie mache sich Sorgen, was vier weitere Jahre des Republikaners für die USA bedeuten würden. „Was viele nicht realisieren: Er kann auch Richter einsetzen, die unser Land noch lange in seinem Sinne beeinflussen werden, auch wenn er schon weg ist.“

Lehrerin Crystal (42) war schon Harris wählen. Sie trägt ein Shirt auf dem steht „Kinderlose Hunde-Frau“ eine Anspielung auf die abwertenden Bemerkungen von Trumps Vizekandidat J.D. Vance über „kinderlose Katzen-Frauen“.

Sie sagt, sie sei von Harris nicht komplett überzeugt gewesen, aber die sei in diesem Fall die einzig mögliche Wahl für sie gewesen: „Ich bin sehr nervös. Um 19 Uhr bekommen wir die ersten Hochrechnungen von der Ostküste. Ich will nicht vier weitere Jahre Hass, Rassismus und Antisemitismus.“

19.15 Uhr: Der „Admiral Pub“ am Dupont Circle in Washington D.C.. Hier ist eine Wahlparty, die ersten Ergebnisse trudeln ein, noch nichts bahnbrechend Überraschendes.

Software-Ingenieur Will (40) aus New York wanderte als Kind aus Singapur in die USA ein, hat das Bauchgefühl, dass Trump es machen wird. „Ich habe für Kamala gewählt, aber ich glaube, dass Amerika nicht für eine jamaikanisch-indischstämmige Präsidentin bereit ist.“ Er sei in San Francisco aufgewachsen, wo Kamala Harris Bezirksstaatsanwältin war. „Die Kriminalität ging da durch die Decke.“, sagt Will. „Und mit den Republikanern hätte ich als Firmen-Eigentümer mehr Geld in der Tasche. Wenn auf der anderen Seite irgendein anderer Kandidat als Donald Trump wäre, hätte ich die Republikaner gewählt.“

20.26 Uhr: Stephan (57) aus Washington spricht auch etwas Deutsch, seine indischen Eltern trafen sich einst in Deutschland. Er ist einer der wenigen Trumper bei einer Wahlparty im „Admiral“ in Washington D.C. und zeigt das mit seinem Cappy. Er hat einen falschen 45-Dollar-Schein dabei, eine Anspielung auf Trumps Gewinn 2016, als er zum 45. US-Präsidenten gewählt wurde. 

Er sagt: „Als Kind habe ich in Frankreich gelebt, ich will so was nicht hier in den USA, deswegen habe ich Trump gewählt. Ich lebe jetzt 44 Jahre in den USA und das Land wird faschistisch-sozialistisch.“ Einer Sache ist er sich sicher: „Kamala wird gewinnen, weil die Demokraten betrügen!“

0 Uhr: Manager Dwight Weidenhammer (40) schaut die Wahlnacht in der „Kingfisher“-Bar im Zentrum Washington D.C.s., einer Absteige im Keller. Er wählte Kamala Harris und sagt: „Ich wollte eigentlich für keine Kandidaten wählen. Wir haben 330 Millionen Einwohner und das sind die besten Kandidaten? Aber ich habe dann für Frauenrechte gewählt und die Chance auf soziale Gerechtigkeit. Jetzt hat Trump North Carolina gewonnen. Ich glaube, die Wahl ist  vorbei, Trump wird es machen. Ich schätze, die Wirtschaft hat die Wahl entschieden. Die Leute wählen eher mit dem Portemonnaie, als mit Emotionen. Das Geld hat gewonnen.“

Dwight sollte Recht behalten. Wenige Stunden später reklamiert Donald Trump als 47. US-Präsident die Wahl für sich. Das blaue Bollwerk D.C. muss sich auf eine harte Zeit einstellen.