Sieben Punkte zur Rettung der SPD
Die SPD kämpft ums Überleben, findet unser Autor, der selbst Sozialdemokrat ist. Er hat Ratschläge für die Parteiführung
Fast eine Woche nach den Wahlen in Ostdeutschland verharrt die SPD-Spitze in der Schockstarre. Kevin Kühnert forderte am Wahlabend nur noch dazu auf, „die Ergebnisse fair einzuordnen“. Und fügte hinzu, dass kämpfen sich lohne. Eine tatsächlich faire, aber auch realistische Einordnung der Lage der SPD würde bedeuteten, dass das Willy-Brandt-Haus sich eingesteht, dass die Partei nicht nur im Osten mit einem Bein bereits im Abgrund steht. Und das hat auch mit der jetzigen Parteiführung zu tun, die aus dem Desaster der Europawahl nichts gelernt hat.
Politische Parteien haben keine ewige Existenzgarantie. In der Demokratie müssen sie sich am Markt behaupten. Es braucht ein glaubwürdiges Angebot, einen Mix aus Programm, Personen und auch politischem Stil, der in der Gesellschaft verfängt. Die Bürger müssen sich von der Partei ernstgenommen und repräsentiert fühlen, die sie wählen. Bei der SPD gilt das nur noch für einen kleinen Teil der Gesellschaft – die Zahlen zeigen, dass sich kaum ein Arbeitnehmer von Saskia Esken & Co. repräsentiert fühlt. Deswegen wurde Frau Esken auch schon aus der wahlkämpfenden SPD Brandenburgs nahegelegt, lieber aus der Öffentlichkeit abzutauchen. Doch das allein wird nicht reichen. Die Probleme der SPD liegen tiefer und es bräuchte einen Befreiungsschlag, um die Partei wieder konkurrenzfähig zu machen. Ob er kommen wird – da darf man skeptisch sein. Es fehlt nämlich bislang der Wille, aus Niederlagen zu lernen und sich neu aufzustellen.
Auf verschiedenen Feldern muss die SPD ihre Politik überdenken, um den Anschluss an die Gesellschaft wieder zu gewinnen.
- Ganz grundsätzlich: Die SPD muss den Blick wieder nach außen wenden, auf die Gesellschaft schauen und aufhören, sich um sich selbst zu drehen. In der Bevölkerung interessiert sich niemand für die verschiedenen Strömungen, Landesverbände, Gruppen und Grüppchen von SPD-Funktionären – für den Proporz. Jenseits der Spielchen dieses Funktionärskorps muss der Kern eines sozialdemokratischen Zukunftsversprechens für Arbeitnehmer wieder sichtbar werden. Dazu muss die SPD sich öffnen und aus der hermetischen Welt der Parteiführung ausbrechen.
- Schluss mit der halbherzigen Zeitenwende. Die SPD sollte, aus eigener Tradition und aus Verantwortung für Deutschland und Europa, offensiv für die freie Gesellschaft und den Westen eintreten, die Distanz zu den Autokraten wiederherstellen, die Ukraine unterstützen und Deutschlands Sicherheit verbessern. Das Gesicht für diesen Kurs ist der beliebteste Politiker der Republik: Boris Pistorius
- Die SPD muss wieder für innere Sicherheit stehen. Nicht die Rituale des „Kampfes gegen Rechts“ führen in die Mitte der Gesellschaft, sondern der Kampf gegen Extremismus von rechts, links und insbesondere gegen die islamistische Bedrohung. Nur so kann es gelingen, den Vertrauensverlust in den Staat aufzuhalten, der die Republik bedroht.
- Weg von der kritiklosen Übernahme zahlreicher Positionen der Grünen. In der Energie-, Drogen-, Identitäts- oder auch in der Klimapolitik hat die Partei sich stark den Grünen angeglichen. Das führt so weit, dass heute Arbeitnehmerinnen über den Strompreis die teure „Energiewende“ finanzieren. Die SPD sollte sich besinnen: eine bezahlbare Strom- und Heizungsrechnung ist ein ur-sozialdemokratisches Anliegen. Und so eine Katastrophe wie das Heizungsgesetz sollte einer sozialdemokratisch geführten Regierung nicht noch einmal passieren.
- Soziale Politik besteht nicht in der Erfindung immer neuer Transferleistungen, um vermeintliche „Gerechtigkeitslücken“ zu schließen. Statt Rente mit 63 und periodisch mehr Kindergeld sollte der Fokus wieder auf einem funktionierenden Staat, guten Schulen, auf Aufstiegschancen für alle, bezahlbaren Wohnungen und moderner Infrastruktur liegen. Das ist leider alles keine Selbstverständlichkeit mehr – es ist aber die Grundlage gesellschaftlichen Friedens. Der mit dem Bürgergeld beschrittene Pfad in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen widerspricht sozialdemokratischen Prinzipien und korrespondiert nicht dem Gerechtigkeitsempfinden der Arbeitnehmer.
- Gegen eine Deindustrialisierung Deutschlands, für wirtschaftliches Wachstum. In Großbritannien und Teilen der USA können wir sehen, wie der Abbau von Industriearbeitsplätzen zu sozialer Ungleichheit und auch Verelendung führt. Durch eine kluge und klimafreundliche Industriepolitik muss die SPD den Wohlstand in Deutschland sichern. Dazu muss Bürokratie abgebaut und ökonomische Dynamik gefördert werden.
- Die Partei braucht neue Gesichter und einen neuen Stil. Die alte Garde (auch wenn sie vom Lebensalter noch jung ist) wird die SPD kaum retten. Die Partei braucht Frauen und Männer, die ihre Wahlkreise gewinnen, die lokale Verwurzelung mit Weltläufigkeit verbinden, die durch ihre Qualifikationen glänzen und Sympathieträger sind. Sie sollte sich stärker gegenüber Expertinnen und der Wissenschaft öffnen und den Dialog mit der Zivilgesellschaft pflegen. Ihre Funktionsträger sollten jenen politischen Jargon meiden, der Distanz zwischen Partei und Bevölkerung schafft.
Die SPD wird vor der Bundestagswahl kaum in der Lage zu sein, sich in der hier beschriebenen Weise zu erneuern. Sie sollte aber auch darüber nachdenken, was mit den italienischen oder französischen Sozialisten geschah. Wie oben gesagt: Politische Parteien haben keine Ewigkeitsgarantie. Nur wer sich verändert, wer die Herausforderungen der Zeit erkennt, bleibt attraktiv.