Die Salonkolumnisten haben die Ergebnisse der gescheiterten Koalitionsverhandlungen unter die Lupe genommen. Ihr Urteil fällt deutlich aus: Gut, dass aus Jamaika nichts wird!

Hätte, hätte, Fahrradkette, Jamaika hat’s zerrissen, bevor es auch nur in die Koalitionsverhandlungen gegangen ist. Während die Politik noch mit dem Schwarzen-Peter-Spiel beschäftigt ist und die einzelnen Akteure sich gegenseitig die Schuld fürs Scheitern zuschieben, haben sich die Salonkolumnisten die Inhalte des Sondierungspapiers noch einmal Kapitel für Kapitel angeschaut.

Außenpolitik

Zunächst die gute Nachricht: Mit dem Kapitel „Internationale Politik, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit“ hatten die Sondierer dem Themenkomplex fast fünf Seiten Platz im insgesamt sechzigseitigen Sondierungspapier eingeräumt. Ein Bedeutungszuwachs zumindest aus quantitativer Sicht, der angesichts des ausgeprägten Desinteresses an außenpolitischen Themen im Wahlkampf durchaus schon als Erfolg gewertet werden kann. Erfreulich war an dem Themenkomplex zudem, dass es kaum Dissens gab, dieser beschränkte sich auf die Fragen nach den US-Atomwaffen in Deutschland, den Rüstungsexporten, der (relativen) Höhe der Entwicklungsausgaben und die Art der Handelsabkommen. Dissens, der durchaus noch überwindbar gewesen wäre. Das Elend jedoch ging auch schon gleich im ersten Satz des Sondierungspapiers los: „Unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik basiert auf einer wertorientierten Realpolitik“ hieß es dort und man hoffte im ersten Moment noch darauf, dass es sich um einen Copy-und-Paste-Fehler handele und eigentlich die „wertorientierte Außenpolitik“ gemeint war. Aber beim weiteren Lesen des Dokuments hätte man sogar die Forderung nach einer „realpolitischen Idealpolitik“ für möglich gehalten, so ausgeprägt war der Hang nach wohlklingenden, aber manchmal leider auch sinnbefreiten Wortschablonen.

Wohlklingende Wortschablonen, die keinem wehtun, die Forderung etwa nach „ziviler Krisenprävention“ ist so harmlos und so allgemein akzeptiert, dass sie nur kurz vor dem Must-have „nachhaltig“ ins Papier getackert wurde. Selbst bei Russland, einem Land, das mit erheblichem Konflikt- und Aggressionspotenzial daherkommt, wurde mit „Wir wollen gute Beziehungen zu Russland. Dabei setzen wir auf die Geltung des Völkerrechts, die Einigkeit des Westens und fortgesetzte Dialogbereitschaft“ eine salomonische Formel gefunden, der von Kirchen-Käßmann bis AfD-Gauland so ziemlich jeder hätte zustimmen können; allenfalls Kubicki hätte bei „Geltung des Völkerrechts“ womöglich Bauchschmerzen bekommen. Oder Magenkrämpfe.

Kurz: Beim Lesen des Sondierungspapiers wurde man das Gefühl nicht los, dass sich die Sondierer einfach aus dem Auswärtigen Amt einen Zettelkasten mit den schönsten und angesagtesten Textbausteinen des Jahres besorgt hatten. Dummerweise jedoch den Zettelkasten von 2005.

Dass mit einem Donald Trump im Weißen Haus die Fundamente der liberalen internationalen Weltordnung mittlerweile einsturzgefährdet sind? Nicht der Rede wert. Dass Russland mittlerweile eine revanchistische und irredentistische Macht ist, die durch gewaltsame Grenzverschiebungen nicht nur die Axt an die europäische Friedens- und Nachkriegsordnung gelegt hat, sondern auch die Nichtverbreitung von Atomwaffen nachhaltig unterminiert? Ebenfalls nicht der Rede wert. Dass das doch sehr löchrige Atomabkommen mit dem Iran bestenfalls uns, schlechtestenfalls jedoch den Ajatollahs Zeit verschafft; sich in Nordkorea bereits ein veritabler militärischer oder gar nuklearer Albtraum abzeichnet? Natürlich auch nicht der Rede wert, ebenso wie The rise and rise vom autoritären China.

Außen­po­li­tisch brennt es derzeit zwar an allen Ecken und Enden (Klugscheißer würden an dieser Stelle von „multiplen Krisenherden“ sprechen), aber die Sondierer haben es beim Business as usual belassen, als hätte der alte und etwas angestaubte R.E.M.-Song „It’s the End of the World as We Know It (and I Feel Fine)“ als Arbeitstitel für die Kapitelüberschrift hergehalten.

Schlimmer noch, man fragt sich, ob der geringe Dissens beim Sondierungspapier in außen- und sicherheitspolitischen Fragen womöglich nicht doch eher dem ausgeprägten Desinteresse der politischen Klasse an der Außen- und Sicherheitspolitik geschuldet sein könnte. Aber, immerhin, die Sondierer haben mit dem Themenkomplex wenigstens fast fünf Seiten vollbekommen.

Von Salonkolumnist Tobias Blanken.

Bildungspolitik

Bildung ist eines der beliebtesten Themen bei Landtagswahlkämpfen. Eine Spielwiese für Ideologen von links bis rechts und das größte, ständige Experimentierfeld der Republik. Denn das schöne an Schul- und Bildungspolitik ist, dass die Versuchsobjekte ein nachwachsender Rohstoff sind, der sich nicht wehren kann und im Gegensatz zu Ratten, Affen und sogar Mais keine Lobby hat: Kinder. Deshalb reformieren sich die Bundesländer unaufhaltsam im Vierjahrestakt zu Tode. Sie schaffen Schulformen ab und gründen neue; verkürzen oder verlängern die Zeit zum Abitur; senken oder erhöhen die Standards; erfinden Methoden, nach denen kein Kind auch nur ein einziges deutsches Wort korrekt schreiben lernt; stopfen die Lehrpläne mit Lehrerhobbys voll und erziehen Kinder zu Klimarettern, bevor sie überhaupt lernen, wie Wolken entstehen – und es gnade Gott jeder Familie, die ihr Grundrecht auf Freizügigkeit nutzen und mit schulpflichtigen Kindern zwischen zwei Bundesländern umziehen möchte oder muss.

Zumindest letzteres Problem hatten Grüne und FDP klar erkannt, weswegen sie in den Sondierungsgesprächen auf eine Verfassungsänderung drängten, mit der endlich der Bund die Möglichkeit bekommen sollte, die Richtlinien deutscher Bildungspolitik zu bestimmen. Aber CDU/CSU waren sich ihrerseits sicher, dass es auch wie bisher weitergehen könne. Und die Unionsparteien stellten die stärkste Fraktion. Es ist eine der vielen Stellen des Sondierungspapiers, an dem grundlegende Differenzen zutage getreten sind, die eine Koalition unmöglich erscheinen ließen. Denn wer die „weltbeste Bildung“ (FDP) oder „faire Bildungschancen für alle“ will (Grüne) – der muss auch bereit sein, grundlegende Schwächen des deutschen Bildungssystems anzusprechen und zu beheben.

Was diese Schwächen sind, kann man beispielsweise sehr gut bei der OECD nachlesen. Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist zwar im internationalen Vergleich mit rund 13 Prozent niedrig. Aber diese Zahl ist noch genauso hoch wie vor 30 Jahren. Woran das liegt, ist für jeden, der hinsehen will, offensichtlich.

Länder und Kommunen sind damit überfordert, die Kosten, den Personalaufwand und die Mühe aufzuwenden, die es erfordert, Kinder aus bildungsfernen Familien die entscheidende Unterstützung zu geben. Nach wie vor gibt der Staat im Vergleich zu viel Geld für Hochschulen und zu wenig Geld für Grundschulen und frühkindliche Bildung aus, was dazu führt, dass ausgerechnet der Bildungsstart derjenige Teil ist, der im höchsten Maß von den Eltern finanziert wird. Die schöne Mär von der kostenlosen Bildung, die insbesondere den Grünen so wichtig ist, stellt darüber hinaus jede Logik einer sozialen Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füße. Ein System, das durch den Verzicht auf Studiengebühren bei gleichzeitig unterfinanzierten staatlichen Unterstützungssystemen nicht etwa die bessergebildete Minderheit für gute Hochschulen in die Pflicht nimmt, sondern deren Finanzierung der Allgemeinheit – und damit einer Mehrheit von Nicht-Akademikern – aufbrummt, ist asozial. Und nachweislich nicht erfolgreich. Bildungschancen für alle? Nur im grünen Parteiprogramm. Und das hat bekanntlich immer recht.

Diese offensichtlichen Probleme wurden entweder in dem Papier gar nicht angesprochen oder verschoben oder verschleiert. Stattdessen hätten sich die Jamaika-Koalitionäre aber auf zwei entscheidende Maßnahmen einigen können, die bestimmt alles geändert hätten. Jeder Schüler bekommt vom Staat ein iPad. Und jede Schule bekommt noch eine Küche.

Von Salonkolumnist Dr. Deutsch.

Innenpolitik

Zumindest auf den ersten Bick wirkte die angepeilte Innenpolitik der Sondierungspartner auf Höhe der Zeit. 7500 Polizeibeamte mehr und effizientere Ordnungshüter – sowie seitens der Grünen die Forderung nach einer Art Ombudsmann fürs Polizeiwesen beim Bundestag, der als sowohl für die Beamten wie für die Bürger da sein sollte. Die Krux, es bei dem Jamaika-Spagat sowohl den konservativ-staatstragend Bürgerlichen wie dem linksakademischen Protestmilieu Recht machen zu wollen, zeigt sich beim Thema Cyber-Sicherheit. Hier ist Deutschland sowieso arg im Hintertreffen. In dem Papier heißt es: „Die Cybersicherheit ist für die Zukunft unseres Landes von herausragender Bedeutung. Wir wollen eine bundesweit einheitliche Abwehr von Gefahren und Angriffen aus dem Cyberraum.“ So weit, so gut. Doch schon im folgenden Absatz konterkarierte sich das Papier von selbst – und das ganz ohne eckige Klammern: „Wir stärken die bestehenden gesetzlichen Schutzschwellen bei Online- Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung unter Berücksichtigung der hohen Schutzvorgaben des Bundesverfassungsgerichts, unter Berücksichtigung der besonderen Risiken dieser Instrumente sowie der Sicherheitsbelange.“ Also mehr Datenschutz, der bekanntlich der beste Freund der Cyber-Täter ist.

Auch in Sachen E-Government und IT für Polizei wurde Modernität vorgeschützt – aber auch hier wurde sachorientierte Politik durch die parteiimmanenten Gegensätze neutralisiert: „Wir wollen eine E-Government- und Open-Data-Strategie für Deutschland entwickeln. Die IT der Polizeien von Bund und Ländern wird auf einem einheitlichen Standard mit verbesserter Qualität unter voller Wahrung der Belange des Datenschutzes modernisiert.“ Effizienz beim Ausbau elektronischer Verwaltung und Ermittlungsmethoden gegen die Heilige Kuh Datenschutz – in einem Satz.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie unvereinbar die Positionen der Sondierer waren, ist die (präventive) Vorratsdatenspeicherung. Hier waren die Parteien immer noch meilenweit voneinander entfernt – trotz vier Wochen harter Sachverhandlungen. In den berühmten eckigen Klammern manifestiert sich nicht nur der Dissens, sondern gleich der komplette politische Gegensatz. Für die FDP war die anlasslose Datenspeicherung verfassungswidrig. Für die Union ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Terror und für die Grünen sollte gleich EU-Recht greifen. Unklar auch die Positionen in Sachen Verfassungsschutz: „Das BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) soll auf freiwilliger Basis durch Vereinbarung mit einzelnen Ländern den Verfassungsschutz dort übernehmen können. Unabhängig davon können Länder auch die gemeinsame Erfüllung von Verfassungsschutzaufgaben vereinbaren.“

Und ein letztes Beispiel für den Gordischen Knoten Jamaika – das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Hier soll einfach die grafische Darstellung aus dem Sondierungspapier für sich sprechen: „Der Staat muss ein deutliches Zeichen gegen Hass und Hetze im Netz setzen. Dies gilt auch für die sozialen Netzwerke. Im Netz müssen die Persönlichkeitsrechte wie die Meinungsfreiheit geschützt werden. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird daher [Union: weiterentwickelt /FDP: ersetzt] [Kompromiss: grundlegend überarbeitet].“

Ein letzter Satz, der exemplarisch für das ganze Konzept Jamaika steht.

Von Salonkolumnist Daniel Killy

 

Umweltpolitik

Die Textpassagen im Sondierungspapier, die sich mit Umweltschutz, Naturschutz, Landwirtschaft und Klima befasst haben, spiegeln die diffuse und widersprüchliche Ausrichtung deutscher Umweltpolitik. Nichts Neues also.

In den meisten Formulierungen wurde deutlich, dass die Autoren die Klimapolitik (sprich die Energiepolitik) als dem Umweltschutz und dem Naturschutz übergeordnet betrachten: Klima über alles. Dass der Ausbau von Erneuerbaren Energien einige der schlimmsten Naturzerstörungen und Umweltverschmutzungen der Gegenwart verursacht, wurde schlicht ignoriert. Die Sondierer taten einfach so, als würde die erwünschte Energiepolitik auch irgendwie Umwelt- und dem Naturschutz enthalten. Leider ist da Gegenteil der Fall.

Die prominente Betonung deutscher Klimaziele zeugte von einer Gewissen Hybris. Derzeitiger Stand: Der Anteil des Kohlendioxids in der Atmosphäre beträgt 0,04 bis 0,06 Prozent, wiederum fünf Prozent davon stammt aus menschlichen Aktivitäten. Der Anteil Deutschlands daran liegt bei 2,3 Prozent. Die Annahme, dass die Bundesregierung am Thermostat der Erde drehen könne, ist – vorsichtig ausgedrückt – fragwürdig.

Die Vorstellungen über Klima- und Umweltpolitik, die in dem Papier transportiert wurden, sind letztlich grüne Ideologie in verwässerter Form. Es ist das alte Dilemma deutscher Umweltpolitik: Weil die anderen Parteien zu denkfaul und zu opportunistisch sind, die Vorgaben der Grünen kritisch zu prüfen, übernehmen sie deren Prämissen. Sie beschränken ihre Politik darauf, diese zu abzumildern und mit einem längeren Zeithorizont zu versehen. Viel zu selten wird die Frage gestellt, ob grüne Lösungsvorschläge tatsächlich der Umwelt dienen, oder nur die romantischen Gefühle der arrivierten Wählerschaft nähren.

So steht im Jamaika-Paper man solle „Green Finance“ fördern. Solche „nachhaltigen Finanzprodukte“ investieren oftmals in fragwürdige Firmen, deren Qualifikation darin besteht möglichst viel gefälligen Öko-Quark in ihren Prospekten unterzubringen. Ob Staudämme, Biomasse-Plantagen oder Elektroautobatterien (deren Rohstoffe mit Ausbeutung und ökologischen Verwüstungen gewonnen werden) besser sind als die Aktien eines stinknormalen Chemiekonzerns, ist durchaus anzuzweifeln.

Den Ausbau Erneuerbarer Energie müsse man „beschleunigen“ beziehungsweise „vorantreiben“, fanden die Sondierer. Dass der bisherige Ausbau mit 28.000 Windturbinen und dem Anbau von 2,5 Millionen Hektar Mais die Natur in Deutschland bereit stärker belastet als jede andere Industrie, wurde immerhin mit einem Satz angedeutet: die „Akzeptanz der Anwohner“, sowie der „Umwelt und Landschaftsschutz“ sei beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sicherzustellen. Man hätte gespannt sein dürfen, wie diese löbliche Einschränkung umgesetzt worden wäre.

Auch die „Energetische Gebäudesanierung“ sollte weiter vorangetrieben werden. Im Klartext: Während Plastiktüten abgeschafft werden, würden die Häuser mit dicken Kunststoffschichten überzogen, unter denen der Schimmel blüht und die im Brandfall der Feuerwehr das Löschen erschweren.

Dass unter der Überschrift „Umwelt“ als erstes von der „Schöpfung“ die Rede war, also von Religion, legt eine schwarz-grüne Harmonie nahe. Später wurden dann „wirksame Maßnahmen“ angemahnt, „um den Artenschwund zu stoppen“. Das war erfreulich, jedoch reichlich unkonkret. „unwirksame Maßnahmen“ würde wohl kaum jemand fordern. Wer etwas gegen den rapiden Niedergang vieler Insekten- und Vogelarten tun will, muss den Exzessiven Maisanbau für Biogas reduzieren (wogegen sich die CSU sträubte) und die Überdüngung des Grünlandes (wozu die meisten Landwirte nur gegen Ausgleichzahlungen bereit wären). Da blieben die Sondierer lieber im Ungefähren und postulierten ein „Sofortprogramm für den Schutz und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Insekten“.

Auch im Landwirtschaftskapitel wurde noch mehr Klimaschutz angemahnt und so getan, als gäbe es keine Widersprüche zum Umwelt- und Naturschutz. Dabei muss man kein Ökologe sein, um zu sehen, dass ein Landbesitzer, der sich auf Energiemais und Windkraft spezialisiert, zwar die deutsche CO2-Bilanz verbessert, dafür jedoch die Natur zerstört.

Erfreulich hingegen war der (vermutlich von den Grünen eingebrachte) Vorschlag, Direktzahlungen an die Landwirte zu reduzieren und stattdessen ökologische Leistungen zu belohnen. Dies wäre eine sinnvolle Position bei den anstehenden Verhandlungen zur gemeinsamen europäischen Agrarpolitik gewesen.

Leider wurde auch der übliche grüne Unsinn in den Passagen über Landwirtschaft festgeschrieben, z.B. dass biologische Wirkstoffe im Pflanzenschutz ökologisch vorteilhafter seien als chemische. Dies kann bei einigen Wirkstoffen so sein, bei anderen aber nicht. Auch dass der Biolandbau besonders gefördert werden müsste, wäre nichts weiter als grüne Klientelpolitik, die der Umwelt nicht viel nützt. Schon deshalb weil der Biolandwirtschaft beim Getreideanbau doppelt soviel Fläche verbraucht, um den gleich viel zu ernten. Das Thema Pflanzengentechnik kam gar nicht erst vor, offenbar war es zu brisant. Schweigend möchte man übergehen, dass Forscher und Unternehmen aus Deutschland abwandern, die sich mit diesem für die Landwirtschaft so wichtigen Bereich befassen. Ein Blamage für die FDP, dies nicht thematisiert zu haben.

Von Salonkolumnist Michael Miersch.

 

Selbstständigkeit und „Neue Gründerkultur“

Bei aller Kritik: Zumindest bei einem Thema las sich das Sondierungspapier ziemlich vielversprechend. Immer dann nämlich, wenn es um Unternehmensgründungen ging: Selbstständigkeit und Gründungskultur fanden in dem Papier sehr häufig Erwähnung. Offenbar ist der Politik mittlerweile aufgefallen, dass Selbstständigkeit in Deutschland zu stark belastet wird und weder Arbeitsplätze noch Innovationen vom Himmel fallen.

So hieß es im Sondierungspapier: „Wir wollen die freien Berufe stärken und ausbauen.“ Gut zu wissen! Freie Berufe zu stärken und auszubauen, müssten aber auch bestimmte Freiberufler und ihre Auftraggeber geschützt werden, siehe Thema Scheinselbstständigkeit. Etwas später folgte mein Lieblingssatz im Sondierungspapier: „Wir wollen eine neue Gründungsmentalität“. Ein klares Statement und Bekenntnis zur Förderung einer stärkeren Gründerkultur. Nur: der Fokus der Sondierer lag zu stark auf finanzieller Förderung, statt auf praktischer Befähigung. Typisch Politiker, die meinen, man könnte alles mit Geld lösen. Es liegt sicher nicht an zu wenig Fördertöpfen, dass in Deutschland wenig gegründet wird (es gibt bereits eine Fülle von Fördertöpfen und Stipendien). Es liegt an der mangelnden Kultur der Selbstständigkeit, die schon auf dem Bildungsweg manifestiert wird. Für eine „neue Gründungsmentalität“ braucht es also vor allem die kulturelle Aufwertung der Selbstständigkeit, eine gezielte Förderstruktur und den Abbau der Unwegsamkeiten. Hilfreich wäre etwa ein Schulfach „Entrepreneurship“.

Immerhin, etwas ähnliches hatten die Sondierer im Angebot: Zum „Gründer- und Starterpaket“ sollte laut dem Sondierungspapier auch ein „Gründerstipendium“ gehören. Wie das genau aussehen soll, blieb allerdings offen.

Gut klang auch der folgende Passus: „Wir wollen insbesondere Existenzgründerinnen den Weg in die Selbstständigkeit eben“. Großartig! Frauen brauchen auch keine Spezial-Förderung, es reicht schon, wenn man die Hürden abbaut, die besonders sie in ihrem Vorankommen bremsen. Zum Beispiel leiden besonders familienversicherte Frauen unter den Mindestbeiträgen der gesetzlichen Krankenkassen und verbleiben daher oft in einer ungewollten Teilzeitselbstständigkeit. Die Aufhebung der hohen Mindestbeiträge läuft aufgrund der Realitäten also automatisch unter Frauenförderung. Und wenn wir schon dabei sind: Es müssten auch Familienleistungen auf die Machbarkeit der Antragsstellung für Selbstständige überprüft werden. Es kann nicht sein, dass Familienleistungen und Elternrechte (!), die für alle gelten, für Selbstständige viel komplizierter in der Beantragung und Rechtslage sind, als für Arbeitnehmer.

Der in Aussicht gestellte Bürokratieabbau und der verbesserte Zugang zu Wagniskapital waren indes keine überraschenden Versprechen. „Wir wollen Bürokratie abbauen, insbesondere für Gründer und Start-ups, um den Beginn der Selbstständigkeit zu vereinfachen.“ Jeder freut sich über weniger Bürokratie, aber Bürokratie trifft Selbstständige nicht am Anfang am härtesten, sondern (Solo-)Selbstständige und Unternehmer, die bereits ein paar Jahre im Geschäft sind. Die Gründungsphase ist tatsächlich nicht so aufwändig und die deutsche Bürokratie entfaltet ihre Kompliziertheit erst dann, wenn man in den Bereich der „Scheinselbstständigkeit“ gerät, oder beginnt nennenswerte Beträge zu erwirtschaften, oder selbst zum Arbeitgeber wird. Hier muss Politik noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass bürokratische Hürden keineswegs hauptsächlich in der Gründungsphase ein Problem sind.

Alles in allem, war eine Sensibilisierung für die Probleme von Selbstständigen erkennbar und wichtige Punkte waren auf der Agenda. Keine eckigen Klammern. Da hätte sich was draus machen lassen können. Für Selbstständige wäre „Jamaika“ keine Katastrophe gewesen.

Von Salonkolumnistin Catharina Bruns.

Familienpolitik

Wer darauf gehofft hatte, dass Jamaika eine Koalition der Modernisierung wird, wäre in der Familienpolitik nur enttäuscht worden. Um Familien zu entlasten, schlugen die potentiellen Koalitionäre eine Erhöhung des Kindergeldes um 25 Euro vor, eine Maßnahme, die dem Steuerzahler allein 4,5 Milliarden Euro gekostet hätte. Das wäre Politik nach dem Prinzip „Gießkanne“ gewesen, ideenlos und wenig effektiv. Arme Familien hätten von dieser Maßnahme nur unzureichend profitiert, reiche Familien hätten durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge von höheren Steuerrückzahlungen zusätzlich profitiert. Warum dann eine Politik machen, die teuer ist und nur wenigen nützt?

Um den Flickenteppich an familienpolitischen Leistungen zu reformieren, hatten die Grünen im Wahlkampf für die Einführung einer Kindergrundsicherung geworben, die allen Eltern zusteht und bei höherem Einkommen abgeschmolzen wird. In dem Sondierungspapier ist von diesem Vorschlag gar keine Rede mehr. Die Grünen hatten diesen Vorschlag, wie zu erwarten war, wohl zugunsten anderer Politikfelder aufgegeben.

Wo die Grünen aber nicht hätten nachgeben sollen, ist das Thema Familienzeit; für junge Familien eine der entscheidenden Zukunftsfragen unserer Zeit. Im Sondierungs-Papier hieß es dazu lediglich, dass über „Lebenszeitkonten, Familienzeitkonten und KinderZeit Plus“ in den weiteren Koalitionsverhandlungen noch näher gesprochen werden sollte. Junge Eltern wünschen sich hier einen klaren Innovationsschub. Über 60 Prozent wollen Kinderbetreuung, Haushalt und Job fair und partnerschaftlich aufteilen. Tatsache ist aber, dass Männer zumeist noch in der Vollarbeits-Falle, Frauen in der Teilzeit-Falle hängen bleiben.

Die SPD hat hier im Wahlkampf für die Einführung eines Familiengeldes geworben. Frisch gebackene Eltern sollten nach diesem Modell ihre Wochenarbeitszeit auf 26-36 Stunden verringern und dafür bis zu zwei Jahre eine Kompensation des Monatslohns von bis zu 300 Euro erhalten. Nun wird die SPD aller Voraussicht nach nicht einer neuen Regierung angehören. Der Vorschlag hätte aber von Jamaika dennoch aufgegriffen werden sollen, verbessert er doch die Lebenssituation vor allem von denen, die hart arbeiten, Steuern zahlen und so den Wohlstand der gesamten Gesellschaft mehren.

Statt Milliarden für eine Erhöhung von Kindergeld oder der Weiterführung des Betreuungsgeldes („Herdprämie“) zu verpulvern, hätte Jamaika durch innovative Maßnahmen im Bereich der Familienzeit tatsächlich etwas bewegen können.

Positiv war an dem Sondierungspapier, dass Union und Grüne sich zum Ziel nach einem Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit bekannt haben. Doch der Teufel steckt hier im Detail. Ab welcher Betriebsgröße kriegt man denn einen Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit?

Auch die stärkere Beteiligung des Bundes am Kita-Ausbau, wie im Papier vorgesehen, kann nur begrüßt werden, blieb aber auch mit der Floskel nach einem „bedarfsgerechten Ausbau“ sehr schwammig. Was hier benötigt wird, ist nichts weiteres als ein massiver Ausbau an Plätzen und damit einhergehend auch eine Besserstellung des Erzieherinnen und Erziehern. Zwar ist die Kita-Politik noch weitestgehend Ländersache, doch junge Familien interessiert es nicht, wer hier politisch mit dem Finger auf wen zeigt. Junge Familien wollen, dass ihr Kind einen qualitativ guten Kita-Platz erhält, ohne sich bei Hunderten Einrichtungen gleichzeitig erfolglos bewerben zu müssen.

Das Thema Familienpolitik ist kein Gedöns-Randthema, sondern entscheidend für die Frage, unter welchen Bedingungen der Wohlstand in den kommenden Jahrzehnten erwirtschaftet wird. Dieses Zukunftsthema darf sich die kommende Regierung, gleich welcher Couleur, eigentlich nicht entgehen lassen.

Demokratieförderung

Wie die Vorgängerregierung auch, wollte Jamaika „die Zivilgesellschaft stärken und die Arbeit gegen jede Form von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit verstetigen.“ Bereits im vergangenen Jahr sind die Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie Leben“, das im Familienministerium angesiedelt ist, um weitere 104,5 Millionen Euro erhöht worden.

Insbesondere im Bereich der Radikalisierungsprävention wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut. Mit dem Ergebnis, dass zum Beispiel im Bereich der Islamismusprävention alles gefördert wird, was nicht bei drei auf dem Baum ist: vom Zentralrat der Muslime bis hin zum Liberal-Islamischen Bund, von den Heroes bis hin zum islamischen Dachverband der Schura. Niemand weiß eigentlich, was da eigentlich genau passiert. Hier braucht es in den kommenden vier Jahren genauere Ziel- und Ausrichtungsvorgaben.

Antisemitismus-Beauftragter

Inwieweit wird beispielsweise das Thema Antisemitismus bei der Präventionsarbeit berücksichtigt? Um genau das sicherzustellen und die Arbeit zwischen den Ressorts besser abzustimmen, forderten jüdische Organisationen und Fachexperten zuletzt die Einführung eines/einer Antisemitismus-Beauftragten, der/die im Bundeskanzleramt angesiedelt werden soll. Angesichts zahlreicher Vorfälle und Verunsicherungen in der jüdischen Gemeinschaft, ist auch diese Maßnahme längst überfällig.

Volksentscheide

Als ob die Farce um den jüngsten Volksentscheid in Berlin nicht schon abschreckend genug gewesen wäre, wollten die CSU, FDP und Grüne die Möglichkeiten der direkten Demokratie ausweiten. All diejenigen, die davon überzeugt sind, dass sich komplexe politische Vorgänge nicht auf „ja“ oder „nein“ reduzieren lassen können, hätten bei Jamaika auf die CDU vertrauen müssen, um diesen Unsinn aus einer neuen Regierung rauszuhalten.

Von Salonkolumnist Fabian Weißbarth.