Die großen Naturschutzverbände begnügen sich schon lange nicht mehr mit klassischem Natur- und Artenschutz – und haben damit Erfolg.

In Köln ist das mit der richtigen Seite so eine Sache. Die gute liegt auf der Seite des Rheins, an welcher der Dom steht, das Wallraff-Richards Museum liegt und sich die Innenstadt ausbreitet. Von ihr aus blickt man auf die falsche Seite, die „Schäl Sick“, von der aus man allerdings den besten Blick auf das Panorama der Stadt hat. Und das hat man von den Poller Wiesen aus, einem der schönsten Abschnitte der „Schäl Sick“. Kilometerlang kann man hier auf breiten Wiesen am Rhein entlang spazieren, den Schiffen zuschauen oder einfach die Aussicht auf Köln genießen.

Auch am 17. September war das so, ein Tag im Spätsommer, an dem sich der Herbst bereits leicht ankündigte. Doch nicht allen, die an diesem Tag über die Pollerwiesen schlenderten stand der Sinn nach Erholung und Entspannung. Denn der 17. September ist der internationale Küstenputztag, ein weltweites Ereignis an dem sich in Deutschland auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) beteiligt. Und da es in Köln keine Küste gibt, reinigen Mitglieder des Nabu gemeinsam mit Mitarbeitern des Handelskonzerns Rewe die Pollerwiesen, lesen Papierfetzen auf, sammeln Flaschen ein und entsorgen Verpackungen in große, orangene Säcke. 412 Kilogramm Abfall werden die Helfer im Laufe des Tages gesammelt haben.

Naturschutz pur, eine Arbeit, die nicht besonders spektakulär aber notwendig ist, dem Fluss und den Wiesen ebenso nutzt wie den Menschen und Tieren. Für Birgit Röttering, die Vorsitzende des Nabu in Köln die an diesem Tag passend mit einem blauen Nabu-Shirt mit dem Aufdruck „International Coastal Cleanup Day 2016“ gewandet ist, sind Aktionen wie die Reinigung der Poller Wiesen ein wichtiger Teil ihrer Arbeit: „Wir werden das jetzt jedes Jahr wiederholen. So etwas gehörte immer schon zu unserer Arbeit dazu.“ Der Nabu Köln betreut mehrere Biotope, Gruppen von Mitgliedern widmen sich in ihrer Freizeit der Beobachtung von Vögeln in der Natur – vor seiner Umbenennung 1990 nach der Verschmelzung mit der ehemaligen „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ der DDR hieß der Nabu „Bund für Vogelschutz“ und hat als solcher eine lange Geschichte.

„An dem besonderen Interesse an Vögeln erkennt man noch unsere Wurzeln“, sagt Röttering. Ein Schwerpunkt sei der aktive Naturschutz, ein anderer die Bildungsarbeit. Nabu-Mitglieder, sagt Röttering, gingen in Schulen und würden dort im Unterricht den Kindern und Jugendlichen die Natur näherbringen. In Köln, der drittgrößten Stadt des Landes, sicher eine wichtige Arbeit.

Ein paar Kilometer den Rheinabwärts ist der Nabu an diesem Tag auch präsent. Über 40.000 Menschen protestieren hier gegen das Handelsabkommen TTIP und zu den Unterstützern der Demonstration gehören neben Greenpeace, den Grünen und der Linkspartei zahlreiche Naturschutzverbände: Der BUND ist dabei, sein NRW-Landesvorstandsmitglied Michael Harengerd gehörte sogar zu den Rednern der Eröffnungskundgebung, die Naturfreunde und auch der Dachverband „Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NRW“, in dem kleinere Gruppe wie der Landesverband der Ameisenschutzwarte, die Betreiber der Biologischen Station Krickenbecker Seen und der Weseler Heimatverein Bislich zusammen gefunden haben, sie alle riefen zu den Protesten gegen das Freihandelsabkommen auf.

Naturschutzverbände, so denken die meisten Menschen, kümmern sich um den Erhalt von Seen, räumen Müll aus Wäldern weg und bringen Interessierten bei Ausflügen und Wanderungen die Natur näher. In seinem Jahresbericht 2015 verweist der BUND auf seine Arbeit: Mit dem Projekt „Rettungsnetz Wildkatze“ sichert man zum Beispiel Grundstücke für „Wildkatzenkorridore“, außerdem kümmert man sich um den Erhalt der Buchenmischwälder der Hohen Schrecke in Thüringen, der reich an seltenen Tieren, Pflanzen und Pilzen ist, unterstützt den Erhalt von Auen und jede Menge andere klassische Natur- und Artenschutzprojekte. Aber das ist längst nicht mehr der Schwerpunkt des BUND. Schon das Titelblatt des Jahresberichts ziert ein Foto von einer Demonstration gegen TTIP, auf der Homepage wird zu Protestmails gegen das Handelsabkommen CETA aufgerufen. Der BUND kämpft gegen die unkonventionelle Förderung von Erdgas, will Unkrautvernichtungsmittel aus den Regalen von Baumärkten verbannen und kämpft gegen Kohlekraftwerke.

Aber das ganz große Thema für den BUND wie für fast alle anderen Naturschutzverbände ist derzeit TTIP, obwohl es Fragen des Naturschutzes nur am Rande berührt. Das hat sich gelohnt – für den BUND und alle anderen, die sich an den Protesten gegen das Freihandelsabkommen beteiligt haben und es nicht zuletzt auch mit Horrorgeschichten über Chlorhühner und Theaterschließungen geschafft haben, eine Mehrheit der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass das 132 Freihandelsabkommen für ein Land wie Deutschland, das vom Export lebt, schädlich sei. Mag es in einem so umfassenden Abkommen auch jede Menge kritikwürdiger Punkte geben, so ist die ungeheure Mobilisierungskraft gegen das Gesamtprojekt doch vor allem einer Mischung aus Feindschaft zur Marktwirtschaft und Antiamerikanismus zu verdanken. Und nicht abwegig ist sicher der Gedanke, dass bei den Protesten auch eigene Interessen eine Rolle spielen.

Handelsabkommen waren über Jahrzehnte ein Thema, das außerhalb eines kleinen Kreises kaum jemanden interessierte. Das änderte sich erst mit TTIP und in etwas geringerem Maße mit dem Freihandelsabkommen CETA, das zwischen der Europäischen Union und Kanada verhandelt wird. Nicht nur neue NGO wie Campact oder Foodwatch konnten dank der Mobilisierung gegen TTIP ihr Spendenaufkommen steigern. Auch der BUND verzeichnete zwischen 2014 und 2015 einen Spendenzuwachs um 36 Prozent. Ähnlich gut lief es beim Nabu: Erhielt der Naturschutzbund 2014 noch 4,6 Millionen Euro an Spenden waren es 2015 schon 6,4 Millionen Euro. Geld, das die beiden Verbände durch ihre traditionelle Arbeit kaum eingenommen hätten. Sollte TTIP scheitern oder nach der Ratifizierung aus dem Fokus des öffentlichen Interesses verschwinden, werden auch der BUND und der Nabu, die sich von allen Naturschutzverbänden am stärksten gegen TTIP engagiert haben, vor dem Problem stehen, wie sie weiterhin das hohe Spendenniveau halten können, auch um die mittlerweile personell gestärkten Organisationen zu erhalten.

Dass die Idee ist natürlich verlockend, inhaltlich in Bereiche zu expandieren, die öffentlichkeitswirksam und lukrativ sind. Seit jeher ist Greenpeace mit diesem Konzept erfolgreich. Anstatt sich um Biotope in Köln zu kümmern oder vogelkundliche Wanderungen im nächstgelegenen Stadtwald zu organisieren, konzentriert sich Greenpeace als eine Art Öko-PR-Agentur nur auf wenige, populäre globale Themen: Zur Zeit sind es neben TTIP und Ceta vor allem die Rettung des Amazonas, der Kampf gegen den Diesel und, ein wenig pauschal, der Schutz der Meere. Greenpeace wird so zu einer Projektionsfläche für alle, die sich im weitesten Sinne um den Erhalt der Natur sorgen. Ein lukrativer Ansatz, mit dem Greenpeace im Jahr 2015 allein in Deutschland 57,7 Millionen Euro an Spenden einnahm.

Umweltverbände wie der NaBu und der BUND sind Riesen was die Mitgliederzahlen betrifft: 560.000 Mitglieder hat der Nabu, der Jugendverband Naturschutzjugend kommt noch einmal auf 80.000. Der BUND ist mit 565.000 Mitgliedern sogar noch etwas größer, auch die BUNDjugend liegt mit 85.000 Mitgliedern knapp vor der Naturschutzjugend. Deutlich kleiner und elitärer ist hingegen Greenpeace. Die Deutschlandfiliale hat nur 40 stimmberechtigte Mitglieder. Zehn sind Mitarbeiter von Greenpeace Deutschland, weitere zehn Mitarbeiter von ausländischen Greenpeace-Büros, zehn Personen aus dem öffentlichen Leben und noch einmal zehn ehrenamtliche Mitglieder. Mit 589.000 Fördermitglieder, die nur zahlen und nichts zu sagen haben, dringt Greenpeace jedoch in andere Dimensionen vor als BUND und NaBu. Die Greenpeace-Jugend ist mit 800 Mitgliedern in 50 Städten dann wieder eher überschaubar.

Die große Öko-Welt von BUND, Nabu und Greenpeace ist in Bochum-Langendreer weit weg. Der Vorort Bochums hat eigentlich andere Probleme, ist einer der Stadtteile, die von der Schließung des Opel-Werks am schwersten betroffen waren. Viele, die hier leben, haben ihre Jobs verloren. Es passt also gut, das im September die Naturfreundejugend in Langendreer ein Zentrum eröffnete. Politisch waren die von der Arbeiterbewegung geprägten Naturfreunde schon immer. Die Nähe zur Sozialdemokratie ist auch an diesem sommerlichen Samstag zu spüren: Andrea Busche (SPD), die Bezirksbürgermeisterin von Langendreer, ist ebenso gekommen wie Carina Gödecke (SPD), die in Bochum lebende NRW-Landtagspräsidentin. In Reden wird an die Geschichte der Naturfreunde erinnert, an die Grundidee, den Arbeiterkindern aus den Industriestädten durch Wanderungen und Zeltfahrten die Natur näher zu bringen, sie rauszuholen aus dem Dreck und ihnen ein paar Stunden oder Tage an der frischen Luft zu ermöglichen. Aber auch von dem Widerstand gegen die Nazis wird viel gesprochen, und wie wichtig es ist, ihnen auch heute entgegen zu treten. Das Publikum ist gemischt, die älteren Naturfreunde tragen stolz den Bierbauch zum Karohemd, die Sandale und die kurze Herrenhose erfreuen sich bei indes bei allen Besuchern großer Beliebtheit.

Philipp Unger ist im Vorstand der Naturfreunde und stolz auf das Ladenlokal. „Das ist für die Naturfreunde etwas Besonderes. Wir haben ja traditionell unsere Naturfreundehäuser, aber dass wir ein eigenes kleines Zentrum in der Stadt haben, ist schon etwas Neues.“ Das Zentrum soll ein Treffpunkt werden, hier sollen Veranstaltungen stattfinden. Auf dem Bürgersteig vor dem Haus sind an diesem Tag Tafeln aufgebaut, eine Ausstellung zum Thema Wasser, ein Klassiker, aber mit einer internationalen Perspektive. Es geht nicht so sehr um das in Deutschland – und schon gar nicht im regnerischen Ruhrgebiet – nicht vorhandene Problem des Wassermangels. Auf den Tafeln ist zu lesen, wie viel Wasser es kostet, Baumwolle in der Dritten Welt zu produzieren. Das Programm, das den jungen Besuchern präsentiert wird, ist eine bunte Mischung aus Naturerlebnis und politischer Bildung. Und auch hier darf TTIP nicht fehlen, aber es steht im Programm neben Kanutouren, Wanderungen, einem herbstlichen Pilze sammeln und einem Vortrag zur politischen Situation in der Türkei.

Lässt man diese einzelnen, zufälligen Impressionen aus dem Herbst 2016 Revue passieren, gewinnt man den Eindruck, dass der Erfolg von Naturschutzverbänden nicht unbedingt ein Gradmesser dafür ist, welche Bedeutung die Öffentlichkeit dem Natur- und Artenschutz zuschreibt. Die großen Verbände zumindest begnügen sich nicht mit diesem eigentlich ja schon sehr weiten Themenfeld. Ob sie dem Naturschutz damit schaden, weil sie seine Anliegen verwässern und Ressourcen abziehen, oder doch nutzen, weil sie Menschen über andere Themen anlocken und sie so womöglich doch für echte Naturschutzanliegen sensibilisieren, ist eine Frage, die sicher schwer aber sicher auch lohnend zu beantworten wäre.