Warum Fremdwörter und Angebermetaphern schädlich sind – vor allem für Autoren.

Prokrustesbett. Über dieses Wort bin ich kürzlich beim Lesen eines Artikels aus der FAZ nicht nur gestolpert, sondern gleich lang hingeschlagen – und habe es dann kurz nachgeschlagen. „Prokrustesbett? Was zum Henker ist das?“ Ich wette, dass selbst die Mehrheit der FAZ-Leser, deren Köpfe viel klüger sind als meiner, bei diesem Wort Ähnliches gedacht hat, nur vielleicht etwas gewählter.

Nun, ich helfe mit meinem neu ergoogelten Wissen gerne aus. Prokrustes war ein altgriechischer Unhold. Sagen zufolge bat oder zwang er Reisende, sich auf ein Bett zu legen. Wenn sie zu groß dafür waren, hackte er ihnen die Füße ab. Waren sie zu klein, hämmerte und streckte er ihnen auf einem Amboss die Glieder auseinander. Bevor jemand die Augenbrauen hochzieht: Ja, diese Story habe ich der Einfachheit halber von Wikipedia abgeschrieben. Ich weiß daher nicht, ob sie genau so stimmt oder nur ungefähr so oder gar nicht. Ich hatte all das ursprünglich gar nicht wissen wollen, ich wollte ja etwas ganz Anderes lesen, nämlich den Text in der FAZ. Deshalb, ganz ehrlich: Was Prokrustes, dieser Fiesling, so getrieben hat, ist mir egal.

Wenn Redakteure angeben wollen

Nicht egal ist mir, dass ein Redakteur in einer führenden deutschen Zeitung es nötig hat, im entscheidenden Satz seines Artikels ein Wort unterzubringen, für das ein Großteil der Leser vor den Zeiten des allgegenwärtigen Internets ein Lexikon aus dem Regal hätte ziehen müssen. Leser ohne entsprechendes Lexikon hätten gar in eine Bibliothek fahren müssen, vielleicht sogar mit dem Bus, und das nur, weil ein Redakteur mal richtig damit angeben wollte, dass er ein Wort kennt, das nicht jeder kennt. Und niemand bei der FAZ hat ihm diese Metapher herausredigiert und einfach in das übersetzt, was sie bedeutet: „Als Prokrustesbett oder Bett des Prokrustes bezeichnet man redensartlich eine Form oder ein Schema, wohinein etwas gezwungen wird, das dort eigentlich nicht hineinpasst.“ Sich dort aufhalten zu müssen, wo man nicht hinpasst, dafür könnte man das einfache deutsche Wort „Zwangslage“ verwenden. Oder „Bremerhaven“.

Okay, vergessen und vergeben wir mir bitte die unangemessen billige Pointe und werden wir wieder angemessen erbost. Ein Journalist, der mit Wörtern um sich wirft, die seine Leser nicht kennen, verfehlt seinen Auftrag. Sprache ist zwar grundsätzlich nicht nur ein Mittel zur Verständigung, sondern auch ein Mittel der Abgrenzung. Vom regionalen Dialekt über den Slang von Jugendlichen bis hin zu akademischem Fachchinesisch: Sprache ist immer auch als ein Code geeignet, mit dem Gruppen unter sich bleiben können. Jedoch: Es ist nicht die Aufgabe von Medienleuten, unter sich zu bleiben – im konkreten Fall: unter jenen, die noch eine anständige humanistische Bildung genossen haben und wissen, was das Bett des Prokrustes war. Medien sind vermittelnde Elemente. Die Aufgabe von Medienleuten ist es, aus einem Wust von Nachrichten und Fakten das herauszufiltern, zu portionieren und zugänglich zu machen, was aus professionellen Gesichtspunkten heraus das Wichtigste ist. Und das ist nur möglich, wenn der Absender so schreibt und spricht, dass die Adressaten ihn verstehen.

Sprachlicher Bombast

Das ist der Grund, warum alle Sprachpäpste zu recht vor Fremdwörtern und hochgestochenen Sprachbildern warnen. Als Profi hermetisch zu schreiben, ist keine Kunst. Es ist eine Unart, für die es nur eine einzige nachvollziehbare Begründung gäbe: Durch sprachlichen Bombast verschleiern zu wollen, dass man eigentlich nichts Besonderes zu sagen hat. Ein Journalist, der eine Meinung äußert, sollte schon allein dieses Verdachts wegen den Anspruch haben, sich verständlich zu machen.

Dies meine ich ganz grundsätzlich. Das Prokrustesbett ist bei weitem nicht das einzige Beispiel in dieser Hinsicht – aber im aktuellen Fall ein perfektes. Das Wort stand in einem Kommentar des FAZ-Korrespondenten Michael Martens, dessen These – verkürzt – lautet, der Springer-Verlag trage eine mindestens moralische Mitschuld daran, dass der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei in Polizeigewahrsam sitzt. Denn Yücel besitzt neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft, er sieht so aus und heißt so, wie man sich einen Türken vorstellt. Ausgerechnet aus Anlass von Yücels Verhaftung, die gegen alle Regeln der Pressefreiheit verstößt und reine Schikane ist, fand es Michael Martens an der Zeit, gewissermaßen unter Kollegen mal Folgendes klarzustellen: „Verlage schulden den Lesern Journalisten, nicht Türken vom Dienst, eingezwängt in das Prokrustesbett ihrer Biographien.“

Mal abgesehen davon, dass viele das Wort Prokrustesbett nicht kennen und es das Wort Korsett besser getroffen hätte: Das Prokrustesbett ist in diesem Satz völlig überflüssig. „Türken vom Dienst, eingezwängt in ihre Biographien“ hätte ausgereicht, um dem Leser zu verdeutlichen, dass Deniz Yücel für den Autor ein Türke vom Dienst wider Willen ist. Mit dem doppelt gemoppelten Prokrustesbett klingt die Unverschämtheit zwar vornehmer. Aber unverschämt bleibt sie. Und damit passt der mythische Rohling vom Dienst dann doch perfekt. Als Pate für schlechten Stil.