Angriff der Antidemokraten
Was sind Ziele und Methoden der neurechten Feinde der Demokratie, wer ihre Verbündeten? Und: wie können wir ihren Angriff abwehren? In seinem neuen Buch beschäftigt sich Samuel Salzborn mit der völkischen Rebellion der Neuen Rechten.
Wer in den letzten Monaten abends den Fernseher einschaltete und eines der Talkshowformate zur besten Sendezeit wählte, rieb sich oft verdutzt die Augen, war doch Knall auf Fall ein unausgesprochener Konsens der bundesdeutschen TV-Landschaft gebrochen: die Talker(inne)n zur Primetime diskutierten Woche für Woche mit Vertreter(inne)n der extremen Rechten. Man kann fraglos darüber streiten, ob antidemokratische Positionen innerhalb einer Demokratie überhaupt unter Einbezug ihrer Verfechter/innen medial diskutiert werden sollten – vieles spricht dagegen – aber den Demokratiefeinden ohne Not in epischer Breite eine Bühne für ihre Parolen zu schaffen, irritierte.
Mehr noch: es war ein wesentlicher Garant dafür, dass sich Menschen, die rassistische, antisemitische und völkische Einstellungen haben, Abend für Abend darin ermutigt fühlen mussten, nun bei der nächsten Wahl ihre rassistischen Einstellungen auch in rassistische (Wahl-)Handlungen umzusetzen. Es nutzt wenig, wenn Tages- und Wochenzeitungen in oft umfangreichen Recherchen die Weltbilder, Vernetzungen und Ziele rechter Gruppierungen herausarbeiten und aufzeigen, warum sich die neu etablierte Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) als parlamentarischer Arm der rechten Bewegung mit wesentlichen Forderungen gegen die Kernelemente der bundesdeutschen Demokratie stellt, wenn die Fernsehsender diese Erkenntnisse fortlaufend konterkarieren. Nämlich dadurch, dass sie so tun, als seien Rassismus und völkischer Nationalismus einfach Meinungen, die in einer Demokratie gleichberechtigt neben anderen medial diskutiert werden sollten. Schuld und Verantwortung für den Aufstieg der AfD allein bei den TV-Talkshows zu suchen, wäre sicher verfehlt – ohne die umfangreichen Möglichkeiten zur personellen Selbstdarstellung und inhaltlichen Werbung wäre die AfD aber weder kontinuierlich in Landtage eingezogen, noch hätte sie es geschafft, irgendwo (außer vielleicht in einigen Regionen Ostdeutschlands) zweistellige Ergebnisse zu erzielen.
Eine Gesellschaft, die meint, rassistische und völkische Positionen – die gegen basale Grundnormen der Verfassung wie Art. 1 und Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen und damit außerhalb des demokratischen Pluralismus stehen – seien diskutierbar, läuft Gefahr, ihren demokratischen Kern selbst zu zerstören. Dass man das wissen kann, will das Buch „Angriff der Antidemokraten“ zeigen: Es geht darum kenntlich zu machen, wie der Angriff der Antidemokraten erfolgt, warum ihre Ziele antidemokratisch und demokratiefeindlich sind, wie die Bezugnahmen auf völkische Bewegungen erfolgen, wer zentrale Referenzautoren sind und warum die bundesdeutsche Demokratie als wehrhafte Demokratie endlich aufhören muss, Rassist(inn)en öffentliche Foren zu bieten. Wir müssen dringend über Rassismus diskutieren – und ebenso dringend wieder aufhören, dies mit Rassist(inn)en zu tun.
Wesentlich an den Strategien rechter Hegemoniegewinnung ist, die öffentliche Sagbarkeitsgrenze zu verschieben. Und diese Strategie funktioniert so: es gibt in einer demokratischen Gesellschaft zwei Ebenen, auf denen definiert ist, was Teil des politischen und des gesellschaftlichen Pluralismus ist – und auch, was von diesem ausgeschlossen wird. Die harte Regelung dessen ist die gesetzliche: das Strafrecht limitiert die freie Meinungsäußerung und stellt bestimmte Formen von diskriminierenden Aussagen unter Strafe. Juristisch spricht man hier von der Norm; mit Blick auf das Grundgesetz sind wesentliche Aspekte der Verfassungsnorm in den Grundrechten fixiert, die ihrerseits wiederum den Rahmen für einfachgesetzliche Regelungen – wie das Strafrecht – bilden. Neben der Verfassungsnorm existiert aber auch, als weiches Kriterium, die Verfassungswirklichkeit – die sozialwissenschaftlich oft als politische Kultur bezeichnet wird und die nicht immer im Einklang mit der Verfassungsnorm stehen muss.
Als politische Kultur versteht man, angelehnt an die Begründer der politischen Kulturforschung Gabriel A. Almond und Sidney Verba formuliert, die subjektive Dimension des Politischen, also letztlich die Frage, wie die rechtlichen und politischen Strukturen, in der Gesellschaft in und durch die Individuen verstanden, getragen und akzeptiert werden – oder eben auch nicht. Die politische Kultur eines Landes, die immer nur im Plural gedacht werden kann, formuliert ein Setting von ungeschriebenen Regeln, die für das Handeln der Akteurinnen und Akteure zentral sind. Wollte man es metaphorisch ausdrücken, ist die politische Kultur so etwas wie der überindividuell konstituierte Mentalitätsbestand eines Teiles der Gesellschaft. Die ungeschriebenen Regeln, die den politischen Kulturen zugrunde liegen, können dabei in drei Verhältnissen zu den normativen Vorgaben des politischen Systems, also zur Verfassungsnorm stehen. Erstens können die ungeschriebenen Regeln des Politischen innerhalb einer Gesellschaft (weitgehend) identisch mit den formalen Regeln und Institutionen sein oder zumindest nicht im Konflikt mit ihnen stehen. In diesem Fall stützt die Verfassungswirklichkeit die Verfassungsnorm, und die ungeschriebenen Regeln führen zu einer stabilen Verfassungsordnung. Zweitens besteht die Möglichkeit, dass die ungeschriebenen Regeln im Widerspruch zur geschriebenen Verfassung stehen und insofern ein Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit formulieren. Sie wollen die geltenden Normen verändern, wobei es gleichermaßen um konstruktive wie destruktive Veränderungen im Sinne von (zunehmender) Demokratisierung und (zunehmender) Autokratisierung gehen kann. Und drittens schließlich können die ungeschriebenen Regeln des Politischen politische Apathie begründen und damit ebenfalls zu Stabilität führen, da ihre Akteurinnen und Akteure weder gesellschaftlich noch politisch in irgendeiner Weise aktiv werden.
Während an der Verfassungsnorm von der extremen Rechten aufgrund der demokratischen Mehrheitsverhältnisse gegenwärtig keine Änderungen möglich sind, versuchen sie durch ihre Kämpfe um „kulturelle Hegemonie“ die Grenzen des Sagbaren aufzuweichen und die politische Kultur der Bundesrepublik auf diese Weise schleichend nach Rechts zu verschieben. Wenn es gelingt, so die rechte Hoffnung, die Verfassungswirklichkeit zu entdemokratisieren, dann kann in einem zweiten Schritt auch die Verfassungsnorm entsprechend geändert bzw. abgeschafft werden.
Hannes Stein hat mit Blick auf die amerikanische Debatte nach dem Wahlsieg von Donald Trump sehr präzise auf den Punkt gebracht, wie die hierfür verfolgte Medienstrategie funktioniert. Stein nennt diese Strategie Gaslighting – mit Bezug auf den Film Gaslight von 1944, bei dem die Hauptfigur in ein Szenario gerät, bei dem sie selbst irgendwann nicht mehr weiß, was „Realität und was Einbildung ist“:
Auf der einen Seite ist es neurechte Medienstrategie im Kampf für eine rechte „kulturelle Hegemonie“, auf der anderen Seite das Prinzip des Gaslighting, das die AfD öffentlichkeitswirksam praktiziert. Es geht darum, wie es in einem Strategiepapier des AfD-Bundesvorstandes aus dem Dezember 2016 heißt, „sorgfältig geplante Provokationen“ zu platzieren, man müsse „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“, „harte und provokante Slogans“ seien „wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“. Zentrales Ziel der AfD ist dabei die „Eskalation der Konflikte“ und die „Verschärfung der inhaltlichen Positionierung“, denn: „Je klarer und kontroverser die AfD sich positioniert desto weniger können die Medien sie ignorieren.“ Das offensichtliche Ziel dieser Hoffnung auf Kaperung der demokratischen Medien besteht darin, möglichst viele Lügen und Halbwahrheiten zu streuen und dabei um jeden Preis zu provozieren. Es soll das aggressive Gefühl geschürt und der irrationale Glaube verbreitet werden es gebe keine Wahrheit, sondern nur noch „postfaktische“ Emotionen – umso in einem dichten Nebel der Gerüchte die eigene völkische, rassistische und antisemitische Weltsicht schleichend zu verankern und dabei die demokratischen Medien zu instrumentalisieren.
Einen Erfolg im Ringen um die Verschiebung des öffentlichen Meinungsklimas in antidemokratischer Intention können die völkischen Rebellen schon lange verbuchen – und er ist eine Grundlage dafür, dass man Rechten so exorbitant viel TV-Raum einräumt: Heute wird von vielen Menschen der Terminus „Political Correctness“ (PC) verwandt – aus völlig unterschiedlichen politischen Spektren. Dass dieser rechte Kampfbegriff in die öffentliche Debatte eingesickert ist, ist dabei ein Erfolg neurechter Strategien: in den 1990er Jahren startete die Wochenzeitung Junge Freiheit eine Imagekampagne, bei der Anti-PC-Aufkleber verteilt wurden. Man hat dazu eine intentional gänzlich anders gelagerte amerikanische Debatte, die auf Antidiskriminierung zielte, instrumentalisiert, den Begriff übernommen und dafür genutzt, um zu suggerieren, dass es nicht gute, berechtigte und für eine Demokratie richtige Gründe sind, rechte Positionen auszugrenzen, sondern dass es eine Haltung der Political Correctness gebe, dies zu tun.
Wenn man den Begriff etwas genauer unter die Lupe nimmt, fällt auf, dass er mit einer völkischen Phantasie arbeitet – nämlich der Unterstellung, dass es jenseits des (Straf-)Rechtes irgendwelche Menschen oder Gruppen geben würde, die die Macht darüber hätten zu definieren, was nun politisch korrekt sei und was nicht. Insofern liegt hinter dem Begriff ein Verschwörungsglaube an unfassbare Mächte im Hintergrund, die Menschen kontrollieren und ihnen Vorschriften machen würden. Die Geschichte der Bundesrepublik zeigt, dass das schlichtweg gelogen ist – aber es spielt mit der Phantasie von Menschen, die selbst glauben, bestimmte Dinge nicht sagen zu können und verschafft denen, die an die Existenz einer „Political Correctness“ glauben, einen selbstgefälligen und arroganten Opferstatus, bei dem man jede noch so menschenverachtende und antidemokratische Gesinnung stets im Gestus vorbringen kann, man selbst werde ja unterdrückt in seiner Meinungsfreiheit. Dass in einer Demokratie die systematische Diskriminierung von Menschen aus rassistischen, antisemitischen und völkischen Gründen rechtlich und politisch unterbunden werden muss, soll die Freiheit und Gleichheit der Menschen garantiert werden, wird mit der Phantasie der Existenz einer „Political Correctness“ vom Tisch gewischt – und dass der Begriff in den Mehrheitsdiskurs eingesickert ist, zeigt, wie wirkmächtig neurechte Strategien sein können: Denn wenn man erstmal den Begriff verwendet, dann kauft man unter der Hand damit auch seine Assoziationen ein und beteiligt sich – oftmals, ohne dies zu wollen oder gar nur zu wissen – an einem schleichenden Prozess der Entdemokratisierung. Dies geschieht auch in den Fernsehtalkshows, wenn man dort bei der Programmplanung glaubt, man können offen über „alles“ reden, sich besonders plural und unbeeinflusst von der (erfundenen) „Political Correctness“ wähnt, dabei aber mit jeder Einladung an eine/n rechte/n Politiker/in ein Stück demokratischer Freiheit herschenkt, statt sie gegen die neurechten Agitatoren zu verteidigen, für die demokratische Medien sowieso nur als – so der vom Nationalsozialismus übernommene Kampfbegriff – „Lügenpresse“ gelten.
Die Quellenbelege zu der hier in Auszügen vorabveröffentlichten Einleitung finden sich im Buch. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.