Die Schüsse waren kaum verhallt, das Blut noch nicht trocken, da wurde schon über die Motive des Massenmörders in Las Vegas spekuliert. War er ein Muslim? War er kein Muslim? Und was war er dann? Vielleicht ist die Antwort furchterregender, als man denkt.

So viel Einigkeit war selten: Der IS behauptete, dass der Attentäter von Las Vegas ein Muslim war. Einige Rechte behaupteten ebenfalls, dass der Täter wohl ein Muslim war – und verbreiteten den IS-Fake dankbar weiter. Und gab es Menschen, die weder die Muslims noch sonst einen Migranten verantwortlich machten, setzten sie sich immerhin dem Verdacht voreiliger Täter-Nichtbeschuldigung aus. Nur der amerikanische Präsident hat eine eigene Theorie: Er sieht das „absolut Böse“ am Werk, was in allen Religionen Konsens ist – und vielleicht sogar der Wahrheit am nächsten kommt.

Doch egal, wer Stephen Paddock wirklich war – ein spätkonvertierter Muslim, der Country Musik hasste, ein Anhänger des Ku-Klux-Klan, der in Las Vegas ein Zeichen setzen wollte, ein verzweifelter Spieler, der nach einer Pechsträhne die große Nummer abziehen wollte oder einfach nur ein gottesfürchtiger Bürger, der eine Stimme hörte, die sagte: Nimm Deine Gewehre, miete ein Zimmer im 32. Stock des Mandalay-Hotels und schieße auf alles, was sich bewegt – eines ist klar: Gegen diese Art von Terror helfen keine Mauern, keine Einwanderungsgesetze, keine Hetze gegen Flüchtlinge. Dieser Schrecken ist hausgemacht.

Zuflucht zu einer metaphysischen Instanz

Stephen Paddock war das, was man einen Home-Grown-Terrorist nennt, ein äußerlich biederer „Schläfer“ aus einem der zahllosen Rentnerstädte Amerikas, so heißt es. Ein freundlicher Pensionär mit einem beachtlichen Waffenarsenal, wie es ihn in Amerika in jeder Kleinstadt gibt. Und will sich der Präsident nicht den Zorn der Waffen-Lobby, seiner Wähler, zuziehen, dann bleibt ihm nur die Zuflucht zu einer höheren metaphysischen Instanz, zu Mächten jenseits aller Vernunft und Vorstellungskraft. Gegen das „absolut Böse“ kann man nichts ausrichten. Da kann man nur Kerzen aufstellen, beten und die eigene Heimwehr mit noch mehr Waffen aufrüsten. Und nach ein paar Wochen wieder zur Tagesordnung übergehen – bis zum nächsten Attentat.

Doch diesmal wird es nicht ganz so einfach sein, das übliche Ritual aus Schock, Trauer, halbherzigen Forderungen nach Waffenbegrenzung und anschließender Verdrängung durchzuziehen. Vielen US-Bürgern dämmert allmählich, dass sie einem Hitchcock-Trick aufgesessen sind. Während große Teile der amerikanischen Rechten der Ansicht sind, dass der Mörder vor der Tür steht, ist er längst im Haus und gehört zur Familie. Ganz schön unheimlich, was auch der „Master of Suspense“ wusste.

Das Böse ist immer das Fremde

Es ist ein offensichtlich unausrottbares Stereotyp, dass das Böse immer das Fremde ist, gegen das man in einer Art spätromantischen Anwandlung Mauern errichtet, Dämme, Stacheldraht. Auch die hiesigen Rechtspopulisten preisen das Allheilmittel „Festung Europa“ – eine lächerliche Idee, die sich in der Geschichte noch während der napoleonischen Kriege erledigte. Schon der Krieg auf dem Balkan zeigte, dass der Schrecken gleich nebenan wohnen kann – der serbische Nachbar, mit dem man jahrelang gemeinsam arbeitete, feierte, Lieder sang, und der plötzlich über Nacht zum Mörder mutierte. Ähnliches dürfte sich auch anderswo, etwa in Ruanda, Somalia oder Kambodscha ereignet haben.

Es ist schon richtig, dass die größte Blutspur weltweit derzeit von den Islamisten gezogen wird, wobei man jedoch geflissentlich unterschlägt, dass auch Assads säkularer Bombenterror inzwischen Hunderttausenden das Leben gekosten hat, die Buddhisten in Myanmar keine Scheu haben, Muslime in großen Mengen zu ermorden und überhaupt die Welt durch die auch schon von Robert Kagan angeprangerte Passivität Obamas, die in Trump noch eine Steigerung erfahren hat, deutlich unsicherer geworden ist.

Die Antwort von Stephen Bannon, Donald Trump und Alt-Right auf das selbstverschuldete Ende der Pax Americana ist der Extrem-Isolationismus. Soll die Welt sich selbst helfen, die USA mauern sich ein – America First! Was aber, wenn der Heckenschütze auf seinem Hochsitz längst innerhalb der Wagenburg ist?