Brachialrapper Kollegah war zu Gast in der ersten Sendung des Neomagazins Royale nach der Winterpause. Kritiker sagen, die Texte des Musikers enthielten antisemitische, homophobe und frauenfeindliche Zeilen. Satiriker Jan Böhmermann aber verschlug es im Gespräch mit dem Rap-Star glatt die Sprache.

Von Martin Sehmisch

Aus Sicht von Organisationen des jüdischen Lebens in Deutschland ist Felix Antoine Blume (Künstlername: Kollegah) ein „Sänger, der Antisemitismus, Homophobie und Gewalt gegen Frauen propagiert“. Der Zentralrat der Juden, AMCHA Deutschland und fünf weitere Organisationen forderten deshalb Ende Januar die Absage eines geplanten Auftritts des Rappers beim diesjährigen Hessentag. Dem verantwortlichen Oberbürgermeister der Gastgeber-Stadt Rüsselsheim wurde angesichts der daraufhin einsetzenden Medienberichte der Trubel zu viel. Auf Facebook erklärte er, Kollegah ausladen zu wollen. Der Musiker veröffentlichte unterdessen den Brief der Organisationen des jüdischen Lebens auf seiner Facebookseite, die rund 1,9 Millionen Fans hat, und schob später eine eigene Stellungnahme nach.

Seine Fans reagierten mit Verständnislosigkeit, Häme und Wut auf die Kritik an ihrem Idol. Einige griffen dabei zu antisemitischen Stereotypen. Häufig zu lesen ist zudem die Mutmaßung, die Kritik der Organisationen des jüdischen Lebens habe etwas mit dem Youtube-Film „KOLLEGAH IN PALÄSTINA“ zu tun. Der Film ignoriert legitime Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates und zeigt die Palästinenser in der sattsam bekannten Opferrolle. Zahlreiche Kollegah-Fans glauben nun offenkundig, die Kritik an Texten des Rappers sei ein Vorwand, um sich wegen seiner Parteinahme für die Palästinenser zu revanchieren. Die vorgetragene Sorge wegen hasserfüllter Texte wird zur Rache-Aktion umgedeutet. Der Zentralrat der Juden sei ein Sprachrohr für Israels „rechte Spinnerregierung“ und werfe „den Antisemitismus-Vorwurf völlig inflationär durch die Gegend“, heißt es etwa.

„Viel zu besprechen“

Dem per Teaser-Video vorab beworbenen Auftritt des Brachialrappers im Neomagazin Royale konnte man insofern sowohl gespannt als auch skeptisch entgegensehen. Dass ein Rapmusiker wie Felix Blume kurz nach der Auseinandersetzung um seine Texte und eine Konzertabsage Gast von Jan Böhmermann ist, muss vor dem Hintergrund der teils satirischen, teils affirmativen Beschäftigung des Satirikers mit den Akteuren und dem Lifestyle der Rapszene verstanden werden. Dennoch wirkte es fast wie ein Statement, als der Video-Teaser auf Facebook für die erste Sendung des Neomagazins nach der Winterpause ausgerechnet Kollegah zeigte, kommentiert von Moderator Böhmermann mit den Worten „Es gibt viel zu besprechen – Konzert abgesagt und so“.

Tatsächlich hat Deutschlands wirkungsmächtigster Satiriker – wenn er gerade will – durchaus Sendungsbewusstsein. So positionierte er sich jüngst ohne Anflug von Ironie kritisch zur Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump, etwa mit Twitter-Nachrichten wie „Das ist rassistische Willkür, Unrecht und unmenschlich“. Neben seiner Rolle als Spaßmacher und „blasser dünner Junge“ agiert er in selbstgewählten Momenten also explizit politisch. Auch gegen die AfD und die Pegida-Bewegung fand Böhmermann in seinem Magazin klare Worte.

„Wir müssen aufpassen“

Das Gespräch mit Kollegah verlief in der Sendung vom 2. Februar dann allerdings merkwürdig gehemmt. Als die Sprache auf die Konzertabsage kam, warf Böhmermann schnell den Begriff „Antisemitismus-Vorwurf“ in den Raum, um dann zu fragen: „Sollen wir darüber sprechen? Vielleicht besser nicht. Ist ein heikles Thema. Darf man darüber sprechen? Sollte man darüber sprechen?“ Kollegah wollte, sprach über seine Bildungsarbeit für „benachteiligte Palästinenser“, markierte das „Voranschreiten der illegalen Siedler“ als das eigentliche Problem im Nahen Osten und bezeichnete die „Vorwürfe“ als „haltlos“. Er fühle sich vom Zentralrat der Juden „schon ein bisschen sabotiert“. Das hätte der Moment sein können, in dem Böhmermann das Thema aufmacht. Nach antisemitischen, homophoben und frauenfeindlichen Textstellen fragt. Daran erinnert, dass der kritische Brief sich gar nicht auf irgendein Engagement für „benachteiligte Palästinenser“ bezieht. Hat er aber nicht. Böhmermann fürchtete offenbar um den Unterhaltungswert seiner Sendung. So stammelte er nur:

„Wir müssen in so einer öffentlich-rechtlichen Sendung, wir müssen aufpassen, ich glaube, man darf da nicht zu oft drüber sprechen im Fernsehen, das kann wahnsinnig schnell… allein dass wir jetzt darüber geredet haben ist schon für mich die Gefahr… ich halt mich als Moderator neutral raus, ähm, ist ein schwieriges…“.

Der Einspieler zur Vorstellung des Gastes hatte Kollegah noch mit Hitler verglichen. Das Teaser-Video hatte die Aufmerksamkeit für die Konzertabsage genutzt, um neugierig zu machen. Aber als „einer der besten Rapper Deutschlands“ (Böhmermann über Kollegah) dann im Studio sitzt, entscheidet sich der Moderator gegen die Besprechung des aufgerufenen Themas. Die Erklärung klang dabei, als hätte Jakob Augstein sie persönlich in den Teleprompter geschoben.

Der Jude sagt, ich bin kein Antisemit

So geriet der Talk zwischen Böhmermann und seinem Gast zu einer Enttäuschung. Damit das klar ist: Niemand verlangt, dass eine kritische Äußerung von Organisationen des jüdischen Lebens automatisch geteilt wird, und selbstverständlich kann auch sie selbst Ziel von Kritik sein. Die jüdische Besorgnis aber nur aufzurufen, um Aufmerksamkeit abzugreifen (Neomagazin) oder sich gegen Kritik zu immunisieren (Kollegah) ist dann doch ein bisschen zu wenig.

Mehr noch: Der Rapmusiker zitiert in der Sendung aus einem Telefonat, das er mit einem Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland geführt haben will. Der habe ihm nämlich gesagt, er, Kollegah, sei gar kein Antisemit. Spätestens hier hätte die Redaktion des Neomagazins in Erwägung ziehen sollen, den ganzen Quatsch rauszuschneiden. Es ist traurig genug, dass sich jüdische Einrichtungen und Akteure der Zivilgesellschaft im Jahr 2017 noch immer darum bemühen müssen, Antisemitismus zu thematisieren und den Betroffenen den Rücken zu stärken. Es mag von der Battlerap-Bühne aus nicht vorstellbar sein, dass auch sprachliche Äußerungen geeignet sind, das Gefühl von Freiheit und Sicherheit anderer Menschen zu beschädigen. Es mag der Neomagazin-Redaktion fern liegen, in einem Satiremagazin ernsthaft über Antisemitismus, Sexismus und Homophobie zu diskutieren – geschenkt.

Dem selbsternannten „Boss“ und Palästinensertuch-Träger Kollegah aber zu gestatten, die vermeintlichen Äußerungen eines namentlich genannten jüdischen Funktionsträgers wie einen Persilschein aus der Tasche zu ziehen, ist zweifellos ein Tiefpunkt. Dabei wäre es spannend gewesen, zu erfahren, ob Kollegah zustimmt, wenn einer seiner Fans schreibt, der Zentralrat der Juden habe „sehr wahrscheinlich die Protokolle der Weisen von Zion mitverfasst“.

Martin Sehmisch ist Soziologe und Journalist