Unsere Autorin war auf dem Straßenfest in Leipzig-Connewitz und führte ein aufschlussreiches Gespräch mit zwei Kundenberatern des Ökostrom-Anbieters „Lichtblick“. Der Disput ist symptomatisch für den Zustand der energiepolitischen Diskurse in unserem Land.

Ich bin Ökomodernistin – das sind jene klandestin-dissidentischen Grünen, die angesichts der Herausforderungen des Klimawandels die Nutzung von Kernenergie zumindest für eine Übergangszeit für unerlässlich halten und daher den deutschen Atomausstieg als Fehler bezeichnen.  Ich diskutiere dieses kontroverse Thema öfter mit grünen Freunden. Vereinzelte Grüne beginnen, vorsichtig wieder über Kernenergie nachzudenken, auch wenn sie es öffentlich nicht sagen. Die offiziellen Grünen und ich, wir sind zwar nicht einer Meinung, und ihre öffentlichen Aussagen zu „Atom“ und Energiepolitik lassen mir angesichts der in ihnen enthaltenen sachlichen Fehler regelmäßig die Haare zu Berge stehen, aber wir gehen im persönlichen Gespräch freundlich miteinander um. Ich erwähne das, weil ich mit dem ökonomischen Unterbau der grünen Bewegung in Gestalt zweier Ökostrom-Berater kürzlich die gegenteilige Erfahrung machen musste. 

Ich war am vergangenen Sonntag auf dem Leipzig-Connewitzer Straßenfest. Es ist nach dem berühmten Szene-Stadtteil benannt und bekanntlich das beste Straßenfest des Universums. Es wird von mehreren Kirchengemeinden organisiert und findet im Herzen der achtsam-ökologischen sächsischen Subkultur statt. Ich hatte beim Aufbauen geholfen und schlenderte nun mit meinem fünfzehnjährigen Sohn an den Ständen vorbei.  Einer davon gehörte der Firma „Lichtblick“,  einem Ökostrom-Anbieter. Eigentlich wollte ich niemandem den Sonntag verderben, aber mein Sohn, der Schlawiner, sagte eingedenk der ewigen Klimadiskussionen am heimischen Küchentisch zu mir: „Mama, diskutier doch mal mit denen. Wenn du dich traust, kriegst du einmal gratis Küchendienst von mir.“ Da konnte ich nicht kneifen. 

Ich trat also an den Stand und wurde gefragt, ob ich bereits einen Ökostromvertrag hätte. Ich sagte nein und outete mich als spätberufene Nukie-Frau, die manchmal sogar in Kernkraftwerken arbeite. Ich sagte, ich hätte nach Jahren des Engagements in der Anti-AKW-Bewegung meine Meinung geändert. Ich überlegte, einen Kernstromtarif mit einem Schweizer Erzeuger abzuschließen. Die Temperatur sank trotz sonnigen Wetters gleich um ein paar Grad und ich dachte, wenn das ein Mittel gegen den Klimawandel ist, mache ich das öfter.

Politisch erpressbar

In dem nun sich entspinnenden Gespräch wollte ich herausfinden, ob die Lichtblicker – eine Frau und ein Mann – sich der Problematik bewusst seien, dass die spezifische deutsche Fokussierung auf die intermittierend einspeisenden Umgebungsenergie-Quellen Wind und Solar uns vor ziemlich große Probleme stellt. Das Problem heißt „Backup für Erneuerbare“. Denn den nächsten zwei, drei Jahrzehnten ist die Verfügbarkeit von bezahlbaren Stromspeichern im großtechnischen Maßstab nicht zu erwarten.  Angesichts der exorbitanten Kosten einer solchen Lösung gibt es keine Investoren oder geplante Projekte. Derzeit reicht die gesamte verfügbare deutsche Speicherkapazität gerade einmal für einige Dutzend Minuten Dunkelflaute. Bereits in elf Jahren müsste eine solche Lösung aber „stehen“, wenn man die Pläne zum Kohleausstieg ernst nimmt. 

Eine der Voraussetzungen für die Einspeisung „erneuerbaren“, aber unzuverlässigen Ökostroms ist, dass andere, planbare Erzeuger – in Deutschland gegenwärtig Kohle- und die verbliebenen Kernkraftwerke  – mit Regelenergie, Redispatch-Leistungen und schlicht als Erzeuger gesicherter Leistung einspringen, um Frequenz und Spannung im Verbundnetz stabil zu halten. Wie neuere Studien auf der Grundlage europäischer Betriebserfahrungen mit Windenergie zeigen, ist die Vorstellung, irgendwo wehe immer Wind und Windparks könnten sich bei regionaler Flaute gegenseitig aushelfen, längst widerlegt: die in Mitteleuropa herrschenden räumlich sehr ausgedehnten Großwetterlagen lassen einen solchen Ausweg nicht zu. Meistens läuft entweder alles, und überschüssiger Strom lässt die Preise zusammenbrechen  – oder alles steht still, und die thermischen Kraftwerke retten die Situation. Trotzdem hängen unsere Politiker weiter an der Vorstellung, diesem Missstand sei durch noch mehr Zubau an Wind- und Solaranlagen abzuhelfen. 

Ökomodernisten wie ich bieten eine andere Schlussfolgerung an. Wir sagen, dass die Eliminierung der Kernenergie, dem einzigen technisch ausgereiften CO2-armen Backup für Erneuerbare, ein Fehler war. Wir schlagen daher vor, den schwedischen oder französischen Weg zu gehen und Umgebungsenergie-Quellen mit Kernenergie abzusichern, und so zuverlässig und ohne große Einbußen für die Industrie unsere CO2-Ziele zu erreichen. Denn wir sehen unsere Zukunft in einem Industrieland, nicht in einer kleinbäuerlichen Utopie mit lokalen Wirtschaftskreisläufen, wie es viele Klimaaktivisten fordern, ohne danach zu leben. Wir kritisieren, dass der deutsche Energiewende-Sonderweg die Renaissance der fossilen Elektrizitätserzeugung erst ermöglichte, weil man ab 2011 nur auf den Atomausstieg fokussierte und nicht in Betracht zog, dass intermittierend einspeisende Erneuerbare eine konventionelle Kraftwerks-Doppelstruktur zwingend nach sich ziehen. Da man die Kernkraftwerke zwangsabschaltet, besteht diese Doppelstruktur in Deutschland zuvorderst aus Braunkohlekraftwerken. Nach dem Willen der Bundesregierung und ihrer Kohle-Ausstiegs-Politik soll in Zukunft immer mehr russisches Erdgas diese Rolle übernehmen. Beide Varianten des EE-Backups tragen zur Klimaerwärmung bei (Erdgas vor allem wegen der Methan-Emissionen bei Gewinnung und Transport); die Erdgas-aus-Russland-Variante widerspricht überdies der EU-Energiestrategie und macht uns politisch erpressbar.

Kernfusion? Doch nicht!

Die beiden Lichtblick-Berater waren not amused über Argumente wie diese. Sie machten keine Anstalten, eine Diskussion in Erwägung zu ziehen, obwohl keine anderen Leute am Stand waren, die wir hätten stören können. Die Dame bedeutete mir, sie sei „eben gegen Atomkraftwerke“ und die Diskussion sei hiermit für sie beendet. Auf meine Frage, unter welchen Umständen die beiden sich denn ein erneutes Nachdenken über Kernenergie vorstellen könnten, kam ein klitzekleines lucidum intervallum zustande, ein Lichtblickchen sozusagen: der Herr sagte einen Halbsatz zur Kernfusion, den er aber selber gleich wieder abschnitt: „Aber das ist ja noch kein Thema“. 

Als ich darauf zu sprechen kam, dass man es bis zur Kernfusion übergangsweise doch noch mal mit der Kernspaltung versuchen könne, wurde der Herr ärgerlich. Er zückte die beiden handelsüblichen Anti-Atom-Totschläger „Atommüll“ und „Fukushima“ und ließ sie kurz vor meiner Nase kreisen. Ich konterte mit dem Argument, das Atommüllproblem sei lösbar und Fukushima habe, abgesehen von einem gerichtlich als Arbeitsunfall anerkannten Fall, keine Strahlenopfer gefordert; überhaupt fordere die Kernenergie trotz der großen Unfälle die wenigsten Todesopfer pro bereitgestellter Einheit elektrischer Arbeit. „Das ist Schwachsinn!“ schnappte der Herr, „gehen Sie bitte. Wir wollen das hier nicht hören, wir sind dafür auch gar nicht zuständig, wir wollen Ökostrom, und Sie fangen hier mit Kernenergie an! Das Thema ist sowieso gegessen! Sie sind penetrant!“ 

Ich kann zwar verstehen, dass die beiden nicht gerade glücklich darüber waren, am Sonntag arbeiten zu müssen und dann nicht mal einen Ökostromvertrag bei mir loswerden zu können. Aber sind Sonntagsarbeit und ein Argument, das die eigene Meinung in Frage stellt, ein hinreichender Grund, andere Leute zu behandeln, als hätten sie eine Stinkbombe auf den Vertragsunterlagen hochgehen lassen? Mir fiel nichts weiter Achtsames ein, außer zu versprechen, für meine Aussagen Belege zu liefern. „Morgen sind wir gar nicht mehr hier!“ wischte der Herr das Angebot beiseite. Ich sagte, ich könne die Belege ja schicken, im Zeitalter des Elektrons. Der Herr wollte davon nichts wissen: „Gehen Sie jetzt endlich!“. Mein Sohn zupfte mich am Arm: „Komm, Mama!“ Allmählich wurde ihm seine Aktion peinlich. Gut, dass wir die Jugend als Korrektiv haben! Ich wünschte den Lichtblickern viel Glück und einen schönen Sonntag. Heute habe ich ihrer Leipziger Geschäftsstelle eine nette Mail geschrieben, die versprochenen Links geliefert und die Episode geschildert. Am Schluss schrieb ich: 

„Lieber Lichtblick! Ich finde, ein Ökostromanbieter, der seinen Namen verdient, sollte ein Mindestmaß an kritischer Grundhaltung hinsichtlich der Produktionsbedingungen seines Ökostroms an den Tag legen. Und seine Repräsentanten da draußen in der Stadt sollten in der Lage sein, auf kritische Fragen gelassen, gut informiert und höflich zu antworten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihrer Branche in der nächsten Zeit solche Fragen häufiger gestellt werden – mit jedem Kohle- und Kernkraftwerk, das vom Netz geht, verschlechtern sich nämlich auch die Aussichten auf eine stabile Stromversorgung, und somit wird auch Ihr eigenes Geschäftsfeld nicht mehr die gewohnte Sicherheit bieten. Ein perfekter Ökostromer und somit ein echter Lichtblick wären Sie natürlich erst dann, wenn Sie der geschilderten Lage Rechnung trügen und den Tabubruch wagten – z.B. ein Kernstrom-Angebot in Ihr Portfolio aufnehmen würden. Dann würde ich sofort Kundin bei Ihnen.“