Die abstoßenden Vorfälle der vergangenen Woche haben uns etwas zu sagen. Sie dürfen nicht nur Empörung auslösen, sie müssen auch verstanden werden.

Es ist in der heutigen Zeit einfach, sich über etwas öffentlich zu empören. Ein paar Fingerbewegungen, und schon setzt Empörung die soziale Infrastruktur unter Strom und schlägt Wellen, als hätte Godzilla persönlich aufgestampft. Sie bekommt etwas Inflationäres, wenn sie schon Erregung und Tweets aus geringen Anlässen generiert: nur weil ein falsches Wort fiel, weil sich jemand scheel angeguckt fühlt oder für eine Modetorheit keine Begeisterung entfacht, sondern Naserümpfen. Die Übersensiblen sind mittlerweile so überempfindlich, dass man ihnen geradezu nahelegen muss, ihr affektives Feintuning neu zu justieren, um sich emotional nicht zu erschöpfen und präsent zu sein, wenn es denn mal drauf ankommt. Sonst stirbt die Empörungskultur irgendwann an ihrer Übertreibung.

Archaische Symbolsprache

Nun kam es vergangene Woche in diesem Land zu Vorfällen, die eine gewisse Symbolkraft hatten, jenseits ihres verabscheuungswürdigen Charakters. In Berlin wurde ein Israeli, der als Kopfbedeckung eine Kippa trug, von einem Jugendlichen mit dem arabischen Begriff für „Jude“ beschimpft und körperlich attackiert, indem dieser seinen Gürtel von der Hose zog, um den vermeintlichen Juden zu züchtigen und zu demütigen. Man kann nicht gerade behaupten, dass dieser Vorfall alltäglich ist in Deutschland – bislang. Aber dass er überhaupt jetzt so möglich ist, als Bestätigung, dass wir hier ein offensichtliches Problem mit Antisemitismus haben, und zwar dergestalt, dass Juden quasi als universelle Sündenböcke gezüchtigt werden. Das hat schockiert, wegen der neuen Dimension, die doch eine so alte ist.

Der Journalist und Autor Simon Strauß – ja, genau der, der von journalistischen Gesinnungsprüfern kürzlich noch mit fadenscheinigen Behauptungen und geradezu akrobatischen Beweisführungen als AFD-naher Denker diffamiert werden sollte – hat in einem kurzen Exkurs in der FAZ herausgestellt, dass hier in der öffentlichen Auspeitschung eine archaische Symbolsprache liegt, die mehr ausdrücken will als die unmittelbare Gewalttätigkeit, nämlich eine tiefwirkende Demütigung, eine Herabstufung des Menschen auf die Ebene des Tieres. Strauß schloss seinen Text mit einem Appell bzw. einer Forderung: „Wenn Menschen in Deutschland reflexhaft wegen religiöser Kleidung angegriffen werden, fordert das den ganzen gesellschaftlichen Ernst. Das heißt: Abstandnehmen von den üblichen Beschönigungen („Die Täter sind selbst Opfer“), auf Distanz bleiben zu Erhöhungen der Tat („Israel-Kritik“) und Zurückhaltung gegenüber der Kultur („Gangsta-Rap“) als Ausrede für Diffamierung.“

Arenen der Menschenjagd

Doch leider war das noch nicht das Ende der besonderen symbolischen wie physischen Gewalt in der Öffentlichkeit: Bei zwei Vorfällen benutzten offensichtlich Neonazis Hunde, um Asylsuchende oder einfach Mitbürger ausländischen Aussehens zu bedrohen und zu verletzen. Dies sind Attacken, die nicht nur die Betroffenen in Todesangst versetzen, sondern auch symbolische Missetaten, die Menschen einschüchtern, erniedrigen und deklassieren sollen. Die Parallele zu dem antisemitisch motivierten Angriff wird hier deutlich. Aber in den mit Hunden ausgeführten Attacken zeigt sich zudem ein Herrenmenschen-Rassismus, der die öffentlichen Räume in Arenen der Menschenjagd umwandeln will. Das Ungeheuerliche soll alltäglich, die Furcht unter die Anderserscheinenden gesät werden. Die Verunsicherung ist das Ziel, die Vertreibung. Solche Attacken sind rechtlich wie Brandsätze zu behandeln. Und für uns Geringmächtige zumindest ein ernster Grund zur Empörung.