In der ersten Folge der Kolumne Drinks mit David erfährt der Glühwein die ihm lange vorenthaltene Anerkennung.

In der Kolumne Drinks mit David werde ich unregelmäßig Bars und zumeist alkoholische Getränke besprechen. Zumeist alkoholisch deshalb, weil meine Diät mir nutzlose Kalorien verbietet und ich daher zwar gerne Tee, Kaffee, Wasser und Coke Zero trinke, aber um Smoothies und Club Mate einen Bogen mache. Zugegeben, Club Mate meide ich auch aus habituellen Gründen und weil das Zeug schmeckt wie eingeschlafene Füße. In dieser ersten Ausgabe möchte ich mich an einer Ehrenrettung des Glühweins versuchen.

Kaum ein saisonales Getränk ist schlimmer beleumundet als der Glühwein. Glühwein ist das Grippevirus unter den Alkoholika. Überteuert sei er, überzuckert, dargereicht stets und ausschließlich im furchtbaren Ambiente kitschiger Weihnachtsmärkte, auf denen auch sonst nur Tand zu Wucherpreisen zu haben sei. Kopfweh sei nach dem Genuß garantiert, die hygienischen Bedingungen des Verkaufs höchst zweifelhaft und für eine Tontasse drei Euro Pfand zu verlangen im Wissen, dass sich niemand die Mühe der Rückgabe machen mag, sei schlicht Nepp.

Mir sind diese Argumente bestens vertraut, schließlich sprach ich bis vor wenigen Jahren genauso. Als agnostischer Atheist konnte ich mit dem ganzen Konzept „Weihnachten“ nichts anfangen. Zweieinhalb Feiertage am Stück, die gerne mal an ein Wochenende grenzen bedeuten im provinziellen Freiburg, dass man mangels Vorräten sehr schnell in die Abhängigkeit von Pizzalieferdiensten gerät. Und am allerschlimmsten ist, dass die ganzen Leute, die man seit seiner Schulzeit aus exzellenten Gründen aus den Augen verloren hat, plötzlich alle wieder in der Stadt sind und dutzendfach dieselbe öde Konversation über das ereignisarme vergangene Jahr führen wollen. Irgendwann beschloss ich, Weihnachten zu entfliehen: Den lieben Kollegen Hannes Stein in New York besuchen oder in Tel Aviv öltriefende Rösti futtern und die Nächte durchfeiern.

Mein Sinneswandel setzte ein, als meine israelische Freundin zu mir nach Deutschland zog und ich live und aus nächster Nähe die Wirkung der Vorweihnachtszeit erleben durfte. Die touristischen Reize der eigenen Heimat erschließen sich einem, sobald man Gäste aus dem Ausland hat. Der Straßburger Weihnachtsmarkt verfehlte seine Wirkung nicht: Meine Freundin liebt seitdem Weihnachtsmärkte. Und schleppt mich mit. Und ich muss gestehen: Sie hat natürlich wie stets vollkommen recht.

Der Westen hat kaum einen erfolgreicheren kulturellen Exportartikel geschaffen, als das moderne Weihnachtsfest. In Aserbaidschan leben Shiiten, 15 Prozent Sunniten und keine 4 Prozent Christen. Und so sieht es in Baku aus:

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In der Morocco Mall, dem größten Einkaufszentrums des Landes in Casablanca singt ein Chor Weihnachtslieder, ein Santa Claus nimmt Wünsche entgegen und alle halbe Stunde rieselt Kunstschnee von der Decke auf die Szenerie. Davon unbeeindruckt erinnert der mall-eigene Muezzin über die Soundanlage an die Gebetszeiten. Das konkurrierende „Anfa Place“ an der Corniche hat gleich einen kompletten Weihnachtsmarkt an den Strand gebaut.

Madees Khoury ist in Bayern ausgebildete Braumeisterin in Palästina, ihr Familienbetrieb produziert seit neuestem auch Wein – und hier bietet Sie Glühwein in Ramallah an:

Madees Khoury, Braumeisterin

Als ich letzte Woche eine Gruppe vollkommen begeisterter, arabisch sprechender Teeniejungs mit riesigen Augen über den skandinavisch inspirierten Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei (Berlins schönster) schlendern sah, ahnte ich, welche integrative Kraft von dieser durch und durch kommerzialisierten, kitschigen und ziemlich jungen Tradition ausgeht.

Das zugehörige Getränk jedenfalls ist in Wirklichkeit natürlich toll: Wären zwei bis vier Euro für den Nullzweierbecher überteuert, dann würden die Leute nicht an tausenden Ständen Schlange stehen, es zwingt sie schließlich keiner. Gut, das war geflunkert, hier in Berlin zwingt einen die arktische Kälte natürlich de facto schon zu Gegenmaßnahmen. Glühwein trinkt man nicht, weil man Lust hat auf die Reife üppiger Beerenkomponenten kombiniert mit rauchigen Noten von Rosen und schmeichelnder Struktur, lebendiger Frische, Kraft, Eleganz und Komplexität und einem rhombenförmigen Abgang. Glühwein trinkt man, weil man friert. In der Erwartung auf: Einen Zuckerschock, schnellstmögliche Besoffenheit, instatane Diabetes und vor allem Wellen wohliger Wärme, die den Trinker durchfluten. Genau das liefert Glühwein. Obendrauf gibt es wahlweise ein schönes Souvenir oder das gute Gefühl der Umwelt einen Einwegbecher erspart zu haben. Und am Kopfweh am nächsten Morgen ist natürlich nicht der gute Glühwein schuld, sondern die Tatsache, dass man besoffen gegen das niedrig hängende Glühweinhüttendach geknallt ist.