Was sich so in meinem Notizbuch angesammelt hat – 4. Sptember 2018

Die Schweizer Zeitung „20 Minuten“ rief ihre Leser auf, das hässlichste Haus der Schweiz zu wählen. Es gewann das Triemli-Hochhaus in Zürich, ein unbeschreiblicher düsterer Betonklotz aus den sechziger Jahren, der von Architekten umjubelt, vom Rest der Menschheit dagegen als abscheulich empfunden wird. Der Architekt nahm die Auszeichnung mit den Worten entgegen: „Dass es Laien hässlich finden, ist mir egal. Hauptsache, den anderen Architekten gefällt es.“ Wie schön, dass es jemand mal so deutlich ausspricht. Dummerweise sind die meisten Menschen, die das Haus im Stadtbild ertragen müssen, nicht Architekten, sondern Laien. Ich empfehle darum, dass Architekten, die Häuser nur für ihresgleichen bauen, dies künftig in dafür vorgesehenen geschlossenen Arealen tun. Die Wohnungen werden an andere Architekten vermietet. Auf diese Weise können sie die ganze Pracht ihrer Kunst ungestört genießen, und andere Menschen bleiben davon verschont.

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Ein sehr aufschlussreiches Büchlein ist das „kleine Sabotage-Handbuch“ des amerikanischen Geheimdienstes „Office of Strategic Services“ aus dem Jahr 1944, das damals unter Widerstandkämpfern in ganz Europa verteilt und nun vom Rowohlt-Verlag neu herausgegeben wurde. Es enthält praktische Ratschläge, wie man, ohne sich allzu großer Gefahr auszusetzen, im Machtbereich der Nationalsozialisten größtmöglichen Schaden anrichten und damit zur inneren Zersetzung des Regimes beitragen konnte. Darin findet sich unter der Überschrift „Allgemeine Methoden zur Senkung der Moral und Stiftung von Unfrieden“ eine kleine Liste von effektiven Maßnahmen, darunter: „Geben Sie bei Befragungen weitschweifige und unverständliche Erklärungen ab“, „Stellen Sie sich dumm“, „Seien Sie so reizbar und streitlustig, wie Sie können, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen“ und „Werden Sie bei jeder Gelegenheit weinerlich oder hysterisch, besonders im Umgang mit Staatsbediensteten.“ Ob wohl ähnliche Handreichungen unter AfD-Anhängern kursieren? Falls ja, wäre es interessant zu erfahren, wer sie wohl verfasst hat.

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Ein normaler Einkauf für die Familie: Ein Broccoli, eingeschweißt in Plastik, eine Plastiktüte mit Buschbohnen, ein Plastiknetz mit Zwiebeln, ein weiteres mit Kartoffeln. Suppengemüse wird in einer Plastikschale angeboten, das ganze von durchsichtiger Plastikfolie umgeben. Das gleiche gilt für Tafeltrauben. Die von der Familie bevorzugte Bio-Gurke ist in Plastik eingeschweißt. Äpfel werden lose angeboten, man tut sie in dafür bereitstehende Plastiksäckchen. Weiter im Geschäft: Ein in Plastik eingeschweißtes Stück Speck. An der Fleischtheke dann etwas Hackfleisch und ein Bratenstück für den Sonntag. Bratenfleisch fehlt in der Auslage, aber die Verkäuferin findet noch ein schönes Stück im Lager, in Plastik eingeschweißt. Sie öffnet die Plastikverpackung, schneidet ein passendes Stück Fleisch ab und tut es in ein Plastiktütchen. Auch das Hackfleisch kommt in ein Plastiktütchen, beides zusammen dann in eine etwas größere Plastiktüte, auf die der Preis aufgeklebt wird. Etwas Salami wird in Papier eingeschlagen, dieses Päckchen dann in eine eigene kleine Plastiktüte gegeben. Eingekauft wird außerdem: Ein Stück Käse in einer Plastikschale, Toastbrot im Plastikbeutel, Tee in einer Kartonverpackung, eingeschweißt in durchsichtige Plastikfolie. Zwei Plastikbecher Joghurt, einer mit Sahne, zwei Plastikverpackungen mit Nudeln. Für die Kinder eine Plastiktüte Gummibärchen. Schokolade ist im Angebot: Drei jeweils in Plastik verpackte Tafeln, mit einer weiteren Plastikfolie zu einem Päckchen zusammengefügt. Eis am Stiel im Pappkarton, darin sechs Stück, jeweils einzeln in Plastik verpackt. An der Kasse erhält man Fußballbildchen zum Sammeln: Plastikkarten, eingeschweißt in ein Plastikpäckchen. Am Ende befinden sich fünfunddreißig Plastikverpackungen im Einkaufswagen. Eine sechsunddreißigste, mit der man das Ganze nach Haus tragen könnte, kann man allerdings nicht erwerben: Mit großen Werbetafeln verkündet die Marktleitung, sie habe beschlossen, die Welt zu retten und deswegen die Plastiktüten abgeschafft.

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Nach Gebrauch werden die Plastikverpackungen übrigens in Plastiktüten gesammelt, die ihrerseits nach und nach in größeren gelben Plastiksäcken verstaut werden. Auch das geschieht zur Rettung der Welt.

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Es sei unverschämt, wie teuer alles geworden sei, pflegte Onkel Paul zu wettern. In seiner Jugendzeit habe ein Ei nur einen Pfennig gekostet. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen dazu neigen, die Vergangenheit zu verklären. Tatsächlich kostete ein Ei in Onkel Pauls Jugendzeit 300 Milliarden Mark.

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Der Zustand der Deutschen Bahn wird kurz und treffend illustriert durch ein Plakat am Bahnhof, das über Bauvorhaben am Streckennetz informiert: „Zügig fahren wir durchs Baujahr – aber rücksichtsvoll. Denn auch Sie sollen ans Ziel kommen.“ Auch ich? Na herzlichen Dank!

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Wir saßen gemeinsam im Gremium zur Akkreditierung eines Studienganges. Jeder schrieb seinen Teil des Gutachtens und las, was die anderen geschrieben hatten. Ich schlug vor, die geschraubten, unnötig komplizierten Formulierungen in manchen Passagen zu vereinfachen. Ein Kollege meinte daraufhin – freundlich, er wollte nichts Böses -, dieses Bestreben sei wohl eine „déformation professionelle“ bei mir, die Folge der Tatsache, dass ich beruflich laufend mit der Formulierung von Bevölkerungsumfragen befasst sei. Erst viel später fiel mir die Absurdität der Bemerkung auf: Die Verwendung einer verständlichen Sprache ist in deutschen intellektuellen Kreisen also eine déformation professionelle. Die Verwendung verquaster Akademikersprache dagegen nicht.

 


Thomas Petersen berichtet in der Reihe „Mein Books of Kells“ in unregelmäßigen Abständen über das, was sich über die Jahre in seinem Notizbuch angesammelt hat. Die „Mein Book of Kells“-Reihe kann hier nachgelesen werden.