Duschgel macht glücklich
Je absurder und glamouröser die Werbung und je realitätsferner und abgehobener die Produktversprechen, desto freier ist die Gesellschaft.
Je absurder und glamouröser die Werbung und je realitätsferner und abgehobener die Produktversprechen, desto freier ist die Gesellschaft
Mit mir stimmt was nicht. Das weiß ich, seit ich ein neues Duschgel benutze. Vor ein paar Tagen habe ich das Zeug gekauft, weil die Verpackung mir einen konkreten Nutzen verspricht: „Hebt die Stimmungslage nachweislich*“, steht da ziemlich fett gedruckt. Im Kleingedruckten auf der Rückseite der Tube, auf die das Sternchen verweist, heißt es: „Wissenschaftliche Studie des Instituts für angewandte Psychophysiologie.“
Nun muss ich aber leider feststellen, dass das Duschgel so gar keine Wirkung entfaltet, außer ein wenig nach Zitrone zu riechen, was ich nach dem Kauf eines Zitronenduschgels wohl aber auch erwarten darf. Und deshalb zweifle ich nun etwas an mir. Es kann zwar sein, dass die anwendenden Psychophysiologen an ihrem Institut mit ihren psychophysiologischen Geigerzählern meine Stimmungslage bis in die dritte psychophysiologische Nachkommastelle genau messen können, wir uns also im Niemandsland zwischen Wissenschaft und Homöopathie befinden. Aber handelte es sich um solche Ausschläge im Makrobereich, würde der Duschgelhersteller doch nicht sein durchaus gewaltiges Produktversprechen auf seine Verpackung drucken. Also muss ich davon ausgehen, dass ich nicht ganz normal bin und sich meine Neurotransmitter nicht so verhalten wie die der Mehrzahl der Teilnehmer einer gewiss repräsentativen und gewiss gründlichen wissenschaftlichen Studie. Das macht mich psychophysiologisch durchaus fertig.
Dass Heilserwartungen mittlerweile zwischen Duschgeltuben, Bierkisten, Weingummitüten und Joghurtbechern in der banalen Konsumwelt befriedigt werden wollen, ist angesichts des spirituellen Marktversagens nur logisch. Auch wegen des Totalversagens der Kirchen ist viel Platz auf dem Markt fürs Seelenheil freigeworden.
Transzendenz wohnt heute nicht mehr im Gottesdienst, sondern im Supermarktregal. In einem „Bio-Getränk“ namens „GlücksStille“ zum Beispiel – übrigens „ayurvedisch inspiriert von Volker Mehl“. „Bringt Glück ins Glas“ schreibt der Hersteller und preist auch seine Bio-Direktsäfte namens „GlücksMoment“ und „GlücksTanz“ unter der Überschrift „Glück zum Trinken“ mit an. Unverbindliche Preisempfehlung jeweils: 2,49 Euro für einen Viertelliter. Auf den ganzen Liter gerechnet ist der Stoff damit so teuer wie ein ordentlicher Riesling, der erwiesenermaßen und ohne die hypersensiblen Messinstrumente der Psychophysiologie auch verdammt glücklich machen kann. Ein Schluck Messwein kommt gerechnet auf die Kirchensteuer allerdings meist noch teurer.
„Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie an allen möglichen Unsinn“, sagte Gilbert Keith Chesterton, der Erfinder von Pater Brown. Also auch an gute Stimmung durch Duschgels, gelungene Familienfeiern wegen bestimmter Filterkaffees oder straffere Haut durch Anti-Aging-Produkte.
Nun kann man natürlich sagen, dass wahrscheinlich so gut wie niemand an die Versprechen auf Verpackungen glaubt und dass es dämlich bis naiv ist, diese für bare Münze zu nehmen. Dass mein Duschgel mit messbar besserer Stimmung so viel zu tun hat wie ein Doppel-Whopper mit dessen Werbebild über der Fast-Food-Kasse, ist mir und fast allen anderen Verbrauchern natürlich bewusst. Aber was sagt es über einen Markt, dass professionelle Verkäufer und Produktmanager glauben, sie müssten mit geballter Infantilität auf ihre potenzielle Kundschaft losgehen. Und was sagt es über die Käufer, dass sie dieses Spiel mitmachen? Auf nichts seien Marken so sehr angewiesen wie auf Vertrauen, wissen Marketingstrategen und formulieren dennoch eine Sekunde später Versprechen, die uneinlösbar sind. Was manche Joghurthersteller ihren linksdrehenden Milchsäuren an Fähigkeiten und Wirkungen andichten, würde noch nicht mal der lokale Drogenhändler vom Eck über seinen Stoff behaupten.
Und unsere Seite des Marktes, wir Verbraucher also, abonnieren einerseits die Zeitschrift der Stiftung Warentest, lesen tagelang Kundenrezensionen auf Amazon und Ebay und kaufen andererseits anschließend ein Produkt, das zwar als seligmachend beworben wird, dessen Schattenseiten wir aber vorher ausgiebig recherchieren konnten. Damit nicht genug. Gleichzeitig prangern auch noch alle die Verlogenheit der Kirche und ihrer Repräsentanten an. Kollektiver Wahnsinn? Ja. Schlimm? Nein.
Denn es ist tatsächlich auch und gerade der Glamour der westlichen Produkt- und Werbewelt, der das Leben im Hier und Jetzt so vergnüglich macht. Weder religiöse, noch politische Systeme haben lebenswerte Welten geschaffen, sondern stets das Paradies gemeint und dabei die Hölle auf Erden kreiert. Gulag, Konzentrationslager, Scheiterhaufen oder Bautzen stehen stellvertretend dafür.
Alle Systeme, die diese Höllen schufen, eint die Verachtung und Ablehnung irdischer Bedürfnisse und Wünsche. Islam und Christentum haben es als religiöse Heilsversprechen auf den ewigen Frieden im Jenseits abgesehen und betrachten die irdische Welt als eine Art lästige Zwischenstation. Die politischen Utopisten hingegen – ob Faschisten, Kommunisten oder Sozialisten – wollen das Paradies auf Erden erschaffen, indem sie entweder bessere Menschen formen und damit den angeblich grauenhaften Ist-Zustand überwinden, oder als fremd definierte Individuen aus dem „Volkskörper“ eliminieren.
Nur die Marktwirtschaft kann den Wunsch des Menschen nach Transzendenz und einem über die Bewältigung des Alltags hinausgehenden Sinn auf der einen Seite und nach einer Art Autorität auf der anderen Seite befriedigen. Und zwar zum Wohle aller – insbesondere der Minderheiten – und ohne, dass es zu Pogromen und Massenmorden kommt.
Softwareprogrammierer, Burgerbrater, Duschgelhersteller, Autoproduzenten und Saftpresser befinden sich im Wettbewerb. Wettbewerbshüter und Kartellwächter achten darauf, dass keiner ein Monopol bekommt und damit die Mittel, kollektiv zu manipulieren und reale Abhängigkeiten zu schaffen. Gleichzeitig kann jeder seinen bevorzugten Glücksversprecher zum Sinnstifter erklären. Wer jetzt denkt, ich würde mir das an den Haaren herbeiziehen, der erinnere sich kurz an Apple und seine Jünger, die ihre Kaufentscheidungen so vehement und leidenschaftlich verteidigen wie Katholiken die unbefleckte Empfängnis oder Mitglieder der Linkspartei die Schriften Karl Marx’.
Fazit: Je absurder und glamouröser die Werbung und je realitätsferner und abgehobener die Produktversprechen, desto freier ist die Gesellschaft. Da, wo ein Liter Milch hingegen einfach nur ein Liter Milch ist und wo Duschgel nur die Haut reinigt oder ein Auto einfach nur eine Strecke von A nach B überwindet und weiter nichts tut, steigt die Wahrscheinlichkeit, im real existierenden Totalitarismus aufzuwachen, der zwar das Gute will, jedoch die Hölle schafft.
Deshalb mache ich weiter mit dem Zitronendusch-Gedöns und fühle mich auch dann leidlich gesund, wenn ich nicht jeden morgen als Strahlemann aus der Dusche komme. Mir egal, wenn Psychophysiologen das anders sehen. Wir leben (noch) in der besten aller Welten.