Das Gendersternchen wird erbittert umkämpft. Dass mancher sich dabei so leicht aus der Reserve locken lässt, wird uns als Gesellschaft indes noch leidtun.

Liebe Leser*innen,

ich wende mich an Sie zum ersten Mal mit dieser Ansprache, und gewiss zur Überraschung von einigen von Ihnen. Ich bin im Allgemeinen kein ausgesprochener Fan des Genderns, da aus meiner Sicht der angeführte Nutzen der Maßnahme den sprachlichen und organisatorischen Aufwand nicht rechtfertigt, der nötig wäre, um ihn zu erreichen. Sternchen in Wörter zu streuen halte ich nicht für eine Bereicherung unserer Sprache, gleich wie nobel der Zweck.

Der Ehrlichkeit aber die Ehre: Mehr als das habe ich nicht im Köcher. Ich habe keine gesteigerte Lust, mich durch einschlägige Studien zu wühlen, ich will keine volkszornigen Umfragen erheben und keine anekdotischen Begebenheiten über wütende Lehrer oder verwirrte Kinder ins Feld führen. Ich empfinde Gendern als unschön, das ist alles.

Ebenso unschön ist freilich auch der Käfig überkommener Normen, in den manche Mitglieder unserer Gesellschaft noch immer gegen ihren Willen gezwängt werden und den so nur ablehnen kann, wer sich selbst liberal nennt. Ich bin zwar wie beschrieben nicht der Ansicht, dass Sprechpausen unterdrückten Frauen oder Menschen, die aufgrund ihrer abweichenden Geschlechtsidentität der Depression nahe sind, wirklich helfen, aber ich will selbstredend, dass ihnen geholfen wird. Und sollte sich am Ende herausstellen, dass das Gendern dafür doch ein geeignetes Mittel ist, dann hole ich mir als Erster meine Sternchen ab.

Mehr Gelassenheit, bitte

Ohne unbescheiden sein zu wollen: Diese Gelassenheit möchte ich in letzter Zeit auch anderen Debattenbeiträgen empfehlen. Kulturkämpfe sind keine Blitzkriege und werden in Demokratien im Allgemeinen gar nicht oder zumindest nicht schnell gewonnen. Ihre Sieger, sofern es sie gibt, triumphieren in der Regel nicht als Folge besonders wütender Filterblasen oder sonstiger selbstgerechter Empörung. Niemanden überzeugt es, wenn Wolfgang Thierse oder die eine tapfere BR-Volontärin auf ein Pedestal gehoben werden, weil sie bestimmte Dinge im gesellschaftlichen Meinungsstreit anders sehen als andere. Ihre Ansichten halte ich im Übrigen für richtig, aber falls sie sich am Ende nicht durchsetzen, markiert das nicht den Untergang des Abendlandes.

Saskia Esken, um beim Beispiel Thierse zu bleiben, sollte man zwar durchaus für ihre unnötig scharfe Abgrenzung kritisieren, aber auch nicht mehr als nötig. Im Fall der SPD besorgt dies bereits der Wähler, und die Causae Esken und Gendern verbindet vor allem, dass sich daran mehr Menschen in stärkerem Maße abarbeiten, als eigentlich zu empfehlen wäre.

Verkämpfen auf eigene Gefahr

Dazu kommt, dass die, die heute die Abenddämmerung der westlichen Zivilisation heraufbeschwören, weil Petra Gerster im Fernsehen Gendersternchen mitspricht, oft dieselben sind, die beispielsweise der Klimabewegung zurecht ihre aus dem Ruder gelaufene Apokalyptik und Endzeitstimmung vorhalten. Jetzt genau dasselbe zu tun, und noch dazu auf einem Gebiet, das so unendlich viel egaler ist, rückt sie selbst in kein gutes Licht. Auch gesellschaftlich ist niemandem geholfen, wenn Untergangssehnsucht Volkssport wird.

Vor allem aber sollte, wer in den wichtigen politischen Fragen unserer Zeit – Klima, Wirtschaft, derzeit noch Corona und viele andere mehr – mitdiskutieren will, sich grundsätzlich gut überlegen, an welchen Fronten er sein soziales und politisches Kapital verbraucht. Wir werden noch schwierige Debatten erleben mit Problemen, die wirklich an die Substanz des Zusammenlebens gehen, und wer dann glaubwürdig für das liberale Menschenbild und die Werte eintreten will, die es bedingt, der sollte das im Dienste der Sache tun können, ohne sich vorher erst den Schaum vom Mund wischen zu müssen. Wer dann sein Pulver schon verschossen hat, sieht alt aus: Die Bürger*innen von Hornberg werden das gerne bestätigen.