Es ist zu einfach, Menschen vor allem als Opfer von Propaganda zu sehen. Sie entscheiden sich freiwillig für diese oder jene Wahl.

Nachdem im Jahr 2009 beim Amoklauf von Winnenden ein Jugendlicher fünfzehn Menschen tötete, wurden aus der Politik Forderungen laut, „Killerspiele“ zu verbieten. Diese würden nur dazu beitragen, dass die Hemmschwellen gesenkt werden. Zwar gab es keine Studie, die eine solche Wirkung bestätigen würde, aber „Killerspiele“ waren ein dankbarer Sündenbock, gegen den man munter und laut poltern konnte. Damit stieß man  bei der Mehrheit der Bürger, die in ihrem Leben noch nie ein Computerspiel gespielt hatten, auf Zustimmung – heute würde man so ein Politikerverhalten wohl einfach populistisch nennen.

Und wo wir gerade schon beim heute sind, bleiben wir da doch einfach mal. In den USA hat gerade ein Mann die Präsidentschaftswahl gewonnen, der die Ausgeglichenheit eines Vorschülers und die Machtfülle eines – nun ja – US-Präsidenten vereint. Keine Kombination, der man eine große Zukunft wünschen sollte. Trump hat im Wahlkampf massiv auf die sozialen Netzwerke gesetzt und dabei vor allem auf Twitter. Und er bediente sich einer Sprache, die ideal für den Kurznachrichtendienst ist: schroff, knapp und laut. Mehr als eine Parole passt in keinen Tweet. Wer da reflektiert, verliert. Trump hat auch deswegen gewonnen, weil er verstanden hat, wie man die sozialen Netzwerke benutzt.

Nun, nachdem Hillary Clinton entgegen aller (bis auf eine einzige Ausnahme) Umfragen in allen Medien verlor, ist die Ratlosigkeit groß. Wie konnte das passieren? Und wieder passiert etwas, was wohl unvermeidlich ist: man sucht sich einen leichten Gegner, um sich an diesem abzuarbeiten. Waren es nach Winnenden die Killerspiele, sind es nach Trump die sozialen Netzwerke. Vor allem Facebook (obwohl Trump auf Twitter viel aktiver ist). Da werden Statistiken präsentiert, wie viele Fake-Nachrichtenseiten ihre Propaganda auf Facebook verbreiten und dass zum Ende des Wahlkampfs hin sogar mehr Menschen diese anklickten statt die Meldungen der etablierten Medien. Ja, das ist keine gute Nachricht, weil es nie gut ist, wenn Menschen sich lieber Lügen erzählen lassen als sich der Wahrheit zu stellen. Aber ist das schon die ganze Erklärung für den Erfolg von Trump? Nein. Das ist viel zu kurz gegriffen.

Zwar gibt es zumindest eine Wechselbeziehung zwischen Propaganda und dem Wählen von Populisten (während es diese im Falle der Killerspiele und Amokläufe eben nicht gibt), doch ist diese deutlich schwächer als ihre Kritiker fürchten und ihre Verbreiter hoffen. Menschen in freien Gesellschaften sind nicht so einfältig, als dass sie sich in wahlentscheidenden Größenordnungen von Propaganda verführen lassen würden. Und selbst wenn mehr Fake-Meldungen geklickt wurden als seriöse Meldungen, heißt das noch lange nicht, dass die Wahlentscheidung bei Millionen Menschen so ablief: „Hillary Clinton hat also AIDS-ALZHEIMER? Wenn das so ist, wähle ich wohl doch besser Trump. Vielen Dank, verrückte Nachrichtenseite mit dem wirren Namen.“

Wer den Wahlsieg von Trump zu wesentlichen Teilen der Propaganda auf Facebook zuschreibt, reduziert ein komplexes Thema so weit, dass am Ende keine Analyse, sondern nur noch eine Karikatur steht. Nämlich: Menschheit zu doof zum wählen (ausgenommen natürlich meine Freunde und ich) – fertig. In Wahrheit dürften die Gründe für den Wahlsieg Trumps vor allem im real life zu finden sein und nicht in Neuland. Denn Facebook ist vielleicht für Journalisten mittlerweile ein unverzichtbarer Teil ihres (Arbeits-)Lebens, aber für die allermeisten anderen Menschen eben nicht – vor allem nicht für die große Mehrheit der Wähler.

Facebook ist in erster Linie ein großartiges Projekt, das es der Menschheit ermöglicht, sich über Landes- und Konfliktgrenzen hinweg weltweit auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und andere Kulturen kennenzulernen. Es ist auch die größte Partnerbörse, ein Archiv für kostbare Erinnerungen und eine Möglichkeit, Freundschaften zu pflegen, die im Vor-Facebook-Zeitalter (also in jedem Zeitalter vor unserem) nicht weiterbestehen konnten, weil Menschen praktisch aufhörten zu existieren, sobald sie um die nächste Ecke abbogen.

Natürlich wird Facebook auch von denen genutzt, die mit Freiheit, Offenheit und Individualismus nichts am Hut haben. Aber warum sollte man ihnen den Gefallen tun und diesen Rummelplatz der Menschheit in vorauseilender Kapitulationslust ruinieren? Der Kampf der Ideen muss eben auch gegen die geführt werden, die ihn nicht mit fairen Mitteln führen. Dabei können und sollen auch die juristischen Möglichkeiten ausgenutzt werden – aber eine Einmischung von Politikern, die auf Facebook die guten von den bösen Meinungen trennen wollen, wäre schlicht das Ende von Facebook. Politiker sind in keiner Weise geeignete Wächter der Meinungsfreiheit. Und Facebook ist eine zu tolle Sache, als dass man es Propagandisten und Politikern erlauben sollte, es gemeinsam zu zerstören.