Unser Autor schreibt seit langem auch für den „Freitag“ – soll er das weiterhin tun, mit Jürgen Todenhöfer als Herausgeber?

Jürgen Todenhöfer soll neuer Herausgeber des „Freitag“ werden. Diese Meldung hat mich zunächst wütend gemacht: Seit über sechs Jahren schreibe ich, relativ regelmäßig, für die Zeitung. Nicht immer ohne Bauchschmerzen, aber stets in vollkommener, journalistischer Freiheit. Ich habe Alltagskolumnen, Kultur-Kommentare und politische Einordnungen verfasst – immer mit großer Freude und Leidenschaft und regem Austausch mit der Redaktion. Und nun?

Meine erste Reaktion war, dass ich unter keinen Umständen je wieder eine Anfrage des „Freitag“ annehmen werde. Nicht unter diesen Bedingungen! Nicht mit einem Mann an der Spitze, dessen Äußerungen ich für zutiefst antisemitisch halte, dessen Blick auf die Welt für mich vollkommen kompromisslos wirkt und dessen Auftreten ich weitgehend arrogant finde.

Inzwischen habe ich eine Nacht über diese Personalie geschlafen. Und einige Dinge geordnet.

Es wird dieser Tage viel von „ journalistischer Heimat gesprochen“ – sowohl für Autoren als auch für die Leser. Es kursiert das Bonmot des Zeitschriftenkunden, der den Zeitschriftenverkäufer nach einem Blatt fragt, in dem die Wahrheit steht. Der Zeitschriftenverkäufer antwortet: „Klar, das haben wir – was wählen Sie denn?“

Mit der „journalistischen Heimat“ ist das so eine Sache. Meine erste feste Stelle hatte ich bei Axel Springer, bei der „Welt am Sonntag“. Als Student in Freiburg hatte ich mir noch geschworen, niemals zu diesem Verlag zu gehen. Niemals! Dann luden mich Ulf Poschardt und der damalige Chefredakteur Thomas Garms nach Berlin zum Essen ein. Sie erklärten mir glaubhaft, dass sie meine Bedenken verstehen würden, dass es ihnen aber darum ginge, Meinungsvielfalt ins Blatt zu holen, die Sichtweisen zu öffnen, durchaus auch anders und unkonventionell zu denken. Und so war es dann auch: Ich erinnere mich noch an eine Doppelseite zur Wahl, in der ich auf einer Seite für Gerhard Schröder und Alan Posener für Angela Merkel Position einnahm, ich erinnere mich an Pro- und Contras um die „Heuschrecken“-Aussage von Müntefering und an Redaktionskonferenzen, die durchaus hart, immer aber als offene Debatten geführt wurden.

Sieben Jahre später – ich war inzwischen Textchef – habe ich die „Welt am Sonntag“ verlassen. Nicht aus politischen Gründen, sondern weil ich einfach wieder frei arbeiten wollte, Neues ausprobieren, das Fernsehen, Bücher – wieder Reportagen schreiben. Ich habe die „Welt am Sonntag“ nie als meine journalistische Heimat empfunden, wohl aber als Ort der Vielfalt, und das ist als Basis, mit der man sich wohlfühlen kann, schon allerhand.

Fortan stand ich vor der Frage, wie frei ein „Freier“ wirklich sein kann. Und durfte feststellen: ziemlich frei. Wer heute über „Lügenpresse“ oder „Systempresse“ schwadroniert, dem kann ich versichern, dass die Offenheit innerhalb der Redaktionen größer ist als das zuweilen scheint. Es war mir immer möglich, gleichzeitig für die „FAS“ und für die „BILD“, für den „Freitag“ als auch für „Cicero“ zu schreiben, für den „Focus“ ebenso wie für den „Stern“, für die „Jüdische Allgemeine“ ebenso wie für die Klassik-Zeitschrift „Crescendo“.

In den über acht Jahren, die ich nun als „Freier“ arbeite, ist es nie vorgekommen, dass eine dieser Zeitungen einen meiner Texte – sei es im Feuilleton, in der Gesellschafts- oder in der Politik-Redaktion – inhaltlich moniert hätte. In der Regel habe ich Themen angeboten oder wurde mit Themen konfrontiert, ohne je von irgendeinem Redakteur eine Tendenz zu hören, in welche Richtung ein Text gehen soll.

Weder in den kleineren, politisch oft eindeutiger positionierten Blättern noch in den großen Zeitungen hatte ich Probleme, wenn ich meine politische oder ästhetische Meinung aufschrieb und argumentierte. Etwas größer war der Kampf von außen mit inneren Strukturen: Redaktions-Rivalitäten, vielleicht ein bisschen Neid, oder die durchaus nachvollziehbare Angst einer Feuilleton-Redakteurin, keinen Freien auf ihrem Feld neben sich schreiben zu lassen. Grundsätzlich aber habe ich mich als wirklich „frei“ empfunden – und tu das bis heute. Jedem da draußen, der behauptet, dass „die Medien“ ferngesteuert, „die Journalisten“ unter Druck gesetzt oder „das Staatsfernsehen“ gelenkt sei, rufe ich zu: „Ich habe das nie so erfahren.“

Aber was soll ich nun in der Sache Todenhöfer tun? Hinschmeißen? Wäre das Einfachste und vielleicht Lauteste – und bei den „Freitag“-Honoraren auch noch ziemlich billig.

Es ist nicht schwer, zu beobachten, dass viele Medien längst den Erfolg im Klientel-Journalismus suchen. Wenn wir über „Filterblasen“ oder „Echoräume“ reden, haben wir es natürlich nicht allein mit sozialen Netzwerken zu tun. Diese Blasen existieren auch in der real-haptischen Zeitung aus Papier und Druckerschwärze. Und, ganz klar, besonders dort, wo es ums Überleben geht, darum Stammleser an sich zu binden, darum, schwarze Zahlen zu schreiben.

Für mich persönlich sind zahlreiche Texte, die im „Cicero“, auch von seinen Redakteuren, veröffentlicht werden, oft nur schwer akzeptabel. Ebenso ergeht es mir mit einigen radikalen Politik-Einordnungen des „Freitag“. Aber es ist eben auch möglich, in all diesen Zeitungen Position zu beziehen – mehr noch: Redakteure rufen bewusst an, um unabhängige, eventuell auch andere Standpunkte zu hören, zu lesen und zu drucken als jene, die ihrer Zeitung von außen zugeschrieben werden. Ich bin sicher, dass viele meiner Texte für „Cicero“ und „Freitag“ bei der sogenannten Stammklientel dieser Zeitungen nicht immer auf Zustimmung gestoßen sind (und auch nicht in den Redaktionen) – um so wichtiger, dass sie dennoch ihren Weg in die Blätter gefunden haben.

Natürlich habe ich in den letzten Jahren auch beobachten können, wie schnell es gehen kann, dass jemand, der außerhalb der Redaktionen steht, jenseits des so genannten „journalistischen Establishments“, schnell heimatlos wird. Was habe ich Matthias Matussek einst bewundert, als Feuilleton-Schreiber des „Spiegel“, als einen der ersten Video-Blogger. Wenn ich heute seine Facebook-Kommentare lese, schwanke ich zwischen Wut und Mitleid. Und glaube, dass seine Vita zeigt, wie schnell es gehen kann, sich von einem „System“ (was auch immer das ist) oder dem „Establishment“ (was auch immer das sein soll) fallengelassen und vergessen zu fühlen.

Es ist unglaublich schwer, von außen so etwas wie eine „journalistische Heimat“ zu finden, es sei denn, man wird zum journalistischen Staatsgründer und formiert so etwas wie einen eigenen Wahrheits- und Meinungskosmos à la Tichy oder Matussek, in dem die einzige journalistische Währung die Provokation und das „Like“ anderer ist, die ebenfalls nicht bereit sind, in einem offenen Diskurs um eine gemeinsame Heimat zu ringen. Das sind dann so etwas wie reichsdeutsche Medien-Monarchien, in denen die individuelle Sicht kurzerhand zur Staatsräson erhoben und der Dialog um breiten Konsens aufgehoben wird. Wahrscheinlich ist es mit der „journalistischen Heimat“ so wie mit der staatlichen Heimat, der Heimat in einer Partei oder der Heimat in der Familie auch – sie unterliegt der ewigen Debatte, die Mal gewonnen und mal auch verloren werden kann, eine Heimat, in der nicht jener das Volk ist, der es ruft, sondern – alle. Ansonsten wird diese Heimat schnell zum undemokratischen Königreich.

Aus all diesen Überlegungen heraus ist meine anfängliche Wut über die Ernennung von Jürgen Todenhöfer als Herausgeber des „Freitag“ zu einer Herausforderung an mich geworden. Ich mag Todenhöfer nicht, nicht seine Meinung, nicht die Art, mit der er sie vertritt – ja, ich halte sie in vielen Belangen für grundsätzlich gefährlich, zerstörerisch und arrogant. Um so wichtiger erscheint es mir, diesen offensichtlichen Aufeinanderprall zunächst einmal auszuhalten. Für mich sind der „Freitag“ und fast all seine Redakteure mit denen ich zu tun habe (von Michael Angele über Jan Pfaff, Christine Käppeler bis zu Katja Kullmann) zunächst einmal immer offen und Diskussionsfreudig gewesen, in Debatten über Texte wurde gestritten, gehadert, argumentiert – eine Attitüde, die ich als „Freier“ sehr genossen habe. Und eine Attitüde, mit der nun auch ein Jürgen Todenhöfer konfrontiert sein wird – indem seine Personalie diskutiert wird, indem gegen seine Ernennung protestiert wird und indem seine Position Gegenpositionen in der Redaktion finden wird. All dem im Vorfeld zu fliehen, wäre fatal, weil es bedeuten würde, kampflos zu gehen, auf Argumente zu verzichten und die Auseinandersetzung zu meiden, ein Königreich durch Auswanderung zu legitimieren.

Im Gegensatz zum Netz und seinen sozialen Foren halte ich die Zeitungen – von der „Welt“ über die „FAZ“ bis zur „SZ“, dem „Cicero“ und dem „Spiegel“ – noch immer für Orte, an denen ein Großteil der Mitwirkenden an die Debatte glaubt, an das Zuhören und das Argumentieren – daran, dass ein Blatt vielleicht nie die ideale journalistische Heimat für alle werden wird, wohl aber eine Heimat des Diskurses. Dieser Diskurs ist nicht immer angenehm, manchmal frustrierend – aber wenn wir ihn nicht führen und nicht versuchen, die Meinungsfreiheit und –vielfalt zu bewahren und für sie zu kämpfen, werden wir bald alle unsere eigenen journalistischen Heimaten errichten. Statt demokratisch innerhalb der Redaktionen Konsens zu schaffen und anderen Meinungen (auch von außen) Raum zu geben, würden so unerbitterliche, journalistische Königreiche entstehen, die nicht mehr miteinander debattieren, sondern erbarmungslose Kriege um die Wahrheiten untereinander führen. Dann wird es nur noch darum gehen, Leser zu finden, deren Meinung wir bestätigen, damit sie uns mit ihrer Abo-Bestellung zurückversichern. Das allerdings wäre Onanie und kein Journalismus.

Axel Brüggemann