Stundenlang kann man durch die Eingeweide der schwimmenden Stadt wandeln. Sie ist aus einer Zeit, in der Amerika im Aufbruch war.

Er sollte eigentlich noch im Zweiten Weltkrieg gegen Japan kämpfen. Heute dümpelt er im Hafen von San Diego. Der Flugzeugträger USS Midway. 305 Meter lang, 79 Meter breit, einst der Wohnort von 4500 Menschen. Der 1943 kommissionierte und 1945 für 90 Millionen Dollar fertiggestellte Koloss stammt aus einer Zeit ante Trump.

Sein 212.000-Pferdestärken-Antrieb fraß 378.500 Liter Kraftstoff täglich, seine Crew neun Tonnen Nahrungsmittel. Wenn es Rinderfleisch gab, mussten die 60 Köche zwei Tonnen davon zerlegen. Drei Zahnärzte kümmerten sich um das dentale Wohl der Leute. Besonders das der 200 Piloten, bei denen sich in großen Höhen die Zahnschmerzen multiplizierten.

Zweieinhalb Stunden südlich von Los Angeles, fast direkt an der mexikanischen Grenze, liegt die 1,4-Millionen-Einwohnerstadt San Diego an einem künstlichen Hafenbecken. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour im Jahr 1941 verlegte das amerikanische Militär den Hauptstützpunkt der Pazifikflotte dorthin.

Sie können an den Hafen fahren und für 20 Dollar ein Ticket für die Besichtigung der USS Midway kaufen. Nehmen Sie sich vier Stunden Zeit. Es lohnt sich, auch wenn Sie kein Militärfan sind. Die Findigkeit und Baukunst des ehemaligen Einzellers und Einbaumfahrers Homo Sapiens ist schwer fassbar.

Von seinem Deck aus startete das Kampfflugzeug, das die erste MiG des Vietnamkriegs abschoss und auch das letzte, das dort einen Flieger dieses sowjetischen Typs vom Himmel holte. Zuvor war das Schiff zwischen 1966 und 1970 für 260 Millionen Dollar überholt worden. Seinen letzten großen Einsatz hatte es als Flaggschiff der Operation Wüstensturm im Persischen Golf im Jahr 1991. 1992 ging es dann in die sehr vitale Rente im Hafen von San Diego. Jährlich kommen über eine Million Besucher.

Am Eingang bekommen Sie ein Gerät mit Kopfhörer, mit dem Sie zu jedem der einzelnen 66 Ausstellungspunkte eine hochinteressante Einführung bekommen. Wenn Sie Englisch verstehen, nehmen sie die Audiotour auf Englisch, viele Zeitzeugen erzählen lebendig.

Laufen Sie in die Eingeweide des Schiffes. Sehen Sie die schmalen Pritschen, auf denen die durchschnittlich 19-jährigen Soldaten versuchten, ihre vielleicht fünf Stunden Schlaf zu bekommen. Sehen Sie die „brig“, die Zelle, in die Marine-Soldaten bei Brot und Wasser kamen, wenn Sie sich daneben benahmen. Hören Sie einen alten Mann im Ohr, der von seiner Zeit in dieser Zelle erzählt und sagt, dass ihn vielleicht gerade diese Zeit in auf den geraden Weg gebracht hat.

Alles ist eng und aus Metall. Kein Wunder, dass die fünf Chirurgen an Bord auf der Krankenstation hauptsächlich Platzwunden behandelten.

Veteranen-Geschichten

Sehen Sie den Motorenraum, in dem Mechaniker bei unmenschlicher Hitze schufteten. Treffen Sie den Veteran Joe Neves, der im Zweiten Weltkrieg als Schütze im Pazifik im hinteren Sitz eines Sturzbombers saß, der sich wie ein Greifvogel von oben auf japanische Schiffe warf und heute vor einem der Flieger aus dem Zweiten Weltkrieg auf einem Zwischendeck steht. Später, das deutet Neves an, arbeitete er für den Auslandsgeheimdienst CIA.

Fast überall auf dem Flugzeugträger stehen Menschen wie Joe Neves mit ihren gelben Veteranen-Mützen und erzählen ehrenamtlich und gerne von ihrer aktiven Zeit. Sie tragen Abzeichen am Revers. „2000 Stunden Freiwilliger“. „3000 Stunden Freiwilliger“.

Einer von ihnen, Bernie Marstall, diente von 1961 bis 1991. Der schlanke, eher kleine Mann erzählt im Radarraum am grün schimmernden Original-Gerät, wie er dort nach unidentifizierten Schiffen und Fliegern suchte. Als er hört, dass ich aus Deutschland komme, erzählt er von seinem Großvater, einem „draft dodger“, einem Wehrdienstverweigerer, der 1887 aus einem Dorf bei München nach Amerika in die große Freiheit kam. Er erzählt auch von seinem Vater einem Rodeo-Reiter, der mit beiden Händen schießen konnte und deshalb im Zweiten Weltkrieg US-Soldaten für den Kampf gegen Hitler-Deutschland das Schießen beibrachte.

Treffen Sie Tom Koehler, Spitzname „Joker“, einen Kampfpiloten, der im Vorbereitungsraum der Piloten steht und von 1958 bis 1980 diente und erzählt, dass jeder Pilot so einen Spitznamen für die Funk-Kommunikation bekam und dieser Name immer eine Geschichte hat. Einen, der oft Rechtschreibfehler machte, nannten sie „Webster“ wie den amerikanischen Duden.

Wie er zu seinem „Joker“-Namen kam? Das zu erzählen, würde Stunden dauern, sagt er. Einer im Kopfhörer erzählt dann von früher, als die Piloten nach einem 14-Stunden-Tag in ihren Sesseln saßen und Filme schauten, die man aufgrund des Zigarettenrauchs kaum erkennen konnte.

Gehen Sie in die Kantine, in der täglich 13.500 Mahlzeiten auf Gefängnis-Metall-Tellern serviert wurden, eine davon ein verkochtes Nudel-Rind-Gericht, das die Marine-Soldaten „S.o.S“ nannten. „Sh** on a Shingle“. Hören sie den Koch Bob Solomon im Ohr, der dann erzählt, dass man einen alten Veteranen kulinarisch mit nichts glücklicher machen kann als mit eben jenem Gericht.

Die USS Midway ist ein Ingenieurskunstwerk aus einer Zeit, als Amerika die Welt vom Faschismus befreite, im Aufbruch war und schließlich tatsächlich „great“ wurde, ein Licht und eine Hoffnung für Menschen aus der ganzen Welt.

Old Town und Wüste

Nach meinem stundenlangen Wandel durch die schwimmende Stadt fahre ich noch nach Old Town, acht Kilometer entfernt. Dieser historische Ort gilt als Geburtsplatz Kaliforniens, da sich hier erstmals Europäer in der Gegend angesiedelt haben sollen. Es stehen noch einige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. In einem sitzt eine Puppe von Agoston Haraszthy, der von 1812 bis 1869 lebte und der erste Sheriff von San Diego wurde. Ein Einwanderer.

Haraszthy war 1849 aus Ungarn gekommen und schon ein Jahr später zum Sheriff gewählt worden. Nebenbei gilt er als „Vater des kalifornischen Weins“, da er als einer der ersten begann, hier Trauben anzubauen und Wein zu machen. Unbegrenzte Möglichkeiten. Er starb schließlich, als er auf einer Farm in Nicaragua von einem Krokodil gefressen wurde.

Die südkalifornische Sonne neigt sich dem Ende des Tages zu und ich will noch die mexikanische Grenze sehen, die bald eine Mauer werden soll. Auf „Google Maps“ finde ich den „Desert View Tower“, der nur etwa vier Kilometer von der Grenze entfernt ist. Google, das für 1,1 Milliarden Dollar die israelische Firma „Waze“ kaufte und damit auch deren Technologie, mit der jeder Nutzer in Echtzeit seine Daten einspeist und Staus voraussagt, sagt, ich würde eine Stunde und 21 Minuten brauchen.

Ich fahre die Interstate 8 nach Osten. Als ich die Vororte von San Diego verlasse, wird die Landschaft unwirklich schön. Die Sonne beginnt bereits, hinter mir nach unten in den Pazifischen Ozean zu wandern, das Licht wird blau-gelb-rot und mein Weg führt stetig nach oben.

Links und rechts von mir ziehen gemächlich rote und weiße Steinformationen vorbei, Schnee liegt am Straßenrand. Eine Abfahrt führt zu einem Ort namens Alpine. Ein indianisches Reservat wirbt mit großen Werbeschildern für ein Kasino, in dem die Spieler für drei Dollar 17 und 4 spielen und Hochrippen-Steaks für 7,77 Dollar essen können, die sie am Ende des Spieltages wahrscheinlich teuer zu stehen kommen.

Nach etwa einer Stunde und 21 Minuten erreiche ich den Turm mit dem Wüstenpanorama. Die letzten Sonnenstrahlen schaffen es noch über den Berg. In ein paar Wohnwagen von Aussteigern, die sich hier im Nirgendwo niedergelassen haben, sind schon Lichter an. Da hinten irgendwo ist Mexiko. Wüstennacht. Auf dem Rückweg in der Finsternis auf der Interstate 94 entlang der mexikanischen Grenze werde ich einmal von freundlichen Grenzpolizisten kontrolliert, welche die Straße gesperrt haben. Ich frage mich, ob sie bald im großen Maße Illegale deportieren müssen.

Fahrt durch die kalifornischen Alpen: