Trump und sein Team brauchen die Hysterie der Kritiker. Wir sollten die Lieferung verweigern.

Wer kennt das nicht: Man geht mit Freunden ins Kino, und beim anschließenden Glas Wein kommt es zur Diskussion über den Film. Nach einer halben Stunde geht die Flasche zur Neige, und man wirft dem Gegenüber halb verärgert, halb betrunken die Frage an den Kopf: „Haben wir wirklich denselben Film gesehen?“

Ungefähr so geht es dem Autor dieses Textes mit vielen der Reaktionen auf Donald Trumps erste Amtswoche. Dekrete zuhauf: TPP, Obamacare, Mauerbau. Alle Welt war verlässlich „schockiert“ und „entsetzt“ – dabei lief doch genau der Film ab, den Trump uns im Wahlkampf versprochen hatte.

Zwischen Kritik und Hysterie

Und das war erst das Vorspiel auf dem Theater. Trumps als Flüchtlingskontrolle getarnter Muslim Ban rief die bisher heftigste Kritik hervor, unter anderem, weil er schlecht bis gar nicht vorbereitet und atemberaubend dilettantisch umgesetzt wurde. Nachdem heute Nacht mehrere Richter die Maßnahme zu großen Teilen gekippt haben und zugleich in Victoria, einem Nest in Südtexas, eine Moschee unter bislang ungeklärten Umständen abbrannte, ist es mit dem gemütlichen Sonntag auf Facebook vorbei. Neu ist, dass die Hysterie beide Lager erfasst hat, das der Trump-Fans ebenso wie das der Gegner. Das ist erstaunlich, denn Letztere haben Hysterie eigentlich nicht nötig. Die Worte und Taten des Präsidenten sprechen schließlich für sich. Man darf daher auch auf einige Umstände noch einmal freundlich hinweisen:

Der Moscheebrand in Victoria ist noch nicht einmal ansatzweise aufgeklärt. Die New York Times, republikanischer Neigungen garantiert unverdächtig, zitierte den Vorsitzenden des islamischen Zentrums mit der Bemerkung, laut Behörden sei es für Mutmaßungen über die Ursache des Feuers noch viel zu früh. Die Bezeichnung des Vorfalls als „Pogrom“ ist nicht nur deswegen nach aktuellem Wissensstand völlig unangemessen.

Deshalb ist es auch verfehlt, von den Muslimen in den USA als den „neuen Juden“ zu sprechen, wie der verehrte David Harnasch das hier getan hat. Das sind sie zumindest noch nicht, weder die von 1941, noch die vom 1. April 1933. Zwischen Amerika heute und Deutschland 1933 liegen trotz aller Trump‘schen Widerwärtigkeiten mehrere Größenordnungen Unterschied (Stand: 29. Januar 2017).

It’s About Sending a Message

That being said: Wenn auch die Formulierungen nicht optimal gewählt sein mögen, so ist doch die Stoßrichtung völlig richtig. Nur weil eine abgebrannte Moschee allein noch kein Pogrom und eine Executive Order allein noch kein Fourth Reich konstituieren, heißt das noch lange nicht, dass die Regierung Trump nicht Verrat an den amerikanischen Grundwerten begeht. Die unglaubliche, weil auch für komplette juristische Laien offensichtlich gesetzeswidrige Regelung, sogar Legal Residents mit Green-Card-Status die (Wieder-)Einreise nach Amerika zu verwehren, zeigt in aller Klarheit, wohin unter Trump/Bannon die Reise gehen soll. Dass Trump in seiner intellektuellen Beschränktheit auch jedes Gespür dafür fehlt, wie sehr er durch die ständige Stärkung seines Hausmeiers Bannon programmatisch und politisch am eigenen Stuhl sägt, macht das Ganze nicht besser.

Trump und Bannon geht es um den Knalleffekt. Die Liste der von Trumps Bannstrahl getroffenen Länder war zwar schon unter Obama fürs Visa-Waiver-Programm zusammengestellt worden, doch hat Trumps Maßnahme in ihrer brachialen Rigorosität natürlich eine völlig neue Qualität. Auch der gerichtliche Stopp dürfte einkalkuliert gewesen sein, denn im Weißen Haus sind schließlich außer dem Präsidenten keine Idioten unterwegs. Nach der Bane-Paraphrase zur Amtseinführung gilt nun offenbar das Diktum des Jokers aus The Dark Knight: „It’s about sending a message.“ Das hat geklappt.

Fakten, Fakten, Fakten

Uns als Trump-Kritiker stellt das Weiße Haus damit vor eine undankbare Herausforderung. Wenn wir uns vom Impuls mitreißen lassen und unsere Kritik so dramatisch formulieren wie wir die kritisierten Missstände empfinden, laufen wir Gefahr, die Kritik durch einen Gewöhnungseffekt zu normalisieren und uns Kritiker selbst auf lange Sicht zu marginalisieren. Auch wenn es schon mehr als stutzig macht, dass einen Tag nach Trumps offensichtlich gegen Muslime gerichtetem Dekret eine Moschee abbrennt, sollten wir doch vorsichtig sein, solange nichts bewiesen ist. Wir sind schließlich nicht Steve Bannon – für uns gelten Fakten, und zwar keine alternativen.

Umgekehrt dürfen, ja müssen wir über einzelne Dekrete und Gesetzesvorhaben hinausblicken und die globale Stoßrichtung des Trumpismus im Auge behalten. Die ist schon jetzt weitgehend bekannt, und selbst letztlich erfolglose Maßnahmen wie der Muslim Ban schaffen am Ende ihre eigene Performanz. Entsprechend können die Muslime Amerikas, wenn das Tempo der Umwälzung anhält, sehr wohl noch die neuen Juden werden, und David Harnasch könnte recht behalten. Die Kritik an dieser durchsichtigen Erosionsstrategie darf niemals abreißen.

Thematisch relevante Kritik

Für uns Kritiker ist das eine Gratwanderung und ein Kampf bergan und gegen den Wind. Schließlich ist es viel leichter, sich wie Bannon in einer Suhle aus Unbestätigtem, Halbgarem und Zwielichtigem zu wälzen und offensichtlichen Mumpitz im Stile von Sean „Period“ Spicer röhrenden Tons zur Wahrheit zu deklarieren, als scharf formulierte, aber eben auch angemessene und thematisch relevante Kritik an solchen Verfehlungen zu üben. Nur in dieser dürfen wir aber unser Heil suchen.

Die Propheten der Alt.Right glauben, der Abnutzungseffekt der öffentlichen Meinung arbeite für sie, und ein Blick auf Facebook am Tag neun der Trump-Ära mag ihnen recht geben. Ich für meinen Teil möchte aber auch in Zukunft noch in den Spiegel schauen können. An dem Tag, da die Gegenseite uns die Spielregeln vorgeben kann, hat sie gewonnen. Soweit dürfen wir es niemals kommen lassen.