Warum der Bundestrainer der Anführer der westlichen Welt ist.

Die Weltmeisterschaft in Russland stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Die aufgeklärte Fußballwelt stöhnte bereits 2010 auf, als Moskau mit der Ausrichtung des Turniers 2018 und Katar für 2022 betraut wurden. Zu offensichtlich war der haut goût, den diese Entscheidungen verströmten. Die Menschenrechtslage in den betreffenden Staaten spielte keine Rolle. Es war klar, dass es Spiele zur Legitimation autoritärer Herrscher werden würden. Lang vor dem Krieg gegen die Ukraine und dem Sieg von Donald Trump kündigte sich hier an, wer im 21. Jahrhundert die westliche Demokratie herausfordern würde.

Während der vergangenen Jahre gab es dann zahlreiche Anlässe und Gründe, diese Fehlentscheidung zu revidieren. Natürlich nicht seitens der FIFA, da sollte man den Erwartungshorizont nicht überstrapazieren. Aber die westliche Politik hatte nach dem sowjetischen Einmarsch 1979 gezeigt, dass man Diktaturen durchaus ihre Spiele verderben kann. Doch 2014 konnte Moskau sein Nachbarland überfallen, die Krim annektieren, in den Donbas einmarschieren, eine Boeing abschießen und sich anschließend aufmachen, Syrien mit Flächenbombardements zu überziehen, ohne dass es im Westen eine ernstzunehmende Stimme gab, die den Boykott der WM forderte. Dabei hatte Sotschi 2014 gezeigt, dass hier nicht nur Staatsdoping in großem Umfang praktiziert wurde. Im Schatten der Olympischen Winterspiele wurde außerdem der Einmarsch in die Ukraine beschlossen. Vor der WM wurden die Stadien noch schnell von nordkoreanischen Sklavenarbeitern modernisiert. Sei’s drum. Der Westen blieb zu mutlos, um dies zu thematisieren und man darf wohl annehmen, dass die Bundeskanzlerin sich stets über die Jubelbilder mit Jogis Kickern freut – ob in Berlin, Rio oder Moskau. Sie sind ein Fundament ihrer Macht. 

So ging der Plan des Kreml bis zum Ende der WM-Vorrunde weitgehend auf. Die Stadien waren fertig, das Wetter gut, die Stimmung nicht schlecht und auf allen Kanälen wurde die gezeigt, dass Russland – Kriege hin, politische Gefangene her – ein ganz normales Land ist.  Auch der letzte Deutsche weiß nun, dass man in Saransk hervorragend Fußball spielen kann. Da spielt es kaum eine Rolle, dass diese Gegend in Russland für ihre Strafkolonien berüchtigt ist. Auch in Rostov-am-Don, nur wenige Kilometer vom Krieg in Donbas entfernt, wird freudig gekickt. Im Stadion hat man den täglichen Kanonendonner nicht gehört. Auch der Hungerstreik des in einem Schauprozess verurteilten ukrainischen Regisseurs Oleg Sentsov, der von der Krim verschleppt am Polarkreis einsitzt, findet bei uns vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Die Teilnehmer einer Solidaritätsdemo Woche in Berlin erreichten kaum die Stärke einer Fußballmannschaft. Beim Public Viewing war mehr los.

Diese Niederlage ist ein Sieg

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier hatten den 15. Juli sicher schon rot in ihrem Kalender markiert. Auf nach Luschniki, neben Putin und FIFA-Boss Infantino unsere Mannschaft anfeuern und damit in den Umfragen punkten. Im besten Fall hätten sie dann neben dem Weltpokal und Manuel Neuer mit dem russischen Präsidenten bei der Siegerehrung um die Wette gestrahlt: Idylle mit Autokraten. Schöne Bilder für Frau Merkel und kein Säbelrassen für den Bundespräsidenten. Auch Gehard Schröder hätte bestimmt noch einen Platz auf der VIP-Tribüne gefunden. Perdu. 

Gegen Südkorea ist dieser Alptraum geplatzt. Wir werden nie genau wissen, wann sich der Mann aus dem Schwarzwald entschieden hat. Es war wohl ein einsamer Entschluss. Offenbar erst nach dem Confed-Cup 2017 in Sotschi – bis dahin lief ja alles rund. „Die Mannschaft“ war auf dem Weg zur Titelverteidigung und neben NordStream2 würde es mit einem deutschen Triumph in Moskau ein weiteres Symbol der Freundschaft mit Russland geben. Was für ein Highlight der Ostpolitik. Doch irgendwann, beim morgendlichen Espresso oder auf einer der langen Hochgeschwindigkeitsfahrten auf süddeutschen Autobahnen, dämmerte dem Bundestrainer, dass er eine andere historische Rolle spielen wollte. Jogi Löw hat die Zeichen der Zeit erkannt: während Medien und Politik in der Show des Autokraten unisono mitspielten, verweigerte er sich. In aller Stille entschloss er sich, keinen Pokal aus Putins Händen zu wollen. Deshalb ließ er Oliver Bierhoff das Komsomolzenquartier in Watutinki buchen, agierte er nach der Qualifikation nur noch halbherzig, ließ Özil und Gündoğan ihren Flirt mit einem anderen Autokraten durchgehen und hebelte das Leistungsprinzip weitgehend aus. Weltmeister Khedira und Newcomer Kimmich wurden für ihr Zeitlupentempo nicht belangt. Mit ruhiger Hand steuerte er Deutschland in den sportlichen Abgrund. Gruppenletzter. Für einen guten Zweck.

Denn Löw und eine Minderheit deutscher Fußballfans wissen: diese Niederlage ist eigentlich ein Sieg. Wir verabschieden uns aus einem Turnier, das so nie hätte stattfinden dürfen. Natürlich wird auch ohne Deutschland das Spektakel weitergehen und eine andere Mannschaft Weltmeister werden. Doch die Fußballfans, die wie Löw verstanden haben, dass etwas faul ist im Staate der FIFA, können Luft holen und sich still freuen, dass die russisch-deutsche Sonderbeziehung im Sommer 2018 nicht auf dem Fußballplatz fortgeschrieben wurde. Für Deutschland und Europa ist das eine gute Nachricht. Und vielleicht denkt der DFB noch mal darüber nach, ob wir in vier Jahren wirklich in Katar spielen wollen. Wahrscheinlich ist das allerdings nicht, denn Katar ist ja das Winterquartier des FC Bayern, oder? Also bestimmt wie Sotschi und Watutinki ein lebenswertes Fleckchen Erde.

 

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Geht es beim Fußball wirklich nur um Sport? Oder hat eine WM auch immer eine politische, gesellschaftliche und kulturelle Dimension? Sämtliche Beiträge der Salonkolumnisten zur Fußball-WM in Russland finden sich hier.