„Sicherheit und Wohlstand in Europa hängen auch von den Beziehungen zu Moskau ab“, sagt der FDP-Chef. Ein einfaches Parteimitglied widerspricht.

„Ich befürchte, dass man die Krim zunächst als dauerhaftes Provisorium ansehen muss“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Nichts, aber auch gar nichts spricht dagegen, die Sanktionen gegen Russland ebenfalls als dauerhaftes Provisorium anzusehen und so lange bestehen zu lassen, bis die russische Autokratie mit dem Gini-Koeffizienten 1 die Bedingungen erfüllt, die Sanktionen zurückzunehmen. Es ist zu großen Teilen die Schuld Deutschlands, dass Europa keine kohärente Außenpolitik gebacken bekommt, da wir traditionell die Sorgen unserer östlichen Nachbarn ignorieren. Dass mit Gerhard Schröder ein ehemaliger Kanzler mit SPD-Parteibuch und noch immer erheblicher parteiinterner Macht als hochbezahltes Dekorationsobjekt Putins Weinkeller verziert, ist nur die Kirsche auf der Torte, aber der Grund, warum die honorige SPD für mich dauerhaft unwählbar ist. Gäbe es eine europäische Außenpolitik, wäre sie in Relation zur wirtschaftlichen Leistung des Kontinents machtlos, da außer Frankreich, Polen und den baltischen Staaten kein EU-Land auch nur die NATO-Selbstverpflichtung zu einem Verteidigungsetat von 2 Prozent des BIP erfüllt. (So sehr es schmerzt, das zuzugeben, aber: Wo Trump recht hat, hat Trump recht. Da ich das grade schrieb, habe ich das dringende Bedürfnis, meine Hände zu waschen und meine Tastatur zu verbrennen.)

Obervolta mit Atomwaffen

Die real investierten 1,5 Prozent sind außerdem wenig effizient, da sie nicht koordiniert angelegt werden. Mit Putin haben wir einen lupenreinen Autokraten im Kreml, der sehr genau verstanden hat, dass er eben keine Weltmacht, sondern Obervolta mit Atomraketen besitzt. Seine Herrschaft gründet auf einem System der Unterdrückung, das verhindert, dass in Russland irgendetwas erfunden oder produziert wird, wofür der Rest der Welt Geld zu zahlen bereit wäre. Es bleibt die Ausbeutung von Rohstoffen, die im Überfluss vorhanden sind. Und selbst so kommt dieses gigantische Land mühsam auf das BIP Spaniens. Putin weiß also, dass er als „Bad Boy“ dramatisch mehr globalen Einfluss ausüben kann, als durch Kooperation und Diplomatie, denn er hat außer Gas nichts anzubieten. Und selbst um das einigermaßen zuverlässig zu verkaufen, musste er Schröder schmieren. Im Vergleich dazu ist der Hinrichtungs- und Exportweltmeister China global eine zivilisatorische Kraft. Da niemand Putin garantieren kann, was er Jelzin garantieren konnte – Sicherheit vor Strafverfolgung und für das Vermögen seines Clans – werden wir vielleicht einen Abgang wie bei Stalin erleben. Die Frage ist nicht, ob Russland kollabiert, sondern wann und ob mit einem Zischen oder einem Knall und wie sich das auf die Nachbarländer auswirkt. Leises Zischen wäre das best-case-Szenario.

Es ist Angela Merkel hoch anzurechnen, dass sie gegen die Interessen der exportorientierten deutschen Wirtschaft, die traditionell wenig wählerisch bei der Auswahl ihrer Kundschaft ist, das Sanktionspaket gegen Putin global zusammenhält. (Wo der US-Kongress recht hat, hat er recht. Kann man noch immer schreiben, ohne sich beschmutzt zu fühlen.) Die Hauptsorge der stillen Champions, die als provinzielle Mittelständler dieses Land finanzieren, ist aktuell nicht das Auftragsbuch, sondern Personalnotstand. Das Problem, das Christian Lindner adressiert, ist keines. Während wir leider EU-weit nicht die Entschlossenheit und Mittel aufbringen, Russland militärisch abzuschrecken, können wir die Kosten wirtschaftlichen Drucks auf den Besitzer Russlands aus der Portokasse bezahlen – und haben immer noch Geld für Steuersenkungen und Sanierung der Sozialsysteme übrig.

Was Politjunkies und Fußballfans vereint, ist das Leiden am eigenen Verein. Wie nicht wenige Fussballfans habe ich für Fälle wie diesen eine Zweitmitgliedschaft: Bei der PARTEI. Wenn Lindner seinen Russlandkurs nicht ändert, geht meine Wahlkampfkostenerstattung dorthin. Sonneborn verzapft auch unsägliches, hat aber im Gegensatz zu Lindner das Privileg, es als Satire deklarieren zu können.

Edit 05.08.2017 14:30 Uhr: Lindner hat die Kritik der Parteibasis offenbar vernommen und korrigiert sich im Video auf Facebook.