Von Teilzeitfallen im Vollzeitsystem
Für die einen ist die Teilzeit das ideale Arbeitszeitmodell, für die anderen eine klebrige „Falle”, die es besonders auf Frauen abgesehen hat. Denn wie sich zeigt, sind es vor allem Frauen und Mütter, die ihre Zeit nicht hauptsächlich im Büro, an der Ladentheke oder der Kasse verbringen (möchten). Es sei denn, es ist die eigene.
In der Sorge rund um die „Teilzeitfalle” bezieht die Politik sich zwar stets auf abhängig Beschäftigte – eine echte Falle wird die Teilzeit jedoch besonders für Selbstständige, die sich durch unfaire Beitragsregelungen der Krankenkasse zur Teilzeitselbstständigkeit gezwungen sehen.
Die Teilzeit als „Falle” zu bezeichnen, verdeutlicht natürlich auch einen politischen Kümmerreflex: Frauen, die ihrem persönlichen Wunsch folgend halbtags arbeiten, unterschätzen womöglich, dass sie von unserem Rentensystem im Alter nicht viel zu erwarten haben. Trotzdem ist die Teilzeit beliebt. Frauen tappen aber nicht wie kleine Dummerle da hinein und es fehlen derzeit auch nicht die Möglichkeiten zur Vollzeit, sondern viele wollen gar nicht Vollzeit arbeiten, um auch noch Zeit für die Familie oder andere Dinge zu haben. Respektiert man die Wünsche von Teilzeitarbeitenden, die sich von ständiger Bombardierung mit Schlagwörtern wie „Karriere-Killer” und „Teilzeitfalle” nicht aus der Ruhe bringen lassen, könnte man meinen, dass die Teilzeit für viele ein ideales Modell ist.
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Musik: Rocket Power Kevin MacLeod (incompetech.com); Licensed under Creative Commons: By Attribution 3.0 License http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/ [hr gap=“3″]
Unser Sozialversicherungssystem hat aber für Arbeit, die nicht dem „Normalarbeitsverhältnis” entspricht, leider keine passenden Antworten. Das bekommen, was in der öffentlichen Diskussion so gut wie nie thematisiert wird, vor allem Selbstständige zu spüren. Während der Teilzeitjob durchaus gewollt sein kann, kommt es zur Teilzeitselbstständigkeit häufig gezwungenermaßen. Die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung etwa, machen es Selbstständigen schwer, sich zu versichern und Vollzeit ihrer Arbeit nachzugehen. Irre, aber im Land der Angestellten und Beamten fällt das kaum auf. Selbstständige sind die Minderheit in Deutschland, für die es zwar viele Verpflichtungen, aber wenig Verständnis gibt.
Selbstständigkeit im Land der Angestellten
Selbstständige, die nicht zum Beispiel über die Künstlersozialkasse abgesichert sind, müssen hohe Mindestbeiträge bezahlen, wenn sie sich gesetzlich kranken- und pflegeversichern möchten. Die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung können laut VGSG, dem Verband der Gründer und Selbstständigen in Deutschland, um die 40 Prozent des Einkommens ausmachen – selbst bei geringen Einkommen. Geringverdiener und beginnende Selbstständige leiden also besonders unter den Regelungen. Der Mindestbeitrag bemisst sich, wie es im Juristen- und Krankenkassenjargon heißt, nach einem „fiktiven Einkommen”, also nach dem Mond, und dies beläuft sich auf genau 2.231,25 Euro – ob ein Einkommen in der Höhe nun tatsächlich erwirtschaftet wurde oder nicht.
Etwas über 400 Euro macht das pro Monat – mindestens, allein für die Krankenkasse. Beitragsminderungen sind möglich, gelten aber nur unter besonderen Voraussetzungen und sind daher nur für wenige Selbstständige erreichbar. Besonders verrückt wird es, wenn Selbstständige sich einen Teilzeitjob suchen, um günstiger gesetzlich krankenversichert zu sein und ihre Selbstständigkeit aus dem Grund nicht ausbauen. Hinzu kommen alle, die wegen der hohen Beitragslast lieber weiter von der Familienversicherung profitieren möchten. Sie sind zu einer Mini-Teilzeit-Selbstständigkeit verdammt – schließlich müssen sie sich ab einem Einkommen, das mickrige 425 Euro übersteigt, bereits selbst krankenversichern. Mit dieser sehr realen Form der „Teilzeitfalle” haben oft selbstständige Frauen zu kämpfen.
Oder vielleicht sollte man es auch gleich lieber „Vollzeitfalle” nennen. Denn kommen mehr als 425 Euro rein (dies meint übrigens jegliche Einnahmen, die dem Versicherten zugeschrieben werden können), werden der Arbeit mehr als 18 Stunden gewidmet oder wird womöglich ein sozialversicherungspflichtiger Job geschaffen, schnappt die „Vollzeitfalle” zu. Das bedeutet, dass familienversicherte Selbstständige in der absurden Situation sind, ihre Arbeit besser nicht in Vollzeit auszuüben, oder eben zunächst nur für die erheblich teurere Versicherung zu arbeiten. Absurditäten eines Sozialversicherungssystems, das ausschließlich auf die abhängige Beschäftigung ausgerichtet ist.
Fehler im System
Selbstständige können dem Dilemma der ungewollten Teilzeit nicht durch Arbeitgeber- oder Stellenwechsel entgehen, und auch flächendeckende Kinderbetreuung oder ein „Rückkehrrecht” löst ihr Problem nicht. Sie müssen feststellen, dass ihr selbstständiges Arbeitsmodell im System nicht vorgesehen ist.
Wer sich als wohlerzogener Beitragszahler zudem noch freiwillig gesetzlich rentenversichern will, kann das tun, muss aber insgesamt jeden Monat schon ein ordentliches Sümmchen in die Hand nehmen, damit die Nerven beruhigt sind und der Glaube gestärkt wird, man würde dann eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus erreichen. Anders als in der Krankenversicherung gilt bei der Rente schließlich: Wenig rein, ganz wenig raus. Kein Wunder, dass vielen Selbstständigen bei der Androhung einer gesetzlichen Rentenpflicht der Glaube fehlt, es sei für sie wirklich die geeignete Art vorzusorgen.
Nun müsste man sich über all das nicht künstlich aufregen, denn natürlich haben Selbstständige die Verantwortung für sich selbst sorgen zu können und ein tragfähiges Geschäft zu haben. Aber, die Beitragsregelungen der gesetzlichen Krankenkasse sind für Selbstständige derart unfair, dass sie auch bei einem funktionierendem Geschäftskonzept eine hohe Belastung darstellen. Selbstständige zahlen, anders als Angestellte, auf sämtliche Einnahmen (etwa Zinsen, Mieteinnahmen, Pachten) KV-Beiträge. Und die Politik sinniert mit der Einbeziehung in die gesetzliche Rentenkasse bereits über weitere Pflichtbeiträge.
Das ist offensichtlich aus verschiedenen Gründen problematisch:
- Selbstständigkeit wird systematisch erschwert, ausgerechnet für Gründer, wieder Einsteigende, Geringverdienende und familienversicherte Mütter oder Väter – obwohl die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Selbstständigkeit oftmals besser als in der Festanstellung hinzubekommen ist.
- Es benachteiligt vor allem Frauen: Über 80 Prozent der ungewollt Teilzeit-Selbstständigen sind laut VGSD e.V. familienversicherte Frauen – das Ganze taugt also als Frauenthema – aber still ruht der See, selbst im Gerechtigkeits-Wahlkampf, der ansonsten doch mit Gleichstellung, Familie und Quote punkten wollte und in dem es als Highlight sogar der unbereinigte „Gender Pay Gap” aufs Plakat geschafft hat. Von den eben noch zuständigen Feministinnen, Schwesig, bzw. Barley, Nahles und Co. hörte man dazu aber wenig. Die Wählergruppe der Selbstständigen ist ihnen wohl fremd oder einfach zu klein? Man bekommt den Eindruck, der Einsatz für Vereinbarkeit, Gerechtigkeit und das Vorankommen von Frauen in der Wirtschaft ist ihnen nur in der „Normalarbeit” so ungeheuer wichtig. Bleibt abzuwarten, ob eine neue Regierung hier genauer hinschaut.
Der VGSD hat vor Kurzem eine Petition gestartet, um den Druck auf die zuständige Politik zu erhöhen. Alle Parteien (bis auf die CDU) wollen betreffende Selbstständige zwar irgendwie „entlasten”, aber trotzdem an anderer Stelle wieder zu Beitragszahlern machen. Bei der Krankenkasse gnädiger werden, aber bei der Rente verpflichten, scheint schon alles zu sein, was man sich vorstellen kann. Die Grünen würden zudem noch ein Mindesthonorar installieren – was zeigt, wie wenig sie von der Selbstständigkeit verstehen.
Wo bleiben die Ideen für freie Arbeitsmodelle?
Ob Krankenkasse oder Rentenversicherung – das Angestelltensystem ist mit den Realitäten der Selbstständigkeit oft schwierig zu vereinbaren. Selbstständige, die zu wenig verdienen, dass sie sich nicht absichern können, brauchen grundsätzlich erst einmal ein funktionierendes Geschäftskonzept. Dafür sind sie selbst zuständig. Was sie hingegen nicht brauchen, sind Politiker, die sich ein gesetzliches Mindesthonorar oder noch mehr Pflichtbeiträge für sie ausdenken.
Was hilfreich wäre, sind Angebotsvielfalt und Aufklärung bei den Vorsorgemöglichkeiten, Wahlfreiheit und natürlich Fairness bei den Abgaben. Hier ist moderne Politik gefragt. Unfaire Beitragsbemessung ist das Mindeste, was es zu reformieren gibt. Wenn zur Ermittlung des Krankenkassenbeitrags ein „fiktives Einkommen” zur Bemessung benutzt wird, dann braucht man sich nicht wundern, dass viele sich lieber privat versichern. Aber auch das nützt Geringverdienenden oder medizinisch Vorbelasteten wenig. Zudem geht es ums Prinzip: private Absicherung sollte stets nur eine weitere Option zu den gesetzlichen Systemen darstellen, die faire Angebote für alle machen müssen.
Der Aufreger ist hier nicht der grundsätzliche Vorschlag einer Versicherungspflicht – sondern die Ideenlosigkeit der Politik. In Deutschland fehlt es gewiss nicht an der Versicherungsmentalität – es fehlt schlicht an fairen Möglichkeiten für Selbstständige, die nicht schon obligatorisch abgesichert sind. Es gilt, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfit zu machen und der Wahrscheinlichkeit ins Auge zu blicken, dass in modernen Lebensentwürfen der Wechsel zwischen Angestelltsein und Selbstständigkeit nicht so abwegig ist, und unternehmerische Arbeitsmodelle in einer Wissensgesellschaft nicht mehr die individualistische Ausnahme von der Regel bleiben werden. Selbstständigkeit zu bestrafen, ist nicht mehr zeitgemäß, wenn geistige Anwesenheit zunehmend mehr als körperliche Anwesenheit gefragt ist.
Selbstständige wären besser in der Lage, ihr Geschäft weiterzuentwickeln und auch vorzusorgen, wenn Staat und Sozialkassen sie nicht unverhältnismäßig belasten und die „Einbeziehung in die gesetzlichen Versicherungssysteme” nicht meinen würde, sie in das alte, starre Angestelltensystem zu zwingen. Es ist Aufgabe der künftigen Regierung, sich endlich auf den Weg zu begeben und ein modernes Sozialversicherungssystem zu schaffen, das für alle fair ist. Die alten Systeme dürfen den unternehmerischen Arbeitsmodellen der Zukunft nicht mehr im Weg stehen.