Rettet Trumps Unfähigkeit die USA? Abwarten!
Das Weiße Haus versinkt in Skandalen und Leaks, der Präsident bekommt keine wirksame Politik organisiert oder wird durch die Gerichte gestoppt. Grund zur Entwarnung besteht dennoch keineswegs.
Meine schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Selbst wenn er wollte – was ich bezweifle, da er wohl nicht weiß, was genau die Unterschiede zur liberalen Demokratie überhaupt sind – wäre Donald Trump bei weitem nicht in der Lage, ein autoritäres System in den USA zu etablieren. Zu zerstritten ist sein Team, zu wirr sein eigenes Denken. Erdogan und Putin bemühen sich wenigstens, die Verschwörungstheorien, die sie verkaufen und vermutlich zumindest in Teilen selbst glauben, halbwegs kohärent zu formulieren. Trump ist eindeutig nicht der Erfinder des Blödsinns, den er für bare Münze nimmt und auf dem seine politischen Ideen basieren.
Mit diesem Mind- und Skillset ein komplettes, faschistisches System etablieren? Er kriegt ja trotz satter Mehrheiten nicht mal eine Gesundheitsreform hin, die nicht DOA (Dead On Arrival) ist.
Also Entwarnung? Nicht zu früh! Folgen Sie mir durch ein Gedankenexperiment, für das jeder Beweis fehlt, das bitte harsch kritisiert werden soll, das mir aber nicht vollkommen abwegig erscheint: Trump ist nicht Hitler, nicht mal Mussolini, Salazar oder Berlusconi. Trump ist das Äquivalent zum Vorgänger seines Vorbilds Putin: Jelzin. Jelzin war zu versoffen, um sein Amt zu führen, Trump fehlt die nötige mentale Stabilität auch ganz ohne Drogen. Jelzin hat sich und seiner Familie die Taschen im Amt illegal gefüllt, Trump ist bisher nur durch dubiose Kontakte auffällig geworden und durch eine beeindruckende Menge an Zivilrechtsprozessen, die die Zeit vor seinem Amtsantritt betreffen.
Keine Lust auf Politik
Was bei Trump evident nicht funktioniert: Echte Politik, also endloses Aktenstudium, Expertenkonsultationen, lange Kämpfe um feinste Formulierungsunterschiede, zeitraubendes Verhandeln um tragfähige (oder wenigstens legale) Kompromisse. Auf echte Politik hat er ersichtlich nicht mal in homöopathischen Dosen Lust. Was aber super funktioniert: Mit immer krasseren Entgleisungen und Skandalen vom politischen Versagen ablenken, die Wahrnehmung solchen Benehmens normalisieren und sich für jeden weiteren Tabubruch auf seiner grotesk- wie clevererweise bereits begonnenen zweiten Wahlkampftour von den gar nicht wenigen verbliebenen Anhängern, die ihrerseits auf diese Weise immer weiter radikalisiert werden, bei Liveauftritten feiern lassen.
Dem fanatisierten Fußvolk die frisch eroberte Air Force One als Trophäe zeigen: Da ist er unangezweifelt der größte Gewinner aller Zeiten, das macht Spaß, das gibt ihm die instantane Befriedigung – es dient nur nicht seiner Wiederwahl oder seinen Popularitätswerten in der Gesamtbevölkerung. Gleiches gilt für sein Twittertourette, das ihm keinen spürbaren Schaden zufügt aber offensichtlich so viel Freude bereitet, wie mir meine Angeberei bei Instagram.
Wem nützt das?
Wem also sollte dieses erratische Verhalten mittelfristig irgendetwas nützen? Der Partei nicht, Pence, dem eigentlichen Präsidentschaftsfavoriten der GOP, sicher nicht. Der würde die Regierung vermutlich sehr gerne sofort in ruhiges Fahrwasser führen, sofern Trump aus irgendwelchen Gründen abtreten sollte. Die Theorie, dass die Republikaner nur darauf warten, dass Trump sich einen hinreichend schweren Schnitzer leistet, um ihn ohne Gesichtsverlust anklagen und durch Pence ersetzen zu können, kursiert schon seit Wochen. Ein Amtsenthebungsverfahren wäre natürlich extrem unangenehm für Trump, sofern der tatsächlich irgendwelchen justiziablen Dreck am Stecken hätte – denn im Erfolgsfall ist nicht auszuschließen, dass daraus empfindliche Konsequenzen über den Amtsverlust hinaus resultieren.
Dürfte ich Trump einen persönlichen gutgemeinten Ratschlag erteilen (und wüsste ich um irgendwelche justiziablen Vergehen), würde ich ihm empfehlen, sich gegen dieses Szenario abzusichern. Und das ist nicht so schwer, zumal die halbe Arbeit schon gemacht ist: Was, wenn Trump seinerseits Pence zum Rücktritt brächte? Beispielsweise indem er sich öffentlich politisch – aber eben keinesfalls legal – derart mit ihm überwirft, dass Pence zur eigenen Ehrenrettung abtritt? Trump könnte etwa, ohne sich inhaltlich verbiegen zu müssen, die Homoehe öffentlich wieder lautstark befürworten.
Wenn er bei der Formulierung des entsprechenden Tweets das ihm eigene Feingefühl walten lässt, weiß Pence schon vor der Morgenlage, dass er vor der Wahl steht, seinen Hut zu nehmen oder auf Lebenszeit bei seiner Basis verbrannt zu sein. Mit gerade mal 57 Jahren und gesicherten Pensionsansprüchen würde ich zu meinen Werten stehen, statt bestenfalls nach einer Amtsenthebung meines Chefs höchst beschädigt bei der nächsten Wahl aus dem ererbten Amt gejagt zu werden. Um wirklich sicher vor der GOP zu sein, muss Pence’ Nachfolger natürlich unbeliebter sein, als Trump selbst. Und um dauerhaft sicher vor irgendeiner Strafverfolgung zu sein, wäre es vorteilhaft, wenn Trump seine Nachfolge ähnlich regeln könnte, wie Jelzin die Übergabe an Putin: Machtnachfolge gegen Amnestie und Garantie auf Straffreiheit für alle Familienmitglieder.
Es gibt einen Weg
Gucken wir mal in den fünfundzwanzigsten Verfassungszusatz, der diesen Fall regelt:
Whenever there is a vacancy in the office of the Vice President, the President shall nominate a Vice President who shall take office upon confirmation by a majority vote of both Houses of Congress.
Ich hätte da eine Idee, wen Trump wohl benennen würde. Natürlich erst, nachdem er die Umgangsformen und Zustimmungsraten der GOP derart sturmreif geschossen hat, dass deren Abgeordnete seinen Kandidaten aus schierer existenzieller Angst vor vorgezogenen Neuwahlen durchwinken, um sich Zeit zu kaufen. Angesichts der Erfahrungen, die Republikaner derzeit bei Townhall Meetings in ihren Wahlkreisen machen (sofern sie überhaupt welche abhalten), wäre solche Panik allemal verständlich.
Sobald diese Personalie mit einem guten Kandidaten besetzt ist (und gut ist, wie wir inzwischen gelernt haben, eine Umschreibung für „zuverlässig gut für Donald J. Trump“), braucht es nur noch eine gesichtswahrende Ausrede für den Rücktritt und The Donald kann sich endlich wieder seinen Geschäften widmen, während Präsident Bannon den undankbaren Job im Weißen Haus übernimmt und ihm und seiner Sippe zuverlässig den Rücken freihält.
Gegenüber Ken Stern war Bannon Monate vor der Wahl offenherzig, vielleicht davon ausgehend, dass Trump die Wahl entweder verlieren oder der Vanity Fair ohnehin keinen Glauben schenken würde:
Trump is a „blunt instrument for us,“ he told me earlier this summer. „I don’t know whether he really gets it or not.“ It is likely that Bannon’s political calculus here, if not Trump’s, will be less about winning an election that seems a bit out of hand and more about cementing an American nationalist movement.
Bei der politischen Großkatastrophe dieser Tage gilt: Bleiben Sie stehen und schauen Sie hin! Gehen Sie nicht weiter! Es gibt hier eine Menge zu sehen! Zur Seite, lassen Sie die Frau durch, sie ist Journalistin!