Von der Illusion, mit Demonstrationen vor pompöser Kulisse Gehör zu finden.

Auf Facebook kursieren Fotos einer Protest-Aktion arabischer Aktivisten, die vor dem Brandenburger Tor die Al-Aksa-Moschee nachgebaut haben.  Zeter! Mordio! Mitten in Berlin! So reagiert die ideologische Gegenseite. Aber soll ich euch was verraten? Einen besseren Platz kann es dafür aus Sicht der Israel-Unterstützer kaum geben. Das hat mit einem Umstand zu tun, der aus der Distanz zu beurteilen nicht einfach ist, aber klarer wird, je näher man heranzoomt. Je weiter sich nämlich eine Demonstration ins Zentrum Berlins wagt, desto bedeutungsloser wird sie. Und das kommt so:

Während meiner Zeit als Praktikant im „Spiegel“-Hauptstadt-Büro am Pariser Platz, vis-à-vis zum Brandenburger Tor, logierte ich in einem Büro in der fünften Etage. Von meinem Bürostuhl aus hatte ich den besten Blick auf das Wahrzeichen Berlins und natürlich den Vorplatz mit allem, was darauf so vor sich ging. Coole, oberkörperfreie Boys, die mit ihrer immer gleichen Break-Dance-Show ein Vermögen machten. Erschöpfte Geringverdiener im „Berlin-Bär“-Ganzkörperkostüm, die sich in der Mittagspause, den überdimensionierten „Kopf“ unterm Arm Richtung Sitzgelegenheiten schlurfend, eine Kippe anzündeten. Und Demonstrationen. Viele Demonstrationen.

Wo kein revolutionäres Subjekt, da kein Umsturz

Am hartnäckigsten waren die Kurden. Fast jeden Tag um die gleiche Uhrzeit rückten sie mit Kind, Kegel, Schildern und Transparenten an, immer auf die gleiche Stelle am Vorplatz des Brandenburger Tors. Man konnte die Uhr danach stellen. „Ach, die übliche 12-Uhr-Demo“.

Aber auch andere Wütende und Verzweifelte aller Art fanden regelmäßig den Weg „in das Herz der Bestie“, wie einige besonders Radikale auf ihren Flyern und Aufruf-Zetteln verlautbarten. Es lief immer gleich: Ein Grüppchen Umweltschützer, Iran-Oppositioneller oder wer auch immer preschte mit viel Theaterdonner heran, skandierte Parolen durch ein Megaphon, verteilte ein paar Flyer und trat wieder ab. Aus meinem Büro im fünften Stock sah das immer ganz putzig aus.

Die Sache hatte nur einen Haken: Die Demonstranten fanden partout kein Publikum, dass sich für sie interessierte.

Wer sollte das auch sein? Wer sich vor dem Brandenburger Tor aufhält, ist entweder Tourist oder beruflich dort, etwa als Ganzkörper-Bär, Breakdance-Boy oder Fake-Fahnenträger. Touristen haben meist keine ausreichenden Sprachkenntnisse um den Worten der Agitatoren folgen zu können. Und wenn doch, haben sie – im Urlaub – aus naheliegenden Gründen weder Lust noch Zeit dafür.

Die versammelte Arbeitnehmerinnenschaft muss, Überraschung, arbeiten, und wird sich in ihrer Mittagspause kaum für das Schicksal chilenischer Wanderarbeiter, die Märchen moskautreuer Friedensbewegter oder den Regenwald interessieren. Oder eben für eine nachgebaute Al-Aksa-Moschee. Wo kein revolutionäres Subjekt, da kein Umsturz.

Übrigens ist auch der einst mächtigste Mann der Welt nicht gefeit davor. Als Barack Obama 2013 per Helikopter einschwob, war das Areal vor dem Brandenburger Tor weiträumig abgeriegelt. Nur ein paar handverlesene Gäste durften in brühender Hitze den Worten des Großen Vorsitzenden lauschen. Nicht einmal mir, in meinem schattigen Büro im fünften Stock, wurde es diesmal leicht gemacht. Ich brauchte das Fenster nur auf Kipp zu machen, schon wurde ich von übellaunigen Scharfschützen auf den Dächern ringsherum angemotzt.

Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Reichstagsgebäude. Zu glauben, dass sich auf dem Vorplatz irgendjemand für seine Belange interessiert, fällt bisher nur ein paar verstreuten „Reichsbürgern“ ein, die dort ein gottverlassenes Dasein fristen.

Geschrei und Gezerre in Kreuzberg – wunderbar!

Wesentlich naheliegender ist es, sein Anliegen näher an die gemeine Bürgerin in ihrem natürlichen Umfeld heranzutragen. Als ich einmal über die Protestaktion eines Fahrradverbandes berichtete, konnte ich dies in Augenschein nehmen. Die Aktivisten wollten gegen Rücksichtslosigkeit von Autofahrern im Straßenverkehr demonstrieren. Vor allem das Parken in zweiter Reihe stieß ihnen bitter auf, da dies vor allem Radfahrer gefährdete.

Also kamen sie mit ihren Drahteseln in die Oranienstraße in Kreuzberg und stellten sich nun ihrerseits in die zweite Reihe. Binnen kürzester Zeit war die Straße verstopft, Autos und LKWs versperrten sich gegenseitig den Weg. Die Polizei rückte an und beschlagnahmte Fahrräder. Geschrei, Gezerre, wunderbare Bilder für die Kameras und Notizblöcke der Journalisten. That’s how to roll.

Insofern kann man sich entspannt zurücklehnen, wenn vor dem Brandenburger Tor mal wieder etwas propagiert wird, was einem nicht passt. Das Herz der Bestie, es schlägt sacht und zahm.