Die Idee einer Abgabe für Kinderlose beruht auf einem Trugschluss: Eltern täten was für die Gesellschaft, die anderen nicht. Kinder sind aber einfach nur kleine Menschen und keine Rentenkassenretter.

Früher war alles anders. Zu Beginn der Geschichte der deutschen Rentenversicherung, im Jahr ihrer Einführung 1891, war die Rente noch ein überschaubares Thema. Arbeitgeber und Arbeitnehmer legten Geld beiseite, um für die Zeit nach dem Erwerbsleben vorzusorgen. Das Kapitaldeckungsverfahren war einfach, funktionierte allerdings in den meisten Fällen auch nicht besonders gut. Spätestens zwei Kriege, eine Hyperinflation und eine Wirtschaftskrise später war das, was zusammengespart worden war, der Rede nicht mehr wert: Rentner zu sein bedeutete bis weit in die 1950er Jahre hinein, immer auch arm zu sein. In die Wirtschaftswunderjahre passte das nicht mehr. Konrad Adenauers Idee, die Renten fortan durch Umlagen, also ad hoc und nicht mehr aus dem Sparstrumpf, zu finanzieren, war deshalb naheliegend. Es war damals ja auch genug von allem da: Arbeit, Beitragszahler, Nachwuchs – die Jahrgänge 1955 bis 1965 werden deshalb als „Baby-Boomer“ bezeichnet. Seit 1957 also wurden die Beiträge, die in die Rentenversicherung eingezahlt wurden, umgehend für die Versorgung der Rentner ausgegeben und die Rente fortan jährlich proportional an die Entwicklung der Bruttolöhne angepasst. Über die Warnungen seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard soll sich Adenauer damals mit einem seither vielzitierten Satz hinweggesetzt haben: „Kinder kriegen die Leute immer“.

Ein Irrtum mit Folgen.

„Kinder kriegen die Leute immer“ – das ist längst vorbei. Die Geburtenrate lag in Deutschland im Jahr 2015 bei 1,5. Und gleichzeitig beziehen die Rentner von heute ihr Altenteil deutlich länger als ihre Vorfahren: Nicht mehr nur ein paar Jahre, sondern jahrzehntelang – ein Trend, der sich noch verstärken wird. Und das ist eine gute Nachricht. Sollen wir wirklich unsere immer höhere Lebenserwartung bedauern? Oder nicht lieber endlich anfangen, uns mal darauf einzustellen?

Alternativloses Umlagesystem?

Heute heißt das Prinzip noch immer „ohne Kinder gibt es keine Rente“ – so fasste es Ursula von der Leyen in einer Talkrunde bei Günther Jauch Ende 2013 zusammen, ganz so, als ob das Umlagesystem total alternativlos sei. Dabei hat sich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern seit Adenauers Kurskorrektur deutlich verändert: Kamen im Jahr 1962 noch sechs Erwerbstätige auf einen Altersrentner, waren es 2015 nur noch zwei.

Die geringere Geburtenrate ist mitunter auch der Tatsache zu verdanken, dass Menschen heute freier entscheiden können. Auch das ist eine gute Nachricht. Viele Paare sind glücklich mit ihrer Ein-Kind-Familie, weil sie im Gegensatz zu ihren Vorfahren in der Agrargesellschaft davon ausgehen dürfen, dass nicht nur die Größe ihrer Kinderschar darüber entscheiden wird, wie sie ihren Lebensabend verbringen werden.

Frei nach dem Motto „wir brauchen einfach nur mehr Kinder, und alles wird wieder gut“ ist Familien- und Rentenpolitik heute aber dennoch vor allem der Versuch, ein System am Leben zu erhalten, das offensichtlich nicht mehr in unsere Zeit passt. Da hilft es auch nichts, wenn die Bundesregierung  – siehe die Diskussion um Selbständige und die Scheinselbständigkeit – verzweifelt versucht, jeden, der sich nicht auf drei ins Ausland abgesetzt hat, in die gesetzliche Renteversicherung zu zwingen, am Renteneintrittsalter herumzuschrauben und ansonsten auf forcierte Fortpflanzung bei gleichzeitig früherer Erwerbstätigkeit (Stichwort Krippenausbau) zu setzen.

Kinderlose halten den Laden am Laufen

Richard Volkmann hat in seinem Beitrag „Kinder, Kinder“ auf die erneut kursierende Idee einer Strafabgabe für Kinderlose hingewiesen und auf all die richtigen Gründe, die gegen eine solche Steuer sprechen. Ergänzend dazu nur dieser Hinweis: An der Idee einer Strafabgabe für Kinderlose stören sich auch viele Eltern. Weil sie wissen, dass es die Kinderlosen sind, die durch ihre Erwerbsarbeit und ihre Konsumausgaben den Laden am Laufen halten. Weil sie wissen, wer dieses ominöse Wachstum ermöglicht, das wir brauchen, um Kindergärten, Schulen, Universitäten und Vergünstigungen wie etwa das Kindergeld, das Elterngeld und Kinderfreibeträge finanzieren zu können. Wir wissen, dass gerade kinderlose Singles sowieso mehr bezahlen. Wir waren auch mal welche. Vor allem aber liegt der Idee einer zusätzlichen Abgabe für Kinderlose ein Trugschluss zugrunde: Ihr Egoisten tut nichts für die Gesellschaft, Eltern hingegen schon – die ziehen nämlich die nächsten Beitragszahler groß.

Das aber ist falsch. Kinder sind einfach nur kleine Menschen – keine Beitragszahler und schon gar nicht irgendein Rädchen im Getriebe. Für die Entscheidung, eine Familie zu gründen, ist das Wohlergehen des Gemeinwesens kaum Motivation. Und das ist gut so. Eltern wünschen sich für ihre Kinder vor allem, dass sie frei aufwachsen, sich entfalten, ein Leben nach ihren Vorstellungen leben können. Wie soll das aber angesichts der immer schwerer drückenden Abgabenlast noch funktionieren? Und: Eltern können nicht versprechen, dass sich die Investitionen der Gemeinschaft in ihre Kinder einmal auszahlen werden. Garantien dafür verbieten sich in einer offenen Gesellschaft von selbst. Wir können alle nur unser Bestes versuchen – der Rest ist allgemeines Lebensrisiko.

Erpressbare Gemeinschaft

Der Staat ist nicht einfach nur aus Lust und Laune großzügig. Er lässt sich Familie viel Geld kosten, weil er sie so dringend braucht. Solange eine Koppelung besteht zwischen der Geburtenrate und dem Wohl unserer Rentner, so lange bleibt unsere Gemeinschaft erpressbar. Und der Satz „wir ziehen schließlich die Rentenzahler von morgen groß“ bekommt eine immer größere Sprengkraft, je weniger Kinder in Deutschland zur Welt kommen.

Gerade Eltern müsste daran gelegen sein, dass sich daran endlich etwas ändert. Diejenigen, die diesen viel zu oft dahergesagten Satz über die „Beitragszahler von morgen“ gemeinsam mit der Politik mantraartig wiederholen, legitimieren damit gleichzeitig ein überholtes System. Für ein bißchen mehr Knete vom Staat im Hier und Jetzt verhindern sie, dass endlich ernsthaft über echte Alternativen zum derzeitigen Rentensystem diskutiert wird, und tragen so dazu bei, dass wir die Last, die wir unseren Kindern einmal aufbürden, weiter erhöhen.

Rente grundlegend neu denken

Ganz ohne eine gesetzliche Rentenversicherung wird es wohl nicht gehen. Aber es kann und muss auch nicht alles so bleiben, wie es ist. Viele alternative Ideen wie etwa eine noch stärkere Betonung des Kapitaldeckungsverfahrens, eine steuerbasierte Grundrente, das bedingungslose Grundeinkommen und andere Modelle liegen in der Luft und sollten nicht immer wieder in diesem ewiggleichen „weiter so“ unter den politischen Teppich gekehrt werden. Kinderlose ein weiteres Mal zur Kasse zu bitten, ändert nichts grundlegend. Aber genau das wäre endlich mal notwendig – weil sich auch die Umstände grundlegend geändert haben.

So wie wir uns heute die Freiheit nehmen, eine Familie zu gründen oder auch nicht, so sollten wir auch dafür einstehen, dass sich die jungen und nachfolgenden Generationen frei entwickeln können. Der Verzicht auf falsche Sätze wäre ein Anfang: Die Leuten kriegen eben nicht immer genug Kinder. Und wir ziehen keine Beitragszahler groß. Sondern hoffentlich tüchtige und eigenständige Menschen, die einmal besser für sich selbst sorgen können, als wir es heute tun.

 

Katharina Lotter ist Diplom-Wirtschaftsjuristin (FH) und findet, dass Ökonomie zu wichtig ist, um sie allein den Spezialisten zu überlassen. Um als Journalistin einem breiteren Publikum Lust auf Wirtschaft zu machen, kündigte sie im Krisenjahr 2008 ihren sicheren Job in einer Unternehmensberatung, absolvierte Praktika bei dem Wirtschaftsmagazin „brand eins“ sowie der „Financial Times Deutschland“ und arbeitete einige Jahre als freie Autorin für u.a. „Die Welt“ und das Magazin „liberal“ der Friedrich-Naumann-Stiftung.