Außenpolitik: Wo steht eigentlich der Feind?
Sigmar Gabriels Auftritt bei der UN-Vollversammlung wirft die Frage auf, wem gegenüber sich Deutschlands Diplomatie wirklich verpflichtet fühlt.
Bei einem seiner letzten Besuche in Teheran sind sie dem ehemaligen Wirtschafts- und heutigen Außenminister Sigmar Gabriel gewiss aufgefallen: Die mächtigen Baukräne in der iranischen Hauptstadt – Ausdruck einer Bauwirtschaft, die dank gelockerter Sanktionen wieder in Schwung kommt. Viele von ihnen stammen aus Deutschland, etwa vom Unternehmen Atlas, dass mehrfach versichert hat, nicht Handel mit Iran zu betreiben. Dass die Kräne auch äußerst beliebt sind, um missliebige Menschen wie etwa Schwule an ihnen öffentlich aufzuhängen, wird man Gabriel wohl nicht eigens vorgeführt haben. Dass es guter Usus ist im Mullah-Regime, das allerdings muss der stets bestens informierte Minister gewusst haben.
Doppelmoral, dein Name ist Deutschland
Jemand, der sich in der parlamentarischen Demokratie Israel gezielt die radikalsten außerparlamentarischen Systemgegner als Gesprächspartner aussucht, wird gewiss auch in einer Klerikal-Diktatur genau über politische Feinheiten Bescheid wissen. Oder sieht er zugunsten der profanen Profitmehrung schlicht über eklatante Menschenrechtsverletzungen hinweg? Im Fall Irans scheint das, wie die jüngste UNO-Vollversammlung zeigt, so zu sein. Es stellt sich mehr denn je die Frage, ob auf internationalem Parkett Deutschland mit einer perfiden und zugleich wohlfeilen Doppelmoral auftritt.
Den barocken Äußerungen des US-Präsidenten, der mit seiner Einschätzung des Appeasement-Deals mit dem Iran im Übrigen völlig richtig liegt, wird schneidig begegnet – vom jetzigen Außenminister – und mit der Begründung, wenn man jetzt das Abkommen mit dem Iran beende oder aufkündige, könne man nie mehr das Vertrauen Nordkoreas am Verhandlungstisch gewinnen. Der Westen müsse sich als verlässlicher Partner zeigen.
Wie kaputt ist unser Wertekompass?
Gegenüber wem eigentlich? Allen Ernstes den mörderischen Mullahs und ihrem „gemäßigten“ Vollstrecker Rohani? Oder dem Operettendiktator Kim III, der sein Volk zugunsten einer irrsinnigen atomaren Aufrüstung hungern und leiden lässt? Es steht zu befürchten, dass Gabriel, dessen Fehltritte auf internationalem Parkett mit dem Wahlsonntag durchaus Geschichte sein dürften, das ernst meint. Wer einen Terroristen wie Abu Mazen alias Mahmud Abbas seinen Freund nennt, in der Vergangenheit Israel in die Nähe eines Apartheidregimes rückte und die Regierung dieses eng verbündeten Landes so behandelte, wie es die Diplomatie eigentlich nur bei nichtdemokratischen Regimes macht („Vertreter der Zivilgesellschaft treffen“ – als wäre Israel eine Militärdiktatur), dem mag auch der UNO-Kompass etwas durchdrehen.
Es geht nämlich nicht darum, Terrorsystemen westliche Verlässlichkeit angedeihen zu lassen in der Hoffnung, man möge dann etwas Wohlverhalten ernten – es geht darum, zu wissen, auf welcher Seite man steht. Natürlich kann und muss man den Trump’schen Verbalradikalismus hie und da eindämmen. Natürlich muss man einander unter Freunden auch einmal die Meinung geigen – aber Diplomatie lebt vor allem davon, die richtige Äußerung zum richtigen Zeitpunkt ein- und abschätzen zu können. Und der wäre bei dieser UN-Vollversammlung gewesen, den US-Präsidenten in seiner Vorstellung von starken Einzelstaaten, die eine selbstbewusste Allianz zu wechselseitigem Nutzen formen, zu bestärken. Stattdessen fällt der ehemalige „Beauftragte für Popkultur und Popdiskurs“ der SPD dem engsten Verbündeten vor aller Augen in den Rücken, um zwei der elendigsten Regimes unserer Zeit Mut zuzusprechen: Pacta sunt servanda, auf uns könnt ihr euch verlassen.
Mörder sollen sich auf unser Wort verlassen können
Was für eine groteske Spiegelung und Verzerrung demokratischer Werte. Die Mörder können sich auf unser Wort verlassen. Und denjenigen, die die Mörder zur Rechenschaft für ihr Handeln ziehen wollen, erteilen wir nicht nur eine öffentliche Rüge – wir machen auch noch Milliardendeals mit ihnen wie im Fall des Iran. Nein, das ist keine Verteidigung unserer westlichen, oder um es etwas weniger eurozentristisch zu sagen, zivilisatorischen Werte. Und nein, einen Parkplatz aus Nordkorea machen zu wollen ist gewiss auch keine Lösung. Aber dass diese Form des Appeasements die entschlossenen Feinde unserer Wertegemeinschaft ermutigt und nicht in die Knie zwingt, hat nicht nur München 1938 gelehrt. Deutschland und seiner Diplomatie droht seit geraumer Zeit der moralische Kompass verloren zu gehen – die jüngste UNO-Sitzung war ein dramatischer Beweis dieser These.
Und die deutschen Kräne im Iran? Sie sorgen weiter für Aufschwung am Bau und Volkserziehung bei den öffentlichen Hinrichtungen.