In Constanze Kurz‘ FAZ-Kolumne widersteht Donald Trump heldenhaft der antirussischen Agitation. Wer solchen Qualitätsjournalismus hat, braucht keine Grünen Männchen mehr.

Es ist nicht ohne Ironie, dass die Stärke der Demokratie zugleich ihre größte Schwäche ist: ihre langen Wege und ihre mühselige Kleinteiligkeit. Wer in einer demokratischen Gesellschaft ein Gesetz durchbringen will, der braucht dafür einen langen Atem, wer sie lahmlegen will, allerdings auch. Ein gewisses Maß an institutioneller Trägheit gereicht der freien Gesellschaft daher zum Schutze.

Auch wer über die Presse Einfluss nehmen will, braucht Geduld, da es recht schwer ist, sich mit wirklich abseitigen Meinungen reichweitenstark Gehör zu verschaffen. Allzu kruden Gestalten war der Weg in die größeren Foren unserer öffentlichen Debatten daher lange Zeit versperrt – bislang.

Seit Brexit und Trump ist das vorbei, und die Spinner haben – auch in Deutschland – mächtig Oberwasser. Klar, einige stellen sich dabei noch ein bisschen plump an, zum Beispiel „Breitbart„, das das für den hiesigen Markt passende Maß an Lüge und Übertreibung noch nicht so richtig gefunden hat. Wesentlich erfolgreicher bombardieren dagegen russisch gelenkte Medien wie „Sputnik“ und „Russia Today“ den deutschen Meinungsmarkt schon seit Jahren mit der bekannten Melange aus Halbwahrheiten, aufgebauschten Skandalmeldungen und offener Desinformation.

Blauäugig durch den öffentlichen Diskurs

Man könnte diesem Angriff einigermaßen gelassen gegenüberstehen, gäbe es nicht auch hierzulande genügend Menschen, die zwar nicht direkt und offen gegen die Demokratie zu Felde ziehen wollen, deren Gesellschaftsbild sich jedoch vor allem ex negativo über die Ablehnung eines spezifischen Modells – des amerikanisch-westlichen – definiert und welches somit dem russischen Teile und Herrsche bereits weit entgegenkommt.

Mit bemerkenswerter Blauäuigigkeit bewegen sich manche von ihnen durch den freiheitlich-demokratischen Diskurs, entweder unwissend oder in glatter Verdrängung der Tatsache, dass die Feinde der freien Gesellschaft sich ihrer Einlassungen nur zu gern bemächtigen und ihren Einfluss nur zu gerne für sich nutzen. Einer dieser Menschen ist Constanze Kurz, die mit ihrer aktuellen Kolumne in der FAZ auf eine prominente Erwähnung hoffen darf, wenn sich in einigen Jahrzehnten die Historiker durch Online-Nachrichten, Twitter- und Facebook-Logs wühlen werden bei dem Versuch, die Bereitschaft westlicher Gesellschaften zur Selbstdemontage in den 2010er-Jahren zu dokumentieren.

Kurz, eine Frau mit hörbarem Berliner Charme, ist eigentlich promovierte Informatikerin und hat sich der „Datensicherheit“ verschrieben, ist also das, was man gemeinhin eine „Netzaktivistin“ nennt. Und da bei Aktivistin „aktiv“ drinsteckt, ist sie auch eine Gschaftlhuberin vor dem Herrn. So ist sie Co-Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Teilzeitredakteurin bei Netzpolitik.org und Beiratsmitglied im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, sie besorgt die Fachgruppe Informatik und Ethik der Gesellschaft für Informatik (GI), wäre 2012 auf Vorschlag der Grünen mal fast Landesdatenschutzbeauftragte in Thüringen geworden und war von 2010 bis 2013, diesmal auf Vorschlag der Linkspartei, Sachverständige in der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages. Dazu kommt die schon erwähnte zweiwöchige FAZ-Kolumne mit dem Titel Aus dem Maschinenraum.

Die Reichweite, die das gutbürgerliche Medienflaggschiff FAZ ihr auf diesem Wege – quasi als Anti-Fleischhauer – einräumt, versteht Kurz klug zu nutzen. In ihrem aktuellen Text mit dem programmatischen Titel „Amerikas Geheimdienste munkeln“ jedenfalls bringt sie einiges an Tropen unter, die kein respektabler Bürgerlicher diesseits der nationalkonservativen Wasserscheide jemals so unkritisch publizieren würde.

Kalte Dusche für Kalte Krieger

Um gleich zu spoilern: Aus der Sicht von Constanze Kurz sind die Vorwürfe russischer Wahlmanipulation viel Lärm um nichts. Einzig die amerikanischen Geheimdienste hätten sich trotz Fehlens belastbarer Beweise daran „festgebissen, mehrere digitale Einbrüche, denen politische Bedeutung zukommt, vom Kreml gesteuerten Hackern zuzuschreiben“, wie der hochpolitische Datenklau bei ihr unnachahmlich verharmlosend heißt. Die vorgebrachten Beweise seien in Wirklichkeit „mickrig“, so mickrig sogar, dass selbst Donald Trump, bekanntermaßen die Inkarnation der politischen Vernunft, sich die Sache zwar habe „erklären lassen“, von den Kalten Kriegern aus den Reihen der Geheimdienste jedoch nicht habe überzeugt werden können: Nein, „Trump blieb unbeeindruckt“ – der Fels in der Brandung, den wir kennen und lieben.

Nach diesem Muster konstruiert sich Frau Kurz im Folgenden eine einfache Dichotomie: Auf der einen Seite stehen die amerikanischen Geheimdienste, deren finstere Geschichte nicht mehr näher ausgeführt werden muss, die aber gleichzeitig trotzdem zu blöd sind, Hacks technisch überhaupt richtig nachzuverfolgen und die sich angeblich nicht einmal mehr trauen zuzugeben, dass sie Putins Kommunikation ausgelesen haben, weil die Sache mit Merkels Diensthandy schon „peinlich genug“ gewesen sei (zwar eher für uns Deutsche als für die Amerikaner, aber mit solchen Details hält man sich in der Echokammer der Netzpolitik offenbar nicht auf).

Diesem riesigen, bedrohlich-kafkaesken Konglomerat steht andererseits die russische Führung gegenüber, der nach Kurz‘ Dafürhalten nichts nachzuweisen und daher auch nichts vorzuwerfen ist. Jenseits des Atlantiks hat dies allerdings nur einer erkannt, dem damit automatisch die Rolle des „guten“ Amerikaners zufällt, nämlich, man ahnt es schon, „der angehende Präsident“. Anerkennend hebt die Autorin schließlich auch hervor, Trump dürfte von seinem Treffen mit den Geheimdienstspitzen „Konkreteres […] erwartet haben als vage Einschätzungen.“ Der Gedanke, dass Trump mit einer anderen als einer vollkommen unabhängigen und ergebnisoffenen Einstellung in das Treffen gegangen sein könnte, verdient dabei aufgrund offensichtlicher Abwegigkeit keine Erwähnung.

Selbstverständlich würde Constanze Kurz trotz alledem niemals so weit gehen, sich selbst als Trump-Fan zu bezeichnen. Die aktuelle Episode ordnet sie auch pflichtschuldig als „Kapitel der täglichen politischen Seifenoper“ ein, die uns mit Trump nun bevorstehe. Wer allerdings auf konkretere Kritik am President-Elect hofft, insbesondere zu seinen inzwischen gut dokumentierten Verbindungen nach Russland, der wird enttäuscht. Auch hier lautet das Urteil: Bewertet und für nicht relevant befunden.

Analyse mit Schlagseite

Insgesamt entsteht so durch die Lektüre des Artikels ein ziemlich klares Bild: Das einer Autorin, die Angst hat, von den Nachrichtendiensten der Führungsmacht der freien Welt ausspioniert und unterdrückt zu werden, ein Schicksal, das offenbar schlimmer ist als alles, was die russische Führungsriege im Gegensatz dazu so tut oder plant. Die gegen den Kreml gerichteten Vorwürfe, natürlich allesamt völlig haltlos, erfüllen in schönster Whataboutism-Manier lediglich die semantische Funktion, herumgedreht und gegen die Amerikaner selbst gewendet zu werden, die bekanntermaßen ebenso „in der Vergangenheit kaum Hemmungen hatten, in die Souveränität anderer Staaten offen und weniger offen einzugreifen.“ Na dann nazdrowje!

Man könnte diese, nun ja, Analyse einer gewissen Naivität seitens der Autorin zuschreiben, einem etwas weltfremden, aber grundsympathischen Impuls, immer auch die andere Seite zu hören und in dubio pro reo auch dann noch obwalten zu lassen, wenn es wirklich wehtut. Doch wie wahrscheinlich ist das bei einer Autorin, die wiederholt mit einer notorisch kremlfreundlichen Partei zusammengearbeitet und für diese sogar in einer Bundestagskommission mitgearbeitet hat, einer Partei, die ganz im Geiste der klassischen deutschen Friedensbewegung überzeugt ist, alle Probleme der Welt ließen sich lösen, wenn nur der amerikanische (Neo-)Imperialismus endlich aufhörte? Wie glaubwürdig sind die Kritik an Amerika und Exkulpation Russlands, wenn sie von der Sprecherin einer Organisation wie des CCC formuliert werden, deren Mitglieder auf dem jüngst zu Ende gegangenen 33. Jahreskongress den „Whistleblower“ Edward Snowden unter Verkennung aller politischen Implikationen seiner vergangenen und gegenwärtigen Tätigkeiten wie einen Messias gefeiert haben?

Egal, schließlich war er da endlich, der eine, der bewies, dass die Amis genauso schlimm sind, wie wir es alle schon immer gewusst haben! Nimmt man all das zusammen – die auffallend unkritische Haltung gegenüber Russland, die reflexhafte Abwehr von allem, was mit amerikanischen Nachrichtendiensten zu tun hat und den einschlägigen institutionellen Background – dann wird klar, dass es Menschen wie Frau Kurz nicht so sehr um das Verständnis technischer Zusammenhänge und die Aufklärung von Ungereimtheiten bei der US-Wahl geht, sondern vor allem um weitere Beweise für altbekannte Feindbilder. Und wenn derartige Verharmlosungen russischer Aggressionen und Rechtsbrüche in Zukunft zur Norm bei uns werden sollten, dann wird Putin irgendwann keine Grünen Männchen mehr brauchen. Er hat genügend Personal vor Ort.